BU besser als Grundfähigkeit? "Pauschal immer richtig, im Einzelfall immer falsch"

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In einem viel diskutierten Urteil des Landgerichtes Bamberg wurde ein Versicherungsmakler zum Schadensersatz verurteilt, weil er einer Kundin zur Kündigung einer Berufsunfähigkeitsversicherung riet. Alternativ empfahl er stattdessen den Abschluss einer Grundfähigkeits-Police. Das Urteil zeigt erneut die großen Haftungsfallen der BU-Beratung. Über den Fall unterhielt sich Versicherungsbote mit Biometrie-Experte Philip Wenzel sowie mit Jens Reichow, der als spezialisierter Fachanwalt mit der Kanzlei Jöhnke & Reichow aus Hamburg das Urteil mit erstritt.

Versicherungsbote: Im Maklervertrieb wird darüber debattiert, ob Grundfähigkeits-Policen ein gleichwertiger Ersatz zur Berufsunfähigkeitsversicherung sein können. Nur letztere aber sichert direkt die Arbeitskraft bzw. den zuletzt ausgeübten Beruf ab. Soweit ich die Debatten verfolge, verneinen viele Vermittler die Gleichwertigkeit. „Eine Grundfähigkeitsabsicherung sollte niemals die erste Wahl sein“, schreibt auch die Verbraucherzentrale. Ihre Einschätzung als Grundfähigkeits-Experte? Sind hier pauschale Aussagen überhaupt möglich?

Philip Wenzel: Eine Grundfähigkeits-Police ist kein Ersatz für eine BU: Pauschal ist das immer richtig, aber im Einzelfall ist das immer falsch ;-). Nur die Berufsunfähigkeitsversicherung sichert mein Einkommen ab. Wenn ich also mein Einkommen absichern möchte, dann ist die BUV die erste Wahl. Erst, wenn diese zu teuer ist oder zu viele Ausschlüsse nimmt, sollte ich die Grundfähigkeitsversicherung prüfen. Davor würde ich sogar noch die Erwerbsunfähigkeitsversicherung ansehen.

Aber wenn ich zum Beispiel mein Hobby als Imker, Gärtner oder auch nur meine (begrenzten) Fähigkeiten als Hausmann absichern will, ist die Grundfähigkeits-Police gerade bei Akademikern eher geeignet. Denn hier entstehen Kosten auch dann, wenn ich weiter mein Einkommen ohne Einschränkung verdienen kann. Ich muss jemanden bezahlen, damit er im Garten oder im Haushalt hilft.

Herr Reichow, Ihre Kanzlei war an einem Rechtsstreit beteiligt, bei welchem eine Kundin gegen ihren Versicherungsmakler Schadensersatz wegen Falschberatung erstritt. Der Makler hatte zur Kündigung einer Berufsunfähigkeitsversicherung geraten und alternativ den Abschluss einer Grundfähigkeits-Police empfohlen: prompt wurde die Kundin wegen einer psychischen Krankheit berufsunfähig. Könnten Sie kurz die wichtigsten Punkte des Urteils für unsere Leser zusammenfassen? Aktuell liegt uns noch keine Begründung vor (Landgericht Bamberg, Az.: 43 O 276/18).

Jens Reichow: Kernthema des Falles war die Beendigung der bereits bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung. Diese hatte lediglich eine geringe Berufsunfähigkeitsrente vorgesehen, welche die tatsächlichen Lebenserhaltungskosten der Versicherungsnehmerin im Zeitpunkt der Beratung nicht abdeckte.


Streitig war allerdings, ob sich die Versicherungsnehmerin generell von ihrer bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung trennen wollte oder ob dies erst auf Bestreben des Versicherungsmaklers erfolgte. Im Rahmen der Beweisaufnahme konnte die Versicherungsnehmerin schließlich beweisen, dass die Initiative zur Beendigung des Versicherungsvertrages vom Versicherungsmakler ausging und dieser die Versicherungsnehmerin nicht hinreichend über die Folgen der Umstellung des Versicherungsschutzes beraten hatte.

Versicherungsbote: Wenn ein Kunde eine Grundfähigkeits-Police aktiv anfragt, sollten Vermittler dann auch immer die Option einer Berufsunfähigkeits-Absicherung ansprechen, um nicht in die Haftungsfalle zu tappen?

Jens Reichow: Dem Kunden wird es oft ja generell eher um die Absicherung seiner Arbeitskraft gehen. Dann sollte natürlich auch das Thema Berufsunfähigkeitsversicherung besprochen werden. Fragt der Kunde hingegen gezielt nach einer Grundfähigkeitsversicherung, so stellt sich natürlich die Frage, ob ihm der Unterschied zur Berufsunfähigkeitsversicherung bekannt ist und er sich bewusst gegen eine Berufsunfähigkeitsversicherung entschieden hat. Bestehen Zweifel hierüber, sollte der Vermittler vorsichtshalber lieber nochmals auf das Thema Berufsunfähigkeitsversicherung eingehen.

