Welche Zukunft hat die Riester-Rente, wenn sie nur noch als Netto-Variante angeboten werden kann? Und welche Folgen sind für Verbraucher und Versicherungsvermittler absehbar, wenn sich Honorarberatung durchsetzt? Darüber sprach Versicherungsbote mit Dr. Helge Lach, dem Vorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Vermögensberater (BDV).
Versicherungsbote: Von den 310.000 neuen Riester-Verträgen haben die Mitglieder des Bundesverbands Deutscher Vermögensberater 145.000 vermittelt. Was machen die Mitglieder Ihres Verbands anders?
Dr. Helge Lach: Unsere Mitglieder haben immer auf das Riester-Sparen geachtet. Die Anzahl jährlich neu vermittelter Verträge lag in den letzten 5 Jahren immer über 70.000 Stück. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Eigentlich muss jeder rentenversicherungspflichtige Bürger darauf angesprochen werden, dass mit der Riester-Rente eine Lücke in der gesetzlichen Rente geschlossen werden sollte, die aufgrund einer Rentenreform im Jahr 2002 entstanden ist.
Und zweitens: Es gibt viele Bürger mit niedrigeren Einkommen und mit Kindern. Wenige davon können sich nennenswerte monatliche Beträge leisten. Einen Riestervertrag gibt es aber bereits ab 5 Euro im Monat. Die Rente ist lebenslang garantiert. Und mit den Zulagen liegt die Rendite fast immer im zweistelligen Bereich. Wo sonst gibt es für so wenig Geld eine sichere Anlage mit derart hoher Rendite? Unsere Auffassung ist deshalb: Wer Riester nicht angeboten hat, hat falsch beraten. Wenn der Kunde den Vertrag am Ende trotz Beratung nicht wollte oder selbst die Kleinstbeiträge nicht aufbringen konnte, ist das ein anderes Thema.
Ist dieser Neugeschäfts-Erfolg der Riester-Rente wiederholbar? Immerhin hat der Gesetzgeber doch Bestandsschutz für diese Zusatzvorsorge im Koalitionsvertrag festgehalten.
Die hohen Absatzzahlen im Jahr 2021 hatten einen Grund: Wegen der Absenkung des Höchstrechnungszinses sind Riester-Renten mit Bruttobeitragsgarantie nicht mehr kostendeckend kalkulierbar. Die meisten Anbieter haben deshalb zum Jahreswechsel ihre Angebote vom Markt genommen. Dies hat auch fast alle unserer Verbandsmitglieder getroffen, die als gebundene Vermittler arbeiten.
Es ist unsere Pflicht, Kunden ohne Riester-Vertrag auf diese Entwicklung hinzuweisen. Denn möglicherweise war dies die letzte Möglichkeit, sich einen Vertrag zu sichern. Immerhin sprechen wir von Vertragslaufzeiten von 30 Jahren und mehr. In diesem Zeitraum gibt es staatliche Förderung im fünfstelligen Euro-Bereich, die Rendite darauf und mögliche zusätzliche Steuervorteile noch gar nicht eingerechnet.
Den Bestandsschutz der Bundesregierung sehen wir ambivalent: Natürlich dürfen Bürger, die im Vertrauen auf staatliche Leistungen Verträge abschließen, nicht politischer Willkür ausgesetzt sein. Immerhin betrifft dies über 16 Millionen Riester-Sparer. Auf der anderen Seite ist der Bestandsschutz nur die Hälfte wert, wenn die weiter geltende Bruttobeitragsgarantie die Anbieter zwingt, weiterhin in sichere und damit renditeschwache Kapitalanlagen investieren zu müssen. Aus dem Produkt heraus kann so nahezu keine Rendite generiert werden.
All das liegt nicht in der Verantwortung der Anbieter. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass es kaum noch Angebote gibt, widerlegt die Behauptung von Verbraucherschützern, die Anbieter würden mit Riester zu Lasten des Kunden viel Geld verdienen. Kein Produzent nimmt ohne Zwang ein Produkt vom Markt, mit dem sich viel Geld verdienen lässt.
Wir plädieren deshalb sehr dafür, dass auch Bestandskunden ihren Riestervertrag so umstellen können sollten, dass das Kapital chancenreicher angelegt werden kann. Der Preis dafür ist der Wegfall der 100%-Garantie. Aber das sollte jeder Kunde selbst entscheiden dürfen. Darüber hinaus können wir nur altbekannte Reformvorschläge wiederholen: Die Riester-Zulagen sollten gerade wegen steigender Inflation dynamisiert und das Zulagenverfahren sowie die Förderbedingungen sollten vereinfacht werden. Dann wäre der Bestandsschutz wirklich wertvoll, und es würde auch wieder deutlich mehr Tarife für das Neugeschäft geben.
