Pflegeversicherung - Schon 2022 droht höherer Beitrag

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Müssen die Beiträge in der Pflegeversicherung schon 2022 deutlich angehoben werden? Das fürchtet Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandschef des GKV-Spitzenverbandes. Der Grund: Die Rücklagen seien aufgebraucht, und gesetzliche Reformen kosten die Pflegekassen viel Geld. Das führt auch zu explodierenden Eigenanteilen in Pflegeheimen: Diese haben sich auf 2.125 Euro im Bundesschnitt erhöht.

Krankenkassen-Funktionär Gernot Kiefer warnt aktuell davor, dass die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung bereits im ersten Halbjahr 2022 angehoben werden müssen. „Wenn nichts passieren sollte, dann wird bereits im ersten Halbjahr eine Beitragserhöhung von 0,3 Prozentpunkten notwendig sein, um die Finanzierung sicherzustellen", sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes der „Rheinischen Post“. Schon im Jahr 2021 seien zwei Milliarden Euro mehr ausgegeben worden als eingenommen.

Die Pflegeversicherung startet folglich schon auf Kante genäht ins neue Jahr, warnt Kiefer: Defizite hätten aber 2021 noch mit gesetzlichen Rücklagen ausgeglichen werden können. Nun habe die Pflegeversicherung die gesetzliche Mindestreserve erreicht und es gebe gesetzlichen Handlungsbedarf, um die Finanzen zu stabilisieren. Schon im September hatte der GKV-Spitzenverband gewarnt, dass bei einzelnen Pflegekassen Liquiditätsprobleme drohen. Zum Jahreswechsel wurde der Beitrag für Kinderlose bereits um 0,1 Prozent angehoben, um mehr Geld in die Pflegekassen zu spülen.

Eigenanteile für Pflegebedürftige explodieren

Kiefer wies indirekt darauf hin, dass Teile der aktuellen Pflegereform noch nicht durchfinanziert seien. So sollen mehr Pflegekräfte eingestellt und diese besser entlohnt werden: Wer mit den Pflegekassen kooperieren will, darf nur noch Tariflöhne zahlen. Allein das werde bis zu fünf Milliarden Euro mehr im Jahr kosten.

Das bedeutet für Pflegebedürftige deutlich höhere Kosten, wenn sie in ein Pflegeheim müssen. Auch in diesem Jahr ist der Eigenanteil wieder deutlich angestiegen, berichtet der Kassenfunktionär: laut GKV-Verband auf 2.125 Euro im Bundesschnitt. Geld, das zusätzlich zu dem aufgebracht werden muss, den die Pflegekassen erstatten.

„Das Maß von durchschnittlich 2.125 Euro pro Monat kann ein Durchschnittsverdiener gar nicht mehr stemmen – so hoch ist das Alterseinkommen oft nicht. Es gab eine gesetzliche Änderung durch die alte Regierung, die das ab 2022 etwas mindert. Aber man wird an diesem Thema weiterarbeiten müssen“, betonte Kiefer im Gespräch mit der RP.

Nur ein Teil der Heimkosten gedeckelt

Zwar hat der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch ein Gesetz in Kraft gesetzt, wonach Pflegebedürftige in Heimen künftig einen Leistungszuschlag erhalten: auch, um die steigenden Kosten aufzufangen. Doch dieser bezieht sich allein auf den pflegebedingten Eigenanteil. Die weiteren Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen im Pflegeheim müssen weiter voll bezahlt werden. Zudem sind die Bedingungen streng: Der Leistungszuschlag ist daran gebunden, wie lang sich die Person bereits im Heim aufhält. Im ersten Jahr trägt die Pflegekasse fünf Prozent des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und danach 70 Prozent.

Keine Leistungszuschläge gibt es hingegen für die nicht pflegebedingten Bestandteile der Heimplatz-Kosten. Unterbringung und Verpflegung sowie Investitionen müssen weiterhin im vollen Umfang von den stationär Betreuten gestemmt werden. Und das ist nicht wenig: laut Ersatzkassen kosten Unterkunft und Verpflegung die Heimbewohner im Bundesschnitt 791 Euro, die Investitionen weitere 461 Euro (Daten für Juli 2021).

indirekte Kritik auch an privaten Krankenversicherern

Kritik übte Gernot Kiefer im "Rheinische Post"-Interview auch an den Pflegeplänen der Ampel-Regierung: und damit indirekt an den privaten Krankenversicherern. Die Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung sei eine permanente Aufgabe: so auch in dieser Legislaturperiode, mahnte er. „Bemerkenswert ist, dass der Ampel-Vertrag sich stellenweise wie ein Formelkompromiss liest. SPD und Grüne stehen für eine Bürgerversicherung, die FDP ist strikt dagegen und nun ist im Koalitionsvertrag von einer freiwilligen, paritätisch finanzierten Pflege-Vollversicherung die Rede. Man wolle dazu eine Kommission einrichten, heißt es“, sagte Kiefer.