Versicherungsbote: Im Bamberger Urteil hatte der Makler seiner Kundin trotz Vorerkrankungen dazu geraten, ihre BU zu kündigen und alternativ eine Grundfähigkeitsversicherung abzuschließen. Prompt wurde sie später wegen einer psychischen Krankheit berufsunfähig. Der neue Schutz griff nicht – der Makler muss sie nun wegen Falschberatung entschädigen. Herr Wenzel, welche grundlegenden Punkte sollten Vermittler aus Ihrer Sicht im Beratungsgespräch unbedingt ansprechen, wenn sie zum Unterschied Berufsunfähigkeits- und Grundfähigkeits-Police beraten?

Philip Wenzel: Ich sollte eine Versicherung immer gleichwertig ersetzen. Wenn ich das Haus absichern will, dann muss ich eine Wohngebäude-Versicherung abschließen. Die kann ich dann nicht mit einer Hausrat-Versicherung ersetzen. Wenn ich aus finanziellen Gründen vom bestmöglichen Schutz abweiche, dann muss ich die Unterschiede und vor allem die Nachteile aufzeigen und gut dokumentieren. Dann kann der Kunde entscheiden, ob der finanzielle Vorteil die Veränderung im Absicherungsumfang überwiegt.

Jens Reichow: Wie bereits von Herrn Wenzel angesprochen, unterscheiden sich Berufsunfähigkeitsversicherung und Grundfähigkeitsversicherung vor allem bezüglich des Absicherungsumfanges. Bei der Grundfähigkeitsversicherung geht es ja „nur“ um die Absicherung bestimmter Fähigkeiten. Eine Zahlung wird von der Versicherung also bei Verlust der versicherten Fähigkeiten erbracht – und zwar unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer gleichzeitig berufsunfähig ist oder nicht. Die Berufsunfähigkeitsversicherung stellt hingegen auf die konkrete berufliche Tätigkeit ab. Der Versicherungsfall ist also anders definiert. Hierüber sollte der Versicherungsmakler grundsätzlich aufklären.

Versicherungsbote: Herr Reichow, die Berufsunfähigkeitsversicherung gilt als sehr beratungsintensiv. Können Sie als spezialisierter Anwalt häufige Fehler identifizieren für Haftungsfallen der Makler – vielleicht auch mit dem Blick auf Umdeckungen?

Jens Reichow: Gerade Umdeckungen bergen für Versicherungsvermittler eine erhebliche Haftungsgefahr. Gerichte betonen immer wieder, dass das Ziel des Versicherungsnehmers bei entsprechenden Umdeckungen darin besteht, seinen Versicherungsschutz zu verbessern. Haftungsgefahren für Vermittler bestehen gerade dann, wenn es zu Verschlechterungen des Versicherungsschutzes kommt, zum Beispiel aufgrund von Ausschlüssen wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Siehe hierzu auch unseren Blogbeitrag der Kanzlei Jöhnke & Reichow: „Haftung für die Umdeckung einer Berufsunfähigkeitsversicherung“.

...ist ein doppelter Schutz "BU + Grundfähigkeit" sinnvoll?

Versicherungsbote: Herr Wenzel, Sie empfehlen, sich im Zweifel für einen doppelten Schutz zu entscheiden: BU plus Grundfähigkeit. Weshalb? In welchen Konstellationen bietet sich eine solche doppelte Absicherung an – vielleicht anhand eines Beispiels? Und wie können sich beide Gattungen ergänzen?

Philip Wenzel: Ich finde das vor allem bei Akademikern sehr interessant, weil hier eben in der Freizeit Kosten entstehen können, wenn ich eine Grundfähigkeit verliere. Aber auch jedem anderen entstehen Gesundheitskosten für medizinischen oder technischen Ausgleich der verlorenen Grundfähigkeit.

Versicherungsbote: Grundfähigkeits-Policen gelten als kostengünstiger gegenüber BU-Versicherungen, sind aber auch keineswegs billig. Lassen sich durch die „richtige“ Kombination hier vielleicht sogar Kosten auffangen, etwa für Risikoberufe? Erstmal scheint die Kombi ja ein teures Unterfangen.

Philip Wenzel: Ich kann alle wichtigen Ausgaben über eine BU-Versicherung absichern und hier dann auch auf die Laufzeit achten. Kosten für Kinder oder eine Immobilienfinanzierung laufen in der Regel nicht bis zum 67. Lebensjahr. Je kürzer hier die Laufzeit, desto günstiger wird die Versicherung. Weniger wichtige Ausgaben oder alle, die ich bis 67 habe, kann ich dann über einen Grundfähigkeitsschutz abdecken, quasi für den Worst-Case.

