Versicherungsbote: Herr Wenzel, Sie empfehlen, sich im Zweifel für einen doppelten Schutz zu entscheiden: BU plus Grundfähigkeit. Weshalb? In welchen Konstellationen bietet sich eine solche doppelte Absicherung an – vielleicht anhand eines Beispiels? Und wie können sich beide Gattungen ergänzen?
Philip Wenzel: Ich finde das vor allem bei Akademikern sehr interessant, weil hier eben in der Freizeit Kosten entstehen können, wenn ich eine Grundfähigkeit verliere. Aber auch jedem anderen entstehen Gesundheitskosten für medizinischen oder technischen Ausgleich der verlorenen Grundfähigkeit.
Versicherungsbote: Grundfähigkeits-Policen gelten als kostengünstiger gegenüber BU-Versicherungen, sind aber auch keineswegs billig. Lassen sich durch die „richtige“ Kombination hier vielleicht sogar Kosten auffangen, etwa für Risikoberufe? Erstmal scheint die Kombi ja ein teures Unterfangen.
Philip Wenzel: Ich kann alle wichtigen Ausgaben über eine BU-Versicherung absichern und hier dann auch auf die Laufzeit achten. Kosten für Kinder oder eine Immobilienfinanzierung laufen in der Regel nicht bis zum 67. Lebensjahr. Je kürzer hier die Laufzeit, desto günstiger wird die Versicherung. Weniger wichtige Ausgaben oder alle, die ich bis 67 habe, kann ich dann über einen Grundfähigkeitsschutz abdecken, quasi für den Worst-Case.
Versicherungsbote: Würden Sie dazu raten, eine Berufsunfähigkeitsversicherung und Grundfähigkeits-Police bei verschiedenen Anbietern abzuschließen, falls es Probleme mit der Leistungszusage und juristischen Streit geben sollte? Wir empfehlen zumindest in unseren Texten, BU und Rechtsschutz bei verschiedenen Anbietern zu wählen, damit der Rechtsschutzversicherer die Eintrittspflicht eines BU-Falles nicht wegen mangelnder Erfolgsabsichten ablehnt, wenn er eine Klage gegen sich selbst unterstützen soll.
Philip Wenzel: Das ist eine Typ-Frage: Ärgere ich mich dann, dass ich nicht beide Produkte bei dem Versicherer abgeschlossen habe, der gut leistet? Ärgere ich mich über den Mehraufwand, weil ich alles doppelt ausfüllen muss? Ich denke nicht, dass es einen Nachteil bringt, aber einen Vorteil bringt es auch nicht. Ich würde da eher entscheiden, welcher Versicherer bei welchem Produkt die beste Annahme anbietet. Wenn das der gleiche ist, dann ist das eben so.
Versicherungsbote: Herr Reichow, ein häufig vorgebrachter Vorwurf gegen BU-Versicherer: Im Leistungsfall verwickeln sie die Versicherten in lange Rechtsstreite, statt schnell zu zahlen. Die Branche wehrt sich dagegen mit dem Verweis darauf, dass mehr als 80% der Leistungsanträge positiv beschieden werden. Wie sind hier Ihre persönlichen Erfahrungen: Wird besonders häufig über BU-Leistungen juristisch gestritten?
Jens Reichow: Als Kanzlei haben wir uns unter anderem auf die Vertretung in Berufsunfähigkeits-Streitigkeiten spezialisiert. Daher betreffen viele von unserer Kanzlei betreute Mandate Streitigkeiten im Zusammenhang mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Allerdings begleiten wir Mandanten auch im Zusammenhang mit der Leistungsfallbeantragung. Dabei würde ich sagen, dass unsere Mandanten durchaus in einer relativ hohen Zahl von Fällen, die wir im Bereich des Leistungsantrages begleiten, eine Anerkennung ihrer Berufsunfähigkeit erhalten. Ich denke, bezüglich der Bescheidung von BU-Leistungsanträgen ist immer auch entscheidend, wie gut der Leistungsantrag des Versicherers ausgefüllt wird.
Versicherungsbote: Herr Wenzel, ein Argument gegen Grundfähigkeits-Policen ist, dass psychische Erkrankungen – Hauptauslöser für BU-Renten – nicht oder nur unzureichend abgesichert sind. Pascal Schiffels, Geschäftsführer des Analysehauses Morgen & Morgen, betont: Der Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit in Grundfähigkeitsversicherungen sei „in den meisten Tarifen“ zwar mitversichert, dieser greife jedoch „sehr spät“ und sei „in keiner Weise mit dem Schutz einer BU-Versicherung zu vergleichen“. Wie hat sich hier in den letzten Jahren der Markt entwickelt?
Philip Wenzel: Mittlerweile lassen sich über zusätzliche Bausteine schwere Depressionen und/oder Schizophrenie versichern, ebenso eine Leistung bei einer vollen Erwerbsminderung wegen einer psychischen Erkrankung. Zumindest letztere Variante sollte in vielen Fällen leisten.
Versicherungsbote: Welche Erfahrungen haben Sie als Vermittler mit Grundfähigkeits-Anbietern gemacht, wenn der Leistungsfall eingetreten ist? Bei BU kommt es vergleichsweise oft zu Rechtsstreiten über die Frage, ob tatsächlich die 50-prozentige Berufsunfähigkeit erreicht ist. Wie ist hier das Konfliktpotential bei Grundfähigkeits-Absicherungen? Schließlich arbeitet sie auch mit Schwellenwerten, wie stark eine Fähigkeit beeinträchtigt sein muss, bis gezahlt wird.
Philip Wenzel: Hier gibt es noch keine großen Erfahrungswerte. Es zeichnet sich allerdings schon ab, dass viele Kunden die Auslöser missverstehen und noch kein Leistungsfall sind, wenn sie die Rente beantragen. Und oft muss die Leistung auch abgelehnt werden, weil die Gesundheitsfragen nicht richtig beantwortet wurden. Hier zeigen sich auch diese Verträge durchaus beratungsintensiv: Wie auch bei der Berufsunfähigkeits-Absicherung muss im Beratungsgespräch der Bedarf des Kunden geklärt und dann das Produkt erklärt werden, damit der Kunde für sich die richtige Entscheidung trifft.
Die Fragen stellte Mirko Wenig