Seit dem 1. Januar 2021 ist Sylvia Eichelberg frisch berufene Vorstandsvorsitzende der Gothaer Krankenversicherung AG. Über ihre Pläne mit dem Versicherer, neue Angebote und Kooperationen sprach sie mit Versicherungsbote.
Versicherungsbote: Frau Dr. Eichelberg, Sie sind seit Januar 2021 Vorstandsvorsitzende der Gothaer Krankenversicherung. Was wird sich unter Ihrer Führung ändern? In welchen Bereichen wollen Sie Schwerpunkte setzen?
In der Produktentwicklung orientieren sich Teams mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Produktentwicklung, Mathematik, Marketing, Vertrieb, und IT in ihrer Arbeit konsequent an der Wertmaximierung für Kunden, Vermittler und Stakeholder. So sind wir schneller und flexibler. Denn wenn wir unsere Rolle als Kümmerer und Begleiter in allen Gesundheitsfragen ernst nehmen, dann müssen unsere Services so dynamisch sein wie die sich schnell wandelnden Lebensumstände unserer Versicherten. Konsequente Teamorientierung, gepaart mit agiler Arbeitsweise und dynamischer Digitalisierung, werden für mich daher im Fokus stehen.
Im Zuge der Berichterstattung über die Pandemie war oft zu lesen: Das duale Gesundheitssystem in Deutschland habe sich bewährt. Können Sie anhand konkreter Beispiele die Rolle der PKVen im Kampf gegen die Pandemie verdeutlichen?
Einer der wesentlichen Gründe, warum die Ausbreitung des Virus so rasch gebremst werden konnte, liegt in der Leistungsfähigkeit der medizinischen Labore, die schnell eine hohe Zahl von Corona-Tests möglich gemacht haben. Diese moderne Ausstattung wird überproportional durch die Finanzmittel der PKV ermöglicht. Zur Isolierung von Corona-Infizierten verfügen die Krankenhäuser über eine ausreichende Zahl von Einbettzimmern, auch die gäbe es ohne die PKV gar nicht.
Ebenso wäre das in der Pandemie stark nachgefragte Angebot von Video-Sprechstunden etwa über TeleClinic – ein Service, den auch die Gothaer ihren Versicherten erfolgreich anbietet – ohne das Vorangehen der PKV nicht verfügbar. Wir gehörten zu den Unterstützern der ersten Stunde. Inzwischen kommt dieses Angebot auch den gesetzlich Versicherten zugute. Außerdem haben wir von der Gothaer mit einer digitalen Unterstützungsaktion für mittelständische Unternehmen sowie aktuell einem kostenfreien Kinderunfallschutz während der Pandemie freiwillig wichtige zusätzliche Angebote auf den Weg gebracht.
Viele PKVen und GKVen arbeiten in verschiedenen Bereichen zusammen. Welche Bedeutung haben solche Kooperationen für das Geschäft der PKVen? Geht Vermittlern dadurch Geschäft verloren?
Diese Kooperationen sind für alle Beteiligten von Vorteil. Wir als PKV erhalten so Zugang zu einem großen potenziellen Kundenkreis. Wenn Kunden uns durch diese Kooperationen kennen- und durch positive Kundenerlebnisse schätzen lernen, dann haben unsere Vertriebspartner die Chance, auch andere Produkte zu vermitteln. Den Vermittlern geht also kein Geschäft verloren. Im Gegenteil: Es kommen neue Kundinnen und Kunden in den zu betreuenden Bestand. Und die bieten wiederum die Chance zu größerer Vertriebstiefe.
Wie das Ökosystem Gesundheit ausgebaut werden soll
Mit TeleClinic, Gesundheitsportal und MediFon hat sich die Gothaer eine gewisse Vorreiterrolle im digitalen Gesundheitsmanagement erarbeitet. Wie werden diese Services genutzt und welche Rolle spielen Netzwerke bei der Entwicklung solcher Angebote? Können auch Zusatzversicherte diese Angebote in Anspruch nehmen?
