Wann kommt es zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung von Renten? Zu dieser Frage verkündete der Bundesfinanzhof zwei wegweisende Entscheidungen.
Mit dem Alterseinkünftegesetz wurde zum Jahresbeginn 2005 die sogenannte nachgelagerte Besteuerung eingeführt. Seitdem wird bei Rentenbeginn der zu versteuernde Anteil der Rente ermittelt. Dieser einmalig festgelegte prozentuale Anteil gilt dann bis zum Ende des Rentenbezuges. Bei einem Rentenbeginn im Jahre 2005 beträgt der Anteil der Besteuerung 50 Prozent. Für jeden hinzukommenden Rentenjahrgang wird der Besteuerungsanteil erhöht, und zwar Jahr für Jahr um 2 Prozentpunkte und ab 2021 um 1 Prozentpunkt. Ab dem Renteneintrittsjahrgang 2040 unterliegen die Renteneinkünfte dann zu 100 Prozent der Besteuerung.
Doch kommt es bei dieser Vorgehensweise zu einer sogenannten Doppelbesteuerung? Diese und weitere Detailfragen klärte der Bundesfinanzhof in zwei Verfahren, deren Urteile nach Verzögerungen am 31.05.2021 verkündet wurden.
Urteil 1: Berechnungsgrundlagen festgelegt
Im ersten Streitfall (X R 33/19) ging es um einen ehemaligen Steuerberater, der Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung größtenteils aus eigenem Einkommen bestritt. Er bezieht seit 2007 Altersrente und wandte sich in dem Verfahren gegen die Besteuerung 2008. Das Finanzamt hatte – entsprechend der gesetzlichen Übergangsregelung – 46 Prozent der ausgezahlten Rente als steuerfrei behandelt und die verbleibenden 54 Prozent der Einkommensteuer unterworfen. Der Kläger hat eine eigene Berechnung vorgelegt, nach der er rechnerisch deutlich mehr als 46 Prozent seiner Rentenversicherungsbeiträge aus seinem bereits versteuerten Einkommen geleistet hat. Nach seiner Auffassung liegt deshalb eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Teilen seiner Rente vor.
Ist die Summe des steuerfreien Rentenbezugs mindestens so hoch, wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge, liegt keine Doppelbesteuerung vor. Nun war eine der Fragen, welche Beträge in den „steuerfreien Rentenbezug“ hineingerechnet werden können oder nicht.
Der klagende Steuerberater vertrat die Auffassung, dass die zwischen Beitragszahlung und Rentenbezug eitretende Geldentwertung zu berücksichtigen sei. Das lehnte der Bundesfinanzhof ab - weder im Einkommensteuerrecht noch im Verfassungsrecht sahen die Richter eine Grundlage dafür. Folge: Wertsteigerungen der Renten - unabhängig davon, ob sie inflationsbedingt sind oder eine reale Erhöhung darstellen - können besteuert werden.
Zudem stellte der BFH klar, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind.
Doch der BFH wies auch die Finanzverwaltung zurecht. So heißt es vom Bundesfinanzhof: „ Alle anderen Beträge, die die Finanzverwaltung ebenfalls als ‚steuerfreien Rentenbezug‘ in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, bleiben allerdings nach Auffassung des BFH unberücksichtigt. Sie dienen anderen – überwiegend verfassungsrechtlich gebotenen und daher für den Gesetzgeber nicht dispositiven – Zwecken und können daher nicht nochmals herangezogen werden, um eine doppelte Besteuerung von Renten rechnerisch zu vermeiden.“ Also bleibt auch der Grundfreibetrag bei der Berechnung des „steuerfreien Rentenbezugs“ unberücksichtigt.
