Wie wollen die Parteien, die bei der anstehenden Bundestagswahl Chancen auf einen Einzug im Bundestag haben, die gesetzliche Rente und die private Altersvorsorge reformieren? Hierzu hat Versicherungsbote einen gleichlautenden Fragenkatalog rausgeschickt und veröffentlicht die Antworten in einer mehrteiligen Serie. Im zweiten Teil geht es um eine Reform der privaten Altersvorsorge. Für die CDU antwortete Peter Weiß, seit 1998 Mitglied im Deutschen Bundestag und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Versicherungsbote: Laut Koalitionsvertrag wollten Sie bereits in dieser Legislaturperiode ein einfach zu verstehendes Riester-Standardprodukt sowie eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige umsetzen. Warum ist dies gescheitert bzw. konnten Sie das nicht umsetzen?
Peter Weiß: Der Koalitionsvertrag hatte vorgesehen: Es ist ein Dialogprozess mit der Versicherungswirtschaft anzustoßen mit dem Ziel einer zügigen Entwicklung eines attraktiven standardisierten Riester-Produkts. Die Riester-Rente steht leider unter keinem guten Stern – und der Dialogprozess war insofern nicht erfolgreich. Der Finanzminister ist leider unserer Bitte nicht nachgekommen, einen Gesetzentwurf für die Reform der Riesterrente vorzulegen. Daran muss also in der kommenden Wahlperiode weitergearbeitet werden. Das gilt genauso für die Altersvorsorgepflicht für Selbständige, die der Pandemie zum Opfer gefallen ist. Zwar mangelte es hier nicht an Umsetzungsvorschlägen. Doch oberste Priorität hatte es, die Selbständigen, die etwa als Gastwirte, Ladenbesitzer oder in der Eventbranche unter hohen Umsatzeinbußen litten, mit Corona-Hilfen durch die Krise zu bringen. Wer um seine Existenz bangt, hat den Kopf nicht frei für Vorsorge. Das ist ein Vorhaben, dass man in besseren Zeiten umsetzen sollte.
Die betriebliche und private Altersvorsorge werden durch dauerhaft niedrige Zinsen am Kapitalmarkt belastet: Die Anbieter sind gesetzlich gezwungen, große Teile der Beiträge in Anleihen zu investieren, sofern sie Garantien bieten. Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) warnt, vollständige Beitragsgarantien seien mit den niedrigen Zinsen bei mehreren Vorsorgeformen nicht mehr darstellbar. Brauchen hier Versicherer, Pensionskassen und -fonds mehr Freiheiten, etwa dass sie Garantien beschneiden und das Geld stärker in Aktien und Fonds investieren können?
Zwar sehen wir auch mit einer gewissen Besorgnis die beschriebene Entwicklung der vergangenen Jahre, gehen aber auch davon aus, dass dies kein Dauerzustand sein wird, zumal die Inflation leicht anzieht. Altersvorsorge und Betriebsrenten sind sehr langfristige Anlagehorizonte von zumeist über 20 Jahren, die verschiedene Epochen der Geldmarktpolitik durchleben. Das heißt, nur zeitweise leiden sie unter den fraglichen Kritikpunkten wie etwa niedrigen Zinsen. Die Rendite hängt am Ende immer von verschiedenen Faktoren ab. Hohe Zinsen bei hoher Inflation bringen nicht notwendigerweise mehr ein.
Umgekehrt gibt es aktuell immer noch renditestarke Anlagen auf dem Kapitalmarkt. Wir diskutieren hierzu auch Möglichkeiten der Altersvorsorge mit geringeren oder ganz ohne Garantien – diese können auch in der Niedrigzinsphase auf den Aktienmärkten ertragreich sein. Ebenso wird die Entwicklung neuer Standardprodukte diskutiert. Da die Deutschen aber Garantien lieben, sollte man sie nicht abschaffen, sondern neben Garantieprodukten auch solche ohne diese anbieten können – und damit Wahlfreiheit für den Versicherten.