Wir erweitern unser Serviceangebot und somit unser Netzwerk kontinuierlich. Genauso regelmäßig werten wir aus, wie stark unsere angebotenen Services auch tatsächlich in Anspruch genommen werden. Nur dann wissen wir, ob wir den wirklichen Kundenbedarf auch treffen. Insbesondere die digitalen Services haben durch Corona Rückenwind bekommen. Unser Leben hat sich noch mehr ins Digitale verlagert. Vor allem unser TeleClinic-Angebot findet hier großen Zuspruch.
Wir haben Services, die sowohl Voll- als auch Zusatzversicherten zur Verfügung stehen, aber auch Services, die nur für Vollversicherte erstattet werden. Welche Leistungen erstattet werden, hängt vom jeweiligen Tarif ab.
Wie das 'Ökosystem Gesundheit' ausgebaut werden soll
Ein Punkt, der sicher in Zeiten von Kontaktreduzierung an Bedeutung gewonnen hat, sind Versandapotheken. Auch da bietet die Gothaer Möglichkeiten. Da fehlt nur noch ein Lieferdienst und die Gothaer hätte ein eigenes „Ökosystem Gesundheit“, oder?
Ein Ökosystem Gesundheit hat die Gothaer ja bereits. Durch viele Zusatzangebote haben wir uns vom reinen Krankenversicherer zum Gesundheitsdienstleister weiterentwickelt. Das wird von unseren Kundinnen und Kunden sehr geschätzt – und entsprechend gut angenommen. Unser Ziel ist es, über den kontinuierlichen Ausbau des Ökosystems Gesundheit für unsere Versicherten eine bedarfsorientierte und lückenlose Patientenreise zu schaffen. Unsere Kundinnen und Kunden profitieren dabei auch vom Netzwerkeffekt. Wir bringen starke Partner zusammen und folgen dabei dem Bedarf der Menschen. Ich bin nicht sicher, ob wir dazu eine eigene Lieferlogistik für Medikamente aufbauen müssen. Schließlich liefert unser Partner TeleClinic bereits heute die in Telekonsultationen verschriebenen Medikamente kostenfrei nach Hause. Aber wir sind für neue Ideen grundsätzlich offen. Wichtig ist mir dabei, dass wir erfolgversprechende Ideen schneller umsetzen und unsere PS nach erfolgreichen Tests zügig auf die Straße bringen. Wie immer wieder berichtet wird, wurde zum Beispiel die Idee zur Google- Glass-Datenbrille in einem Team morgens geboren, am Abend desselben Tages gab es bereits einen ersten, einfachen Prototyp. Von dieser Dynamik in der Softwarebranche können wir lernen. Meine Mission ist es, auch die Gothaer Krankenversicherung und ihre Angebote innovativ, schnell und unkompliziert zu machen.
Wettbewerbsentscheidend für Versicherer ist, wie diese die angeschlossenen Dienstleister orchestrieren. Um im Bild zu bleiben: Wo hören Sie noch Misstöne? Oder fehlen Ihnen noch bestimmte Instrumente?
Entscheidend für den Erfolg ist es, den Versicherten im richtigen Moment den richtigen Service zur Verfügung zu stellen und diese Services intelligent miteinander zu verknüpfen. Wir wollen die potenzielle Kundschaft nicht als anonyme Masse verstehen, sondern als einzelne Menschen, die individuell angesprochen werden wollen. Positive digitale Kontaktpunkte sind dabei besonders wichtig. Auch der Kontakt zu uns soll ganz einfach sein. Zentrales Instrument dazu ist unsere GesundheitsApp. Das Kundenfeedback zeigt uns, dass wir eine sehr intuitive Handhabung für die App gewählt haben.