Insgesamt blieb der Kläger aber in seinem konkreten Fall erfolglos: „Angesichts des noch recht hohen Rentenfreibetrags von 46 Prozent der Rentenbezüge des Klägers ergab sich keine doppelte Besteuerung.“ Allerdings warnte der BFH deutlich: „Diese [Doppelbesteuerung] zeichnet sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge, für die der Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter abgeschmolzen wird, ab. Denn auch diese Rentnerjahrgänge haben erhebliche Teile ihrer Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet.“
Private Renten: Systembedingt keine Doppelbesteuerung
Im zweiten Fall (X R 20/19) klagte ein Zahnarzt, der Pflichtmitglied eines berufsständischen Versorgungswerks ist, aber auch freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung blieb.
Er erhielt im Streitjahr 2009 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente und Zusatzleistungen aus der dortigen Höherversicherung. Zudem bezog er mehrere „Rürup“-Renten, ebenso zahlreiche Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten. Das Finanzamt setzte für die gesetzliche Altersrente einschließlich der Leistungen der Höherversicherung den sich nach der gesetzlichen Übergangsregelung ergebenden Besteuerungsanteil von 58 Prozent an. 42 Prozent der ausgezahlten Rente blieben steuerfrei. Im Hinblick auf die hohen Beitragsleistungen des Klägers in zwei Versorgungssysteme wandte das Finanzamt die sog. Öffnungsklausel an. Diese ermöglicht es, in bestimmten Konstellationen die Rente zumindest teilweise mit dem günstigeren Ertragsanteil zu versteuern. Die „Rürup“-Renten des Klägers brachte das Finanzamt mit dem Besteuerungsanteil, die sonstigen privaten Leibrenten – wie vom Gesetz vorgesehen – mit dem Ertragsanteil in Ansatz.
Dagegen richtete sich die Klage. Argument: Die gesetzliche Altersrente, eine der „Rürup“-Renten und diverse Renten aus privaten Versicherungen würden unzulässigerweise doppelt besteuert, weil nach ihren Berechnungen die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beiträge höher seien als der steuerfreie Teil der zu erwartenden Rentenzahlungen.
Der BFH sah dies anders. Er entschied, dass die Leistungen aus der freiwilligen Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente (§ 269 Abs. 1 SGB VI) als Teil der Rente einheitlich mit den regulären Rentenbezügen zu versteuern sind. Dass jene Leistungen sozialversicherungsrechtlich zu einer überdurchschnittlichen Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung führen und ausschließlich aus eigenen Beiträgen des Versicherten finanziert wurden, erachtete der BFH als unerheblich.
Zudem bestätigte der BFH die bisherige Rechtsprechung in Sachen Versteuerung der „Rürup“-Rente. Demnach sind diese auch in der Übergangsphase in voller Höhe zu berücksichtigen. Bei den Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten könne systembedingt keine Doppelbesteuerung vorliegen, so der BFH. Zur Begründung führten die Richter aus, dass „der durch das Gesetz festgelegte Ertragsanteil in zulässiger Weise die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die gesamte Dauer des Rentenbezugs typisiert. Diese Art der Besteuerung verlangt nicht, dass die Beitragszahlungen in der Ansparphase steuerfrei gestellt werden.“
Wer von Doppelbesteuerung betroffen wäre
Der Bund der Steuerzahler (BdSt), der beide Kläger unterstütze, forderte, dass der Gesetzgeber nun nachbessert, um eine rechtmäßige Renten-Besteuerung sicherzustellen. „Die Finanzverwaltung hat sich die Rentenbesteuerung bislang schöngerechnet“, so Reiner Holznagel, Präsident des BdSt. In weiten Teilen widersprach der BFH der Rechenweise der Finanzverwaltung: Insbesondere der Grundfreibetrag ist den Senioren nicht als steuerfreier Rentenzufluss anzurechnen (Az. X R 33/19 und X R 20/19).
Nach Ausführungen des Gerichts sind insbesondere Selbstständige, Unverheiratete und Männer stärker von einer möglichen Doppelbesteuerung betroffen. Der BdSt rät, dass diese Gruppe nun prüfen lässt, ob sich bei ihnen eine mögliche Doppelbesteuerung ergibt.
Das Bundesministerium für Finanzen oder die Bundesregierung äußerten sich bislang noch nicht zu den Urteilen - Rücklagen für mögliche Erstattungen wurden nicht gebildet.