Vom Niedrigzins betroffen ist auch die staatlich geförderte Riester-Rente, die für einen Markt mit stabilen Zinserträgen „designt“ wurde. Das Neugeschäft stagniert seit Jahren. Wofür plädieren Sie: Neustart oder Abstellgleis? Welche Reformen könnten Riester wieder populärer machen?
Die Riesterrente muss grundlegend reformiert werden. Dazu hat unsere Fraktion Vorschläge gemacht:
- Der Kreis der Förderberechtigten wird auf alle unbeschränkt Steuerpflichtigen ausgedehnt.
- Die Auswahl des Produktanbieters obliegt nach wie vor dem Sparer. Es findet keine Beschränkung bisheriger Produktgattungen statt.
- Je Produktgattung kann ein Standardprodukt definiert werden.
- Die Kosten des Standardprodukts sind auf ein Prozent der Effektivkostendefinitionen gem. Produktinformationsblatt (PIB) zu begrenzen.
- Die derzeitige komplizierte Zulagenbeantragung entfällt. Stattdessen teilen die Anbieter der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) die Höhe der eingegangenen Beträge mit. ZfA und Finanzämter prüfen im Anschluss die Förderhöhe. So werden Zulagenrückforderungen vermieden. Die Finanzämter informieren alle Förderberechtigten regelmäßig über den Umfang der möglichen Förderung.
- Die bisherige Vier-Prozent-Regelung wird durch eine standardisierte Zulagenförderung abgelöst. Eine strikte Einkommensabhängigkeit sowie der Sonderausgabenabzug entfallen.
- Bezieher geringerer Einkommen (hier: unter 24.000,- Euro) erhalten einen Förderbetrag von 175 Euro, wenn sie mindestens 60 Euro Eigenbeitrag sparen.
- Von den bisher geltenden 100prozentigen Beitragsgarantien (gem. AltZertG) kann zukünftig abgewichen werden. Eine stärkere Anlage in Aktien wird somit ermöglicht.
- Die Bezeichnung „Riester-Rente“ entfällt zugunsten der Bezeichnung „Zulagen-Rente“.
Im Parteiprogramm hat man sich allerdings alle Wege offengehalten.
Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen rentieren sich immer seltener. Müssen die Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen stecken?
Grund zur Panik besteht nicht. Neben einer langfristigen Strategie braucht es aber auch eine Strategie für Krisen oder Modeerscheinungen, die man immer im Blick haben muss. Es ist sowieso so, dass man sich immer den sich ständig ändernden Gegebenheiten anpassen und einen Teil des Vermögens umschichten sollte. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden und durchrechnen, ob sich das lohnt. Früher haben sich auch Tagesgeldkonten oder festverzinsliche Anlagen gelohnt, heute sind es eher ETFs oder Aktien. In ein paar Jahren kann es wieder umgekehrt sein. Aber man sollte sich ständig damit beschäftigen.
Die deutsche Bevölkerung gilt als vergleichsweise kapitalmarktscheu und sicherheitsorientiert in der Altersvorsorge. Trotz steigendem Trend hat nur etwa jeder Sechste (17,5 Prozent) ab 14 Jahren in Aktien, Aktienfonds und ETFs investiert: deutlich weniger als in anderen Industriestaaten. Würden Sie eine breitere Aktionärskultur in Deutschland begrüßen? Was müsste angestoßen werden, um die Deutschen zu Aktionären zu machen?
Sicherlich wäre wünschenswert, dass sich mehr Menschen mit diesem Thema beschäftigen. In den Aktienmärkten liegen große Chancen und Renditemöglichkeiten, die man allenfalls auf dem Immobilienmarkt noch findet. Allerdings muss man auch sehen, dass nicht immer alle gute Erfahrungen mit Aktien gesammelt haben, man denke an die Finanzmarktkrise. Wirecard ist eines der jüngeren Beispiele. Viele Leute verstehen die Mechanismen nicht, die hinter einer Gamestop-Aktie stehen oder hinter einer Spekulation auf fallende Aktien. Das ist undurchsichtig, riskant, mitunter anrüchig – wie beim Cum Ex-Skandal. Solche Sachen zerstören Vertrauen. Hier muss sich etwas ändern. Das Marktgeschehen muss transparenter und aufrichtiger werden.
