Die heutige #FreitagsFrage erreichte mich im Zuge eines Artikels des geschätzten Kollegen Dr. Robin Kiera. In einem Kommentar im Versicherungsjournal erklärt er TikTok zur „nächsten Großchance, die wir verpassen“. Aber stimmt das wirklich? Ist TikTok eine Großchance, die Versicherer nicht verstreichen und Vermittler umgehend beim Schopfe ergreifen müssen? Oder ist es nur ein Hype, den man verstreichen lassen sollte? Hier meine Einschätzung dazu.
Die kurze Antwort ist: Weder Versicherungen noch Vermittler müssen Hals über Kopf auf TikTok aktiv werden. Die Plattform erlebt aktuell einen extremen Hype und das nicht ohne Grund. Denn alles deutet darauf hin, dass TikTok in Zukunft ein relevanter Kommunikationskanal wird. ABER das ist kein Grund, dass die Versicherungsbranche jetzt auf den Hype-Zug aufspringen muss. Ganz im Gegenteil. Ich empfehle Ihnen den Hype erst einmal abklingen lassen. Denn die Arbeitszeit und das Budget, was Sie hierfür einplanen, kann man in den etablierten Kanälen sinnvoll einsetzen, während es auf TikTok schlicht sinnlos verbrannt wird. Trotzdem sollten Sie die Plattform nicht ignorieren, sondern stets im Hinterkopf behalten und ihre Entwicklung beobachten.
Marko Petersohn
Das As im Ärmel der Versicherungsbranche, wenn es um die Kommunikation in der neuen Medienrealität geht. MarKo Petersohn hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im Onlinemarketing und ist seit 2010 ausschließlich für die Assekuranz aktiv. Er hilft Gesellschaften und Vermittlern, sich zukunftssicher aufzustellen. Er berät sie beim Thema „digitaler Kommunikation“ und schult die dafür notwendigen Kompetenzen.
Außerdem ist er Gründer der Onlinemarketing Gesellschaft für Versicherungsvermittler, verleiht jährlich den renommierten OMGV Award und verantwortet das Projekt „Digitale Kommunikation, Multikanalfähigkeit und Kollaboration in der Versicherungsbranche“ im Auftrag des Bildungsministeriums NRW und des BWV Bildungsverbandes.
Die ausführliche Antwort und 4 Tipps für den aktuell richtigen Umgang mit TikTok
Wie Anfang 2019 prophezeit, erlebt TikTok momentan einen enormen Hype. Und das nicht ohne Grund. Denn während Facebook noch 8 Jahre benötigte, um 1 Milliarde Nutzer zu erreichen, schaffte TikTok dies in 3 Jahren. Es ist DAS Social Network der Stunde und auch völlig zurecht medial omnipräsent.
"TikTok has reached one billion users faster than any other social media app" https://t.co/BxPXmQgwLn pic.twitter.com/1ifnvZg1B4
November 8, 2019
Falls Ihnen TikTok noch nichts sagt. Dies ist eine Social-Media-App, mit der Kurzvideos von maximal 60 Sekunden Länge (die meisten sind zwischen 10 und 15 Sekunden lang) veröffentlicht werden können. Zumeist handelt es sich hierbei um Playback-Videos, bei denen zu aktuellen Liedern lippensynchron „mitgesungen“ und getanzt wird. Einen ausführlichen Einblick in die App bietet Ihnen das folgende Video:
In Deutschland hat TikTok mittlerweile 5,5 Millionen monatliche Nutzer, die im Durchschnitt 50 Minuten pro Tag auf ihr verbringen. Im Januar 2019 waren es noch 4,4 Millionen Nutzer und 39 Minuten.
Die wachsenden Nutzungszahlen und zunehmende Nutzungszeit zeigen, dass es sich bei TikTok nicht nur um einen kurzfristigen Hype handelt, sondern um eine zunehmend relevante Plattform. Alles deutet darauf hin, dass TikTok für die U16-Generation das wird, was Instagram heute für die U25-Generation ist, das wichtigste Kommunikationsmedium. ABER das bedeutet nicht, dass Sie auf diesen Hype-Zug jetzt aufspringen müssen. Ganz im Gegenteil.
Der Gardner Hype-Zyklus am Beispiel des InsurTech-Hypes
Kennen Sie den Gardner Hype-Zyklus? Nein? Kein Problem. Das ist im Prinzip ein Modell, welches die Phasen der öffentlichen Aufmerksamkeit darstellt, die jede neue Technologie bei deren Einführung durchläuft.
Die erste Phase ist der Auslöser, bei dem das Thema auf großes Interesse in der Fachwelt stößt und zunehmend Trittbrettfahrer auf den Hypezug aufsteigen.
In der zweiten Phase führen immer mehr Trittbrettfahrer und eine damit verbundene zunehmende Berichterstattung zu einer medial übersteigerten Euphorie und letztendlich unrealistischen Erwartungen.
In der dritten Phase kommt es zum „Tal der Enttäuschungen“, da sich die Erwartungen nicht erfüllen lassen und aufgrund nachlassender Aktualität auch die Berichterstattung abebbt.
In der vierten Phase steht das Thema nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit, aber dafür setzt ein Verständnis für die Vorteile, die praktische Umsetzung, aber auch für die Grenzen der neuen Technologie ein.
Wenn die Vorteile allgemein anerkannt und akzeptiert werden, dann kommt man zur fünften und letzten Phase, dem „Plateau der Produktivität“. Das anfänglich gehypte Thema hat nun einen sichtlich erkennbaren Mehrwert für den Großteil der Menschen und ist wirtschaftlich rentabel.
