Die Lebensversicherer kommen verbessert durch das zweite Corona-Jahr. Die aufsichtrelevante Solvenzquote verbesserte sich im Schnitt um rund 23 Prozent. Dennoch befinden sich fünf Versicherer weiterhin in Manndeckung der BaFin.
Wie stabil stehen die Lebensversicherer da - und sind sie für mögliche Krisen gerüstet? Darüber sollen die sogenannten Berichte zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR) Aufschluss geben. Zum sechsten Mal mussten die 80 deutschen Anbieter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Bericht über ihre Solvenz erstatten.
Die aufsichtrelevante Solvenz der Lebensversicherer stieg im Schnitt um 22,73 Prozent und liegt bei 480,45 Prozent. Darin sind auch etwaige Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen enthalten. Die durchschnittliche Netto-Solvenzquote bzw. SCR-Quote (ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung) kletterte noch deutlicher. Sie liegt bei 268,86 Prozent und damit 26,96 Prozent über dem Wert des Vorjahres. Das zeigt die Auswertung der Solvenzberichte durch den Zweitmarktanbieter Policen Direkt.
Die Versicherer dürfen aktuell noch mit erleichterten Übergangsregeln rechnen, damit der Übergang ins neue Aufsichtsregime gelingt: unter Solvency II sind die Kapitalanforderungen deutlich verschärft worden. Hier lässt bereits aufhorchen, wie viele Gesellschaften nach wie von dieser Stütze Gebrauch machen. Aktuell nehmen noch 58 der 80 Versicherer für ihre Solvenzberichte Bilanzierungshilfen in Anspruch. Die erleichterten Bedingungen müssen bei der BaFin angemeldet werden. Bis zum Jahr 2032 dürfen die Versicherer mit erleichterten Bedingungen rechnen, um nachzuweisen, wie finanzstark sie sind. Volatilitätsanpassung zählen jedoch nicht zu den Übergangsmaßnahmen. Dieses Mittel können die Versicherer auch nach dem Jahr 2032 noch in Anspruch nehmen.
Während die Finanzaufsicht also auf die Bruttoquoten schaut, bildet die Nettoquote ab, wie die Versicherer ohne diese Erleichterungen dastehen würden. Im Schnitt verbessern die Übergangsmaßnahmen die Quoten um stolze 192 Prozentpunkte (2020:156).
„Auch das Geschäftsjahr 2021 war geprägt von den Auswirkungen der Covid-19- Pandemie und deren speziellen Herausforderungen. Im zweiten Jahr der Corona-Krise konnten die Lebensversicherer von einem verbesserten ökonomischen Umfeld und überwiegend von einem gestiegenen Neugeschäft profitieren“, sagt Henning Kühl, Leitender Aktuar von Policen Direkt und Versicherungsmathematiker (DAV) mit Blick auf die aktuellen Solvenzquoten: „Vor allem das gegenüber dem Jahr 2020 gestiegene Zinsniveau hat zu einer Reduzierung der Solvenzkapitalanforderungen geführt. Laut Versichererberichten hat dies—neben dem erfolgreichen Verkauf von chancenorientierteren Produkten und der weiteren Verbesserungen der Risikotragfähigkeit—die Solvenzquoten am stärksten beeinflusst.“
So konnte bei der aufsichtsrelevanten Quote fast das Niveau aus dem Jahr 2018 erreicht werden. Bei 75 Prozent der Gesellschaften hat sich die aufsichtsrelevante Quote mehr oder weniger deutlich erhöhen können. Die Anzahl der bilanziellen Hilfen zur Sicherung der Finanzstabilität ist insgesamt fast gleichgeblieben. Nur ein weiterer Versicherer hat die Anwendung der Volatilitätsanpassung ab dem 3. Quartal 2021 neu beantragt.
8 Lebensversicherer nur mit Übergangshilfen ausreichend solvent
Beim genauen Blick auf die Kennzahlen gilt es zu differenzieren. Denn grob vereinfacht zeigt die Bedeckungsquote, ob der Versicherer einen ausreichend großen Kapitalpuffer besitzt, um alle Ansprüche der Kunden auch dann bedienen zu können, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern. Ein Wert unter 100 Prozent wird hierbei als kritisch bewertet. Fällt die Solvenquote ohne Übergangsmaßnahmen (SCR + VA) des Versicherers unter diesen Wert, greift die Versicherungsaufsicht der BaFin ein. Dann muss der Versicherer Maßnahmen vorlegen, um seine Finanzstabilität zu verbessern: und die Aufsichtsbehörde prüft den Erfolg. Aufsichtschef Frank Grund sprach von einer „Manndeckung“, in der sich die Versicherer befinden.
Zur besseren Einordnung weist Policen Direkt mehrere Solvenzquoten aus. Für die Finanzaufsicht wichtig ist die Brutto-Solvenzquote, die von den Versicherern standardmäßig berichtet wird. Hier sind bereits Übergangsmaßnahmen und sogenannte Volatilitätsanpassungen eingerechnet. Diese liegt bei 480,45 Prozent.
Darüber hinaus weist die Studie auch die Netto-Quote der Versicherer aus. Sie zeigt den Kapitalpuffer ohne Übergangshilfen (Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen) an. Insgesamt acht Versicherer hätten ohne diese Hilfen den Schwellenwert von 100 nicht erreicht. Im vergangenen Jahr waren es noch 17 Unternehmen. Einige Unternehmen befinden sich aber bereits im Run-Off. Insgesamt fünf Versicherer befinden sich in „enger Manndeckung“ der BaFin. Bei diesen Gesellschaften liegt die Solvenzquote ohne Übergangsmaßnahme (SCR +VA) unter dem Schwellenwert von 100. Im vergangenen Jahr waren es noch 15 Unternehmen.
