Der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) ist ein beim Bundesfinanzministerium angesiedeltes Experten-Gremium, das rechtzeitig warnen und Bericht erstatten soll, wenn bestimmte Markt-Entwicklungen eine neue Finanzkrise begünstigen könnten. Umso mehr lässt nun aufhorchen, was die Analysten in ihrem siebten Bericht zur Situation der deutschen Lebensversicherer zu sagen haben.
Mehreren Versicherern könnte nämlich die Pleite drohen, wenn sie ihr Geschäftsmodell angesichts dauerhaft niedriger Zinsen nicht überdenken, so das Urteil der Experten. Bedroht seien hiervon vor allem solche Anbieter, die viele kapitalbildende Leben-Policen im Bestand haben, die einen hohen Garantiezins vorsehen.
"Blieben die Zinsen weiter so niedrig und würden die Versicherungsunternehmen gleichzeitig weder ihre Geschäftspolitik weitreichend neu ausrichten noch zusätzliche Eigenmittel aufnehmen, so könnten einige Unternehmen die aufsichtlichen Solvenzanforderungen gegebenenfalls nicht mehr erfüllen“, warnt der Ausschuss in seinem Bericht.
Solvenzberichte: Viele Versicherer nur mit Übergangshilfen solide
Zwar erkennt der Finanzausschuss an, dass die Lebensversicherer im Branchenschnitt eine ausreichend hohe Solvenz ausweisen: Das Verhältnis von Eigenmitteln zur regulatorischen Solvenzkapitalanforderung lag zum Jahresende 2019 bei 368 Prozent. Das geht aus den sogenannten SFCR-Berichten hervor, mit denen die Versicherer jedes Jahr der Aufsichtsbehörde BaFin ihre Finanzstabilität nachweisen müssen.
Der Haken: Die Versicherer dürfen bis zum Jahr 2031 von Übergangshilfen Gebrauch machen, um den Übergang zu einer strengeren Finanzaufsicht zu erleichtern. Und diese werden rege genutzt. 66 der 84 Versicherer nahmen 2019 für ihre Solvenzberichte Bilanzierungshilfen in Anspruch. Ohne diese wären zum Jahresende bereits zehn Versicherer unter eine erforderliche Solvenzquote von 100 Prozent gerutscht, gibt der AFS zu bedenken.
Mangel an Eigenmitteln ab Mitte der 2020er Jahre
Der Ausschuss für Finanzstabilität hat zudem mehrere Simularien mit langfristig niedrigen Zinsen durchgerechnet, um die Krisenfestigkeit der Versicherer zu testen. Das Ergebnis: "Werden die Auswirkungen langfristig niedriger Zinsen auf die handelsrechtlichen Bilanzen simuliert, zeigt dies, dass bei einigen Lebensversicherern wesentliche Eigenmittelreserven – insbesondere die freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung – in einem solchen Szenario ab Mitte der 2020er Jahre aufgebraucht sein könnten“, heißt es in dem Bericht.
Im Fall einer finanziellen Schieflage könnten die Versicherer zwar mit Zustimmung der BaFin auf RfB-Reserven zugreifen: oft aber zulasten der Kunden, die noch keine tatsächlichen Ansprüche daran erworben hätten.
Versicherer gehen mehr ins Risiko
Mögliche Lösungsansätze der Versicherer sieht der Ausschuss teils kritisch. Die Schwäche an Eigenkapital durch höhere Gewinne ausgleichen zu wollen, stoße schon deshalb an Grenzen, weil sich auch die Anforderungen an die Kapitalausstattung erhöhen, wenn die Versicherer riskanter ihr Geld anlegen. Grundsätzlich gebe es Hinweise, dass die Versicherer bei der Neuanlage in riskantere Wertpapiere gehen, um ihr Schuldnerrating zu optimieren.
"Den langfristigen Zahlungsversprechen der Versicherer stehen in der Regel weniger langfristige Kapitalanlagen auf der Aktivseite gegenüber. Angesichts der niedrigen Zinsen war es im Berichtszeitraum weiterhin schwierig, bei der Neuanlage auskömmliche Renditen am Markt zu erzielen", geben die Verfasser des Stabilitätsberichtes zu bedenken. Der daraus entstehende Ertragsdruck könne die Anreize erhöhen, größere Risiken einzugehen.