Denken Sie nur an den InsurTech-Hype der letzten 5 Jahre. Viele Experten predigten, dass die Versicherungsbranche durch InsurTechs eine Disruption epischen Ausmaßes erleben wird. Vermittler und Makler werden obsolet und die Kunden fliegen den neuen Marktteilnehmern nur so zu, weil diese Versicherungen sexy machen. Zugegeben, das ist etwas überspitzt, aber in etwa so war das Image von InsurTechs auf dem Höhepunkt ihres Hypes.
Und dann kam es unweigerlich zum Tal der Enttäuschungen. Plötzlich war nicht mehr die Rede davon, dass Versicherungen sich vor InsurTechs fürchten müssten. Die Gründer stellten sich auch nicht mehr als Gegner der alten, verstaubten, langweiligen Versicherungsbranche dar, sondern suchten nun die Nähe zu den alten, verstaubten, langweiligen Gesellschaften. Selbst die größten Digitalisierungspropheten kamen irgendwann auf den Boden der Tatsachen an und stellten fest, dass InsurTechs die Versicherungsbranche nicht neu erfinden werden und den Versicherungsvermittler nicht vollkommen ersetzen werden.
Mittlerweile sind sich alle einig, dass man in Zukunft nebeneinander und teilweise sogar miteinander existieren wird. Und all das ist gut. Denn jetzt endlich befinden wir uns auf dem Plateau der Produktivität und es kann zielgerichtet Zukunft gestaltet werden.
Der TikTok-Hype rast auf den Höhepunkt zu und hat ihn vielleicht schon erreicht
Exakt das Gleiche passiert derzeit mit TikTok. Immer mehr Medien berichten darüber. Immer mehr Menschen interessieren sich dafür. Und immer mehr Onlineexperten verlieren den professionellen Abstand, lassen sich mitreißen und übertreffen sich in ihren Prophezeiungen der Möglichkeiten. Und damit rasen wir in Höchstgeschwindigkeit auf den Gipfel der überzogenen Erwartungen zu. Wenn wir ihn nicht sogar schon erreicht haben. Danach kommt es unausweichlich zu Enttäuschungen und zur Erkenntnis, dass TikTok für viele Branchen, insbesondere die Versicherungsbranche, 2020 ebenso sinnvoll ist, wie es Instagram 2014 oder Facebook 2008 waren. Nämlich für den Großteil noch überhaupt nicht.
Sobald es um TikTok ruhiger wird, Medien (besonders aus der Marketingbranche) nicht mehr ständig darüber berichten und Berater / Experten nicht mehr das Blaue vom TikTok-Himmel versprechen, dann wird die Plattform erst wirklich interessant. Und dann, erst dann, „müssen“ Sie sich darüber Gedanken machen, wie Sie die Plattform in Ihre Kommunikation integrieren. Denn auch wenn es vielleicht nicht so klingt, aber ich bin wirklich absolut überzeugt davon, dass TikTok für die U16-Generation das wird, was Instagram heute für die U25-Generation ist, das wichtigste Kommunikationsmedium. Nur braucht das noch Zeit. Ich schätze so circa 5 Jahre. Und bis dahin können Sie Arbeitszeit und Budget in anderen Kanälen sinnvoller einsetzen, als es auf TikTok zu verschwenden.
Was empfehle ich im Bezug auf TikTok?
- Aktuell würde ich Ihnen nicht empfehlen TikTok für (Content-)Marketingzwecke zu nutzen. Zumindest nicht für Versicherungen. Bei Auszubildenden sieht es etwas anders aus. Wobei Sie auch hier den Aufwand (beständig passende Videos produzieren) ins Verhältnis zum Ertrag (Auszubildende finden) setzen sollten. Wenn Sie auf TikTok aber unbedingt etwas machen wollen, dann empfehle ich Ihnen, sich mit den Werbeanzeigen zu beschäftigen. Denn so erreichen Sie ganz klar Ihre Zielgruppe und können direkt den Erfolg Ihrer Arbeit messen.
- Wenn Sie jedoch Content-Marketing betreiben wollen, dann nutzen Sie die Zeit und das Budget, was Sie für TikTok planen, lieber für andere Onlinekanäle. Denn TikTok hat zwar 5,5 Millionen tägliche Nutzer. Nur sind die zum einen zum Großteil U16 und zum anderen erreichen Sie auf Instagram 15 und auf Facebook 32 Millionen Deutsche. Außerdem zeigt mir meine Erfahrung immer wieder, dass viele Vermittler noch keine optimale Webseite und keine klare Onlinepositionierung / -strategie haben. Das ist allerdings die Grundlage für Onlineerfolg. Denn wenn Sie nicht wissen, was Sie mit der Reichweite bei TikTok machen, nicht wissen, wohin Sie die Nutzer der Plattform führen bzw. diese auf eine Webseite vom Anfang der Jahrtausendwende schicken, dann ist jegliches Engagement bei TikTok verschwendet.
- Behalten Sie TikTok im Hinterkopf, besonders wenn Sie eine Messengerstrategie planen (was bei jedem Unternehmen in Zukunft der Fall sein wird), dann sollten Sie darauf achten, dass Sie TikTok und andere Messenger problemlos darin integrieren können.
- Auch wenn ich Ihnen nicht empfehlen kann auf TikTok professionell aktiv zu werden, kann ich Ihnen nur empfehlen sich die Plattform anzuschauen. Denn zum einen ist sie höchst unterhaltsam und Sie bekommen ein Gefühl dafür. Zum anderen erhalten Sie ebenfalls einen sehr guten Einblick in die Lebens- und Gefühlswelt Ihrer zukünftigen Zielgruppe.