...die Abschlusskosten dürfen nicht durch die Decke schießen
Mir scheint, fast alle Parteien sind der Idee eines Staatsfonds gegenüber nicht abgeneigt, etwa nach dem Vorbild Schwedens und Norwegens. So soll das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente durch einen Kapitalstock ergänzt werden. Würden Sie für Ihre Partei einen solchen Staatsfonds begrüßen? Wenn ja: Wer soll ihn verwalten - und wie soll er organisiert sein, damit Bürgerinnen und Bürger ihn akzeptieren?
Ein solcher Staatsfonds ist eine sehr interessante Idee, die in unserem Wahlprogramm auch erwogen wird, allerdings nicht vorrangig vor der Reform der Privatvorsorge. Denn das Vorbild Schwedens und Norwegens lässt sich nicht unbesehen auf Deutschland übertragen und würde hier auch in die bestehenden Vorsorgeformen eingreifen. Man muss sich dann auch sehr genau überlegen, wer ihn verwalten soll, denn der Staat ist ja auch nicht unbedingt der bessere Unternehmer.
Unsere Leser sind mehrheitlich Versicherungsvermittlerinnen und -vermittler. Laut GfK-Umfrage hat kein anderer Berufsstand ein derart schlechtes Image. Anders sieht es aus, wenn Kundinnen und Kunden zur Zufriedenheit mit ihrem persönlichen Vermittler befragt werden: fast zwei Drittel bewerten ihren Vermittler laut YouGov-Umfrage mit „sehr gut“ oder gar „ausgezeichnet“. Gegenüber uns wird oft beklagt, dass der Berufsstand zum Sündenbock für Fehlentwicklungen gemacht wird: über Skandale wird berichtet, doch wenn das Gros gute Arbeit macht, ist das keine Schlagzeile wert. Wie positioniert sich Ihre Partei zur Vermittlerschaft? Gibt es Ziele, die direkte Auswirkungen auf den Berufsstand hätten?
Mit den Versicherungsvermittlerinnen und -vermittlern ist es wie sicher mit anderen Berufsgruppen auch. Die meisten erledigen ihren Job vorbildlich, während einige "schwarze Schafe" den Ruf beschädigen. Das muss man also differenziert betrachten. Als Vorteil der unabhängigen Vermittlung sehe ich, dass hier im Interesse der Kunden das optimale Produkt gefunden werden kann. Das sollte stärker herausgestellt werden. Denn damit verbunden ist auch eine Wertschätzung des Vermittlerberufes, sobald er ordentlich und verantwortungsvoll ausgeübt wird. Dementsprechend gibt es bei uns keine Ziele, die dem Beruf entgegenstehen. Gebunden sind wir aber an Vorgaben aus Europa. Und selbstverständlich dürfen die auf Kunden umgelegten Abschlusskosten nicht durch die Decke schießen. Es richtet sich mehr an die Anbieter an sich, wenn ein neues Standardprodukt für deren Kunden möglichst ohne Abschlusskosten und mit möglichst niedrigen Verwaltungskosten auskommen soll.
Würden Sie ein Provisionsverbot in der Lebensversicherung und kapitalbildenden Altersvorsorge befürworten? Bitte begründen Sie die Positionierung.
Wir haben in der Koalition lange um die Frage eines Provisionsdeckels gerungen. Wir in der Union haben diesen kritisch gesehen, das dürfte bekannt sein. Grundsätzlich stehen wir für einen Erhalt der provisionsbasierten Beratung. Ein Verbot wollen wir nicht. Wir dürfen allerdings nicht übersehen, dass es generell bezogen auf Kapitalmarktprodukte eine vielfältige Rechtsprechung zu Vertriebs- und Abschlusskosten wie auch Diskussionen um die Angemessenheit von Provisionen gegeben hat. Je nachdem, wer mit wem demnächst regieren wird, dürfte die Diskussion noch nicht zu Ende sein.
Die Fragen stellte Mirko Wenig. Teil 1 des Interviews mit Peter Weiß finden Sie hier.