Versicherungsbote: Würden Sie dazu raten, eine Berufsunfähigkeitsversicherung und Grundfähigkeits-Police bei verschiedenen Anbietern abzuschließen, falls es Probleme mit der Leistungszusage und juristischen Streit geben sollte? Wir empfehlen zumindest in unseren Texten, BU und Rechtsschutz bei verschiedenen Anbietern zu wählen, damit der Rechtsschutzversicherer die Eintrittspflicht eines BU-Falles nicht wegen mangelnder Erfolgsabsichten ablehnt, wenn er eine Klage gegen sich selbst unterstützen soll.

Philip Wenzel: Das ist eine Typ-Frage: Ärgere ich mich dann, dass ich nicht beide Produkte bei dem Versicherer abgeschlossen habe, der gut leistet? Ärgere ich mich über den Mehraufwand, weil ich alles doppelt ausfüllen muss? Ich denke nicht, dass es einen Nachteil bringt, aber einen Vorteil bringt es auch nicht. Ich würde da eher entscheiden, welcher Versicherer bei welchem Produkt die beste Annahme anbietet. Wenn das der gleiche ist, dann ist das eben so.

Versicherungsbote: Herr Reichow, ein häufig vorgebrachter Vorwurf gegen BU-Versicherer: Im Leistungsfall verwickeln sie die Versicherten in lange Rechtsstreite, statt schnell zu zahlen. Die Branche wehrt sich dagegen mit dem Verweis darauf, dass mehr als 80% der Leistungsanträge positiv beschieden werden. Wie sind hier Ihre persönlichen Erfahrungen: Wird besonders häufig über BU-Leistungen juristisch gestritten?

Jens Reichow: Als Kanzlei haben wir uns unter anderem auf die Vertretung in Berufsunfähigkeits-Streitigkeiten spezialisiert. Daher betreffen viele von unserer Kanzlei betreute Mandate Streitigkeiten im Zusammenhang mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Allerdings begleiten wir Mandanten auch im Zusammenhang mit der Leistungsfallbeantragung. Dabei würde ich sagen, dass unsere Mandanten durchaus in einer relativ hohen Zahl von Fällen, die wir im Bereich des Leistungsantrages begleiten, eine Anerkennung ihrer Berufsunfähigkeit erhalten. Ich denke, bezüglich der Bescheidung von BU-Leistungsanträgen ist immer auch entscheidend, wie gut der Leistungsantrag des Versicherers ausgefüllt wird.

Versicherungsbote: Herr Wenzel, ein Argument gegen Grundfähigkeits-Policen ist, dass psychische Erkrankungen – Hauptauslöser für BU-Renten – nicht oder nur unzureichend abgesichert sind. Pascal Schiffels, Geschäftsführer des Analysehauses Morgen & Morgen, betont: Der Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit in Grundfähigkeitsversicherungen sei „in den meisten Tarifen“ zwar mitversichert, dieser greife jedoch „sehr spät“ und sei „in keiner Weise mit dem Schutz einer BU-Versicherung zu vergleichen“. Wie hat sich hier in den letzten Jahren der Markt entwickelt?

Philip Wenzel: Mittlerweile lassen sich über zusätzliche Bausteine schwere Depressionen und/oder Schizophrenie versichern, ebenso eine Leistung bei einer vollen Erwerbsminderung wegen einer psychischen Erkrankung. Zumindest letztere Variante sollte in vielen Fällen leisten.

Versicherungsbote: Welche Erfahrungen haben Sie als Vermittler mit Grundfähigkeits-Anbietern gemacht, wenn der Leistungsfall eingetreten ist? Bei BU kommt es vergleichsweise oft zu Rechtsstreiten über die Frage, ob tatsächlich die 50-prozentige Berufsunfähigkeit erreicht ist. Wie ist hier das Konfliktpotential bei Grundfähigkeits-Absicherungen? Schließlich arbeitet sie auch mit Schwellenwerten, wie stark eine Fähigkeit beeinträchtigt sein muss, bis gezahlt wird.

Philip Wenzel: Hier gibt es noch keine großen Erfahrungswerte. Es zeichnet sich allerdings schon ab, dass viele Kunden die Auslöser missverstehen und noch kein Leistungsfall sind, wenn sie die Rente beantragen. Und oft muss die Leistung auch abgelehnt werden, weil die Gesundheitsfragen nicht richtig beantwortet wurden. Hier zeigen sich auch diese Verträge durchaus beratungsintensiv: Wie auch bei der Berufsunfähigkeits-Absicherung muss im Beratungsgespräch der Bedarf des Kunden geklärt und dann das Produkt erklärt werden, damit der Kunde für sich die richtige Entscheidung trifft.

Die Fragen stellte Mirko Wenig