Hat mehr als ein Viertel der deutschen Lebensversicherer ernste Probleme? Das zumindest behauptet der verbrauchernahe Bund der Versicherten (BdV) in einer aktuellen Studie. Der Verband hat die Solvenzberichte der deutschen Leben-Anbieter ausgewertet. Ein Ergebnis: Die Branche driftet auseinander.
Seit 2017 müssen die deutschen Lebensversicherer ihre Hosen runterlassen und sogenannte Solvenzberichte vorlegen, die zeigen sollen, ob sie finanziell stark genug aufgestellt sind, um auch langfristig alle Leistungen und Zusagen erfüllen zu können. Seitdem nehmen sich auch regelmäßig Analysten die Berichte zur Brust, um den Sparerinnen und Sparern mehr Orientierung zu geben. So auch aktuell der Bund der Versicherten (BDV), der erneut mit dem renommierten Versicherungs-Ökonomen Carsten Zielke von Zielke Research Consult zusammengearbeitet hat.
Konkret hat sich Zielke diesmal die Solvenzberichte für das Jahr 2019 angeschaut: also für eine Zeit, in der die Coronakrise noch nicht abzusehen gewesen ist. Dabei zeigt sich der Markt gespalten: Die Studie stellt große Unterschiede bei den Solvenzquoten, der Gewinnerwartung, dem Überschussfonds und der Risikomarge fest.
Die bereinigte Solvenzquote ohne Übergangshilfen lag im Branchenschnitt bei 220 Prozent: 15,1 Prozent weniger als im Vorjahr. Dennoch ist das ein akzeptabler Wert: Die Finanzaufsicht fordert eine Solvenzquote von mindestens 100 Prozent von den Versicherern, aktuell dürfen die Firmen sogar zusätzlich noch Übergangshilfen einrechnen.
Aber 22 der untersuchten 84 Versicherer hätten ernsthafte Probleme, berichtet der BdV anhand der ausgewerteten Daten. Die betroffenen Anbieter haben demnach entweder eine zu geringe Solvenz oder eine negative Gewinnerwartung. Positiv bewerten die Analysten indes die zunehmende Transparenz der Berichte.
Kritisch: wenig Eigenkapital und mangelnde Diversifikation der Anlagen
Als größte gegenwärtige Stress-Faktoren sehen die Studienmacher aktuell den anhaltenden Niedrigzins, volatile Aktien- und Anleihenmärkte sowie die Folgen der Corona-Pandemie. Hierauf würden zu viele Versicherer keine ausreichende Antwort finden.
„In der Kapitalanlagepolitik sind die Unternehmen unbeweglich“, sagt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV. Versicherungsunternehmen müssten das Eigenkapital stärken, ohne wieder in die Taschen der Versicherten zu greifen, fordert der Mathematiker. „100 Milliarden aus Kundengeldern sind genug, jetzt sind Unternehmen und Aktionäre selber dran“, sagt der BdV-Vorstandssprecher. „Die Versicherer müssen eine professionelle und angemessene Kapitalanlage und Kalkulation angehen und sich dabei den Versäumnissen der Vergangenheit stellen.“
Aktuell 16 Versicherer ohne Übergangshilfen "unter Wasser"
Bei der ausgewiesenen „reinen“ Solvenzquote -ohne Berücksichtigung von Übergangshilfen- sind aktuell 16 Versicherer „unter Wasser“, wie aus den Zielke-Recherchen hervorgeht. Die Versicherer müssen eine Solvenzquote von mindestens 100 Prozent erreichen, was viele Versicherer aber nur mit Übergangshilfen schaffen. Aktuell dürfen die Versicherer noch mit erleichterten Bedingungen rechnen, um ihre Stabilität gegenüber der Aufsichtsbehörde Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) nachzuweisen (der Versicherungsbote berichtete).
...16 Anbieter mit niedriger Solvenzquote
Bei der Finanzstabilität der Leben-Anbieter gilt es zu bedenken: Aktuell dürfen die Versicherer zwei Solvenzquoten ausweisen, um ihre Finanzkraft nachzuweisen: eine Brutto- und eine Nettosolvenzquote. Bei der Bruttoquote darf mit erleichterten Maßnahmen gerechnet werden: Sie ist auch für die Finanzaufsicht relevant. Unter anderem dürfen hier versicherungstechnische Rückstellungen, mit denen langfristige Verträge abgesichert werden, weniger streng bewertet werden als durch das Aufsichtsregime Solvency II vorgesehen.
Die geringste Solvenz im Feld aller Teilnehmer hat aktuell die Frankfurt Münchener Leben AG, deren Bestände aber nur noch abgewickelt werden. Das Neugeschäft hat die Gesellschaft eingestellt. Sie erreicht 2019 sogar nur eine negative "reine" Solvenzquote von -11 Prozent. Die Solvenzquote hat sich gegenüber dem Vorjahr sogar um 16 Prozentpunkte verschlechtert.
Die weiteren Lebensversicherer mit niedriger Solvenzquote sind:
- Süddeutsche Leben (9 Prozent; -89 Punkte gegenüber Vorjahr)
- Rheinland Leben (19 Prozent; -4)
- Landeslebenshilfe VVaG (21 Prozent; -5)
- PB Leben (31 Prozent; -31)
- Familienfürsorge (33 Prozent; -69)
- Frankfurter Leben (42 Prozent; -8)
- Öffentliche Leben Oldenburg (58 Prozent; -36)
- Bayerische Beamten Lebensversicherung (62 Prozent; -3)
- Debeka Leben (68 Prozent; -42)
- Neue Leben (73 Prozent; -20)
- Concordia oeco Leben (80 Prozent; -26)
- Ergo Leben (80 Prozent; -25)
- HUK-Coburg Leben (94 Prozent; -155)
- DEVK (96 Prozent; -58)
- HDI Leben (96 Prozent; -16)
Auffälligkeiten bei Run-Off-Versicherern
Negative Auffälligkeiten konstatiert der BdV bei den elf Run-Off-Gesellschaften, die ohne Neugeschäft ihre Bestände abwickeln. Sie haben die geringste Transparenz im Markt, verfügen tendenziell eher über schwächere – teilweise sogar besorgniserregende – reine Solvenzquoten und überdurchschnittlich hohe Überschussfonds, berichtet Axel Kleinlein. Die hohen Rückstellungen in den Überschüssen sind ein Indiz dafür, dass hier viele hochverzinste Altverträge lagern.
Nur durch Anwendung der Übergangsvorschriften gelinge es, dass der Geschäftsbetrieb aller Run-Off-Gesellschaften aufsichtsrechtlich zulässig sei, kritisiert der Versicherungsmathematiker. „Diese Unternehmen bergen nach wie vor große Gefahren für Versicherte. Deren Rechte müssen für den Run-Off-Fall gestärkt werden“, so Kleinlein.
Der BDV stellt die komplette Analyse von Zielke Research auf seiner Webseite zur Verfügung. Für ein Nicht-Fachpublikum dürfte sie trotz Erklärungen aber schwer interpretierbar sein.