Der Wettbewerb von GKV und PKV kommt allen zu Gute
Zu den Stärken der Gothaer zählt auch die betriebliche Krankenversicherung. Was sollte passieren, damit die bKV stärker von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) genutzt wird?
Nicht nur durch die Pandemie, auch im beruflichen Kontext ist das Gesundheitsbewusstsein geschärft worden. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ist die bKV ein sehr gutes Instrument, um die eigene Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Aber viele dieser Unternehmen kennen die Vorteile der betrieblichen Krankenversicherung nach meinem Eindruck noch gar nicht. Sie bietet einerseits den Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels die Chance, Mitarbeitende zu binden und sich vom Wettbewerb abzugrenzen. Außerdem hat sie steuerliche Vorteile, weil die Aufwendungen des Arbeitgebers für die bKV bis zu einer bestimmten Grenze als steuer- und beitragsfreier Arbeitslohn definiert werden. Und auf der anderen Seite profitieren natürlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil sie keine Gesundheitsprüfung brauchen. Es ist Aufgabe der Gothaer und aller weiteren Marktteilnehmer, diese Vorteile gegenüber den Arbeitgebern zu kommunizieren und verständlich zu machen. Unsere Wachstumszahlen in der bKV zeigen, dass wir hier auf einem sehr guten Weg sind.
Vereinfachte oder gar keine Gesundheitsprüfung, Mitversicherung von Angehörigen: Ist das nicht der Weg, um sich als Versicherer jede Menge „schlechte Risiken“ einzukaufen, die später das Kollektiv belasten?
Nein, wir sehen in unseren Kunden keine Risiken, sondern Menschen. Nicht umsonst lautet unser Slogan: „Kraft der Gemeinschaft“. Eine starke Gemeinschaft, die so gut wirtschaftet, wie wir das tun, kann Risiken ausgleichen. Zum Beweis: Unsere aktuellen bKV-Tarife wurden im Jahr 2015 eingeführt. Wir mussten noch in keinem dieser bKV-Tarife die Beiträge erhöhen. Dies zeigt, dass unsere Beitragskalkulation trotz des Verzichtes auf die Gesundheitsprüfung passt.
Abschlussfrage: Immer wieder poltern GKVen oder Politiker gegen die PKV und schielen unverhohlen auf die Alterungsrückstellungen. Was halten Sie dem entgegen und wozu braucht es in Deutschland derart viele gesetzliche Kassen, deren Leistungsspektrum sich kaum unterscheidet?
Wir stehen mit der GKV im Wettbewerb, da mag der Ton manchmal etwas rau ausfallen, das sollten wir nicht persönlich nehmen. Fakt ist, dass die Altersrückstellungen Basis für eine auch im Alter bezahlbare Kalkulation der PKV-Beiträge darstellen. Da die PKV nicht auf Steuermittel zurückgreifen kann, gibt es hier keine Alternative. Einige Politiker wollen an die Alterungsrückstellungen der Privatversicherten heran, um Wechsel zur GKV attraktiver zu machen. Ich bevorzuge im Interesse der Kunden einen Wettbewerb um die besten Leistungen, nicht einen um den elegantesten Zugriff auf Rücklagen. Die Politiker, die das fordern, wissen meist selbst ganz gut, wie schwierig allein die technische Umsetzung wäre, von rechtlichen Bedenken ganz zu schweigen.
Zum zweiten Teil der Frage: In der Tat sind über 95 Prozent der Leistungen in den Gesetzlichen Krankenkassen identisch. In die Frage nach dem Wettbewerb innerhalb der GKV möchten wir uns allerdings nicht einmischen. Wir stehen für den Systemwettbewerb zwischen PKV und GKV, der unser duales System in Sachen Qualität und Innovationen stetig nach vorne treibt. Dieser Wettbewerb kommt allen Versicherten in Deutschland zu Gute, denn auf diese Weise organisieren wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt.
Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin 01/2021.