Diese Versicherer haben eine Nettoquote unter 100 Prozent:
- Frankfurter Münchener Lebensversicherung (9 Prozent/Run-Off)
- Landeslebenshilfe (20 Prozent)
- PB Lebensversicherung (40 Prozent)
- Öffentliche Lebensversicherung Oldenburg (48 Prozent)
- DEVK Leben (80 Prozent)
- Ergo Leben (82 Prozent)
- DEVK Allgemeine (98 Prozent)
- Süddeutsche Lebensversicherung (99 Prozent)
Diese Versicherer würden die Hürde der Bedeckungsquote von 100 Prozent - ohne Übergangshilfen und mit Volatilitätsanpassungen - reißen:
- Frankfurter Münchener Lebensversicherung (12 Prozent/Run-Off)
- Landeslebenshilfe (20 Prozent)
- Öffentliche Lebensversicherung Oldenburg (53 Prozent)
- DEVK Leben (86 Prozent)
- Ergo Leben (88 Prozent)
Darüber hinaus wird auch die MCR-Quote ausgewiesen. Sie zeigt die „Netto-Mindestkapitalanforderung zum Erhalt des Geschäftsbetriebs“ an. Was dies bedeutet, steckt bereits im Namen: Sie gibt an, ob die Versicherer in der Lage sind "im Normalbetrieb", also ohne Krisen-Szenario, aktuelle Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden zu erfüllen. Dieser Wert wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 25,75 Prozent auf nun 720,79 Prozent.
30 Lebensversicherer mit großen Risikopuffern
Einige Versicherer stehen durch die aktuell schwierige Lage nun vor noch größeren Herausforderungen. Das betrifft vor allem kleinere Versicherer mit hohem Garantiebestand und diejenigen, die bereits in der Vergangenheit nur mit Übergangsmaßnahmen eine Solvenzquote von über 100 Prozentpunkten erreicht haben.
Die wichtigsten Zahlen in Kürze:
- Aufsichtsrelevante Bruttoquote: 480 Prozent (2020: 390 Prozent)
- Nettoquote (SCR-Quote +VA): 289 Prozent (2020: 234 Prozent)
- Nettoquote (SCR-Quote): 269 Prozent (2020: 211 Prozent)
- Mindestanforderung: MCR-Quote 721 Prozent (2019: 567 Prozent)
- 5 Versicherer mit Nettoquote +VA < 100 Prozent (2020: 15)
- 8 Versicherer mit Nettoquote < 100 (2020: 17)
- 4 Versicherer mit Mindestquote (MCR-Netto) < 100 (2020: 13)
- 65 Versicherer haben sich bei der Nettoquote im Vergleich zum Vorjahr verbessert
- 15 Versicherer haben sich bei der Nettoquote im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert
- 2 Lebensversicherer haben eine geringere Nettoquote + VA trotz gestiegener Nettoquote
- 58 von 80 Lebensversicherern (2020: 60 von 82) haben bei der BaFin Übergangsmaßnahmen
- 67 von 80 Lebensversicherern (2019: 67 von 82) haben Volatilitätsanpassungen bei der BaFin
- Übergangsmaßnahmen verbessern die Quoten im Schnitt um 192 Prozentpunkte (2020:156)
Wie die Korridor-Analyse verdeutlicht, geht es hier mitunter darum, überhaupt noch Neugeschäft zeichnen zu können. Jüngst hat hier Bafin-Exekutivdirektor Frank Grund darauf hingewiesen, dass hier Versicherer in den nächsten Jahren große Schwierigkeiten bekommen könnten und damit ihre Lizenz für das Neugeschäft riskieren.
30 Lebensversicherer mit großen Risikopuffern
Darüber hinaus hat Aktuar Kühl die Versicherer in verschiedene Korridore eingeteilt. Aus den Nettoquoten leitet er ab, welches Unternehmen sich auch im Neugeschäft Garantien leisten kann und welches bei der Produktentwicklung tendenziell eher kleinere Spielräume hat.
14 Unternehmen vor großen Herausforderungen (Nettoquote unter 150 Prozent): Bei 14 Unternehmen (2020: 22) ginge es um bestehende Garantieanforderungen und darum, sich in Zukunft überhaupt noch Neugeschäft leisten zu können.
36 Unternehmen weitgehend gerüstet (Nettoquote 150 – 300 Prozent): 36 Unternehmen (2020: 39) sieht Kühl im grünen Bereich, mit einer Nettoquote von 150 bis 300 Prozent, und damit weitgehend finanzstark und gerüstet für Extremszenarien. Sie seien in der Lage, den eingegangenen Versprechen unverändert auch in Zukunft nachzukommen.
30 Unternehmen mit Spielraum für Garantien (Netto über 300 Prozent): Erfreulich ist, dass immerhin 30 Unternehmen (2020: 21) aufgrund ihrer vergleichsweise komfortablen Solvenzkapitalausstattung sehr gut gewappnet sind und weitere Verschärfungen der Lage bewältigen oder im Neugeschäft weitreichende Zusagen geben könnten.
Ob ein Unternehmen seine Spielräume auch tatsächlich nutze, sei eine Frage der Strategie, gibt Kühl zu bedenken. Er empfiehlt, sich nicht allein auf Solvenzquoten bei der Einschätzung eines Versicherers zu verlassen. Auch Daten zu Ertragsquellen und Gewinnbeteiligungen geben zum Beispiel weitere wichtige Einblicke.