Die Bundesregierung verfolge einen "dritten Weg" zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung, beobachtet Kiefer. "Dabei sind 90 Prozent der Bevölkerung in der gesetzlichen Pflegeversicherung, zehn Prozent in der privaten Pflegepflichtversicherung. Diese sind weniger häufig pflegebedürftig und haben eine höhere Finanzkraft. Dies war ein historischer Kompromiss aus der Entstehungszeit der Pflegeversicherung. Man könnte die Solidarität auch über die Gesamtbevölkerung organisieren“, so der Krankenkassen-Funktionär. Gerade die bessere Bezahlung von Pflegekräften sowie deren Ausbildung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe - ein Ruf nach mehr Finanzierung der Pflegeleistungen über Steuerzuschüsse.

Privatversicherer haben niedrigere Pflegekosten: Das könnte sich umkehren

Tatsächlich haben die Privatversicherer im Schnitt deutlich niedrigere Pflegekosten pro versicherter Person als gesetzliche Versicherer. Das zeigt der „Pflegereport 2019“, den die Sozialwissenschaftler Stefan Greß, Dietmar Haun und Klaus Jacobs vorgelegt haben. Die ausgewerteten Zahlen beziehen sich überwiegend auf die Jahre 2016 und 2017.

Das Ergebnis: Während die Soziale Pflegeversicherung pro Versichertem im Schnitt 492 Euro im Jahr für Pflegeleistungen ausgeben musste, waren es in der privaten Pflegeversicherung lediglich 197 Euro: Beihilfen bereits eingerechnet. Pro Versicherungsnehmer geben die gesetzlichen Pflegekassen folglich satte 250 Prozent mehr aus als die privaten Anbieter (Zahlen für 2017). Die Gründe hierfür sind vielfältig, um nur einige zu nennen:

  • Private Krankenversicherer können -mit Ausnahme des Basistarifs- Personen mit Vorerkrankungen ablehnen oder mit deftigen Risikoaufschlägen „bestrafen“. Das wirkt sich speziell in jüngeren und mittleren Altersgruppen aus. Laut Pflegereport 2019 liegt im Altersbereich zwischen 20 und 50 Jahren das Pflegerisiko der Privatversicherten bei nicht einmal 20 Prozent der gesetzlich Pflegeversicherten.
  • Weitaus mehr Frauen als Männer sind gesetzlich pflegeversichert. 2016 lag der Frauenanteil in der sozialen Pflegeversicherung bei 53 Prozent, in der privaten Pflege hingegen nur bei 39 Prozent. Frauen haben aber eine höhere Lebenserwartung als Männer, im Schnitt leben sie 4,4 Jahre länger. Hier wirkt sich aus, dass Hochbetagte ein größeres Risiko haben, auf Pflege angewiesen zu sein. Von den 1,9  Millionen Pflegebedürftigen über 80 Jahren waren 2018 -laut Statistischem Bundesamt- 72 Prozent Frauen.
  • Der hohe Frauenanteil trägt dazu bei, dass die Zahl der Hochbetagten in der sozialen Pflegeversicherung höher ist. Bei der Altersgruppe mit der höchsten Pflegequote, den über 80-Jährigen, liegt der Versichertenanteil in der SPV mit 6,4  Prozent um fast die Hälfte über dem entsprechenden Anteil in der PPV. Dies könnte sich aber bald umkehren. Denn der Anteil der 60- bis 79-jährigen Privatversicherten liegt mit 34,7  Prozent sogar über dem Anteil in der SPV (26,3 Prozent).
  • Mehr als die Hälfte aller privat Krankenversicherten in Deutschland sind beihilfeberechtigt. Auch im Fall von Pflegebedürftigkeit kommt der Dienstherr hier für einen Teil der Kosten auf.

Bei Twitter konterte der PKV-Verband aber die Kritik von Kiefer. Das Wissenschaftliche Institut der privaten Krankenversicherung habe errechnet, dass der Beitragssatz in der Sozialen Pflegeversicherung bis 2030 auf 4,8 Prozent steigen könnte, schreibt der Verband in einem Tweet. Eine nachhaltige Finanzierung sei nur mit mehr Kapitaldeckung möglich. Hier sehen sich die Privatversicherer gut gerüstet. Die Alterungsrückstellungen in der privaten Kranken- und Pflegeversicherung sollen Anfang 2022 bei rund 300 Milliarden Euro liegen, argumentiert der PKV-Verband auf seiner Webseite.