Bürger brauchen Mitsprache bei der privaten Altersvorsorge
Die Riester-Produkte haben in der Vergangenheit ihre Anpassungsfähigkeit immer wieder unter Beweis gestellt. Warum ist es dennoch nicht gelungen, die letzte Bundesregierung zum Einhalten des eigenen Koalitionsvertrags zu bewegen?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich die Branche und auch die Union nichts vorzuwerfen haben. In einer einmaligen konzertierten Aktion haben sich die Verbände der Lebensversicherer, der Fondsgesellschaften und der Bausparkassen auf ein gemeinsames 5-Punkte-Reformpaket verständigt. Das ist außergewöhnlich, denn die Branchen schenken sich normalerweise nichts. Der Reformwille war also da. Wir Vermittlerverbände haben die Vorschläge zu 100% mitgetragen. Und die zuständigen Politiker der Union haben alles versucht, darauf aufbauend Bewegung in die Sache zu bringen.
Inzwischen ist bekannt, warum Riester nicht reformiert wurde. Das lag an einer Grundüberzeugung der SPD, die man teilen kann oder nicht. Danach soll es staatliche Förderung für die private Altersversorgung nur geben, wenn das Leistungsprinzip dem der gesetzlichen Rente folgt. Und das ist nun einmal die lebenslange garantierte Rente. Dies ist der Grund, warum die SPD die Bruttobeitragsgarantie nicht verändern wollte und will. Außerdem vernehmen wir in der SPD eine gewisse Aversion gegenüber den Finanzmärkten, wenn es um das Thema Altersvorsorge geht. Dies erklärt wohl auch, warum in den letzten acht Jahren die gesetzliche Rente immer weiter ausgebaut wurde, währenddessen für die private Altersvorsorge nahezu nichts getan wurde.
Wir sehen dies etwas differenzierter: Wir teilen die Auffassung, dass sich die Bürger im Alter auf ein festes Renten-Basiseinkommen verlassen können müssen. Das bietet die gesetzliche Rente. Wenn es aber darum geht, freiwillig mehr zu tun und der Staat dazu einen kleinen Teil beiträgt, muss doch der Bürger die Mitspracherechte dazu bekommen, wie sein Geld angelegt wird. Alles andere wäre Bevormundung.
Ein Kritikpunkt, der Riester-Produkten vorgehalten wird, betrifft die Vertriebskosten. Dieser Kostenfaktor fällt bei sogenannten Netto-Tarifen weg. Klingt doch nach einer kundenorientierten Lösung. Was genau stört Sie daran?
In meinem inzwischen über 35-jährigen Berufsleben in der Versicherungs- und Finanzwirtschaft gab es immer wieder einzelne Anbieter, die um jeden Preis auf Neugeschäft aus waren. Das hat am Ende meistens dem Ansehen der Branche insgesamt geschadet. Genauso verläuft es nach unserer Einschätzung auch jetzt wieder. Riester-Nettotarife sind ein klarer Hinweis an die Politik, dass es auch ohne Provision gehen könnte. Denn in den meisten Fällen organisieren diese Versicherer für die Vermittlern eine Zusammenarbeit mit Dienstleistern, die als Alternative zur Provision dem Kunden Honorare in Rechnung stellen. Das alles ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die seit langem gegen Provisionen sind. Was wir besonders kritisieren: Die meisten Kunden realisieren gar nicht, was hinter den Honorarmodellen steckt und wie teuer diese am Ende werden. Es ist falsch, dass der Wegfall von Vertriebskosten bei Nettotarifen weniger Kosten verursacht. Allein die Umsatzsteuerbelastung auf Honorare verteuert die Beratung im Vergleich zur Provision. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber und die Aufsicht hier eingreifen und mindestens die gleichen Transparenzanforderungen abverlangen, die auch für die Provisionsberatung gelten. Unser Eindruck ist: Die Kunden unterschreiben Vereinbarungen, deren Inhalte ihnen nicht klar sind. Vor allem wird nicht klar, dass die Honorarvereinbarung nicht das Schicksal des Versicherungsvertrages teilt. Eine Honorarrückzahlung für den Fall einer Stornierung des Vertrages gibt es nicht. Wo bleibt da der Verbraucherschutz, den die Branche sich mit der Provisionshaftzeit selbst auferlegt hat?
Wir werben in der Politik dafür, für das Neugeschäft die Riester-Zulagen zu schließen. Das wäre leider das Ende eines Erfolgskonzeptes. Aber dem aus unserer Sicht verbraucherschädlichen Marktverhalten einiger weniger wäre damit ein Ende bereitet. Alternativ würde auch hier der Wegfall der Bruttobeitragsgarantie helfen. Denn dann könnten die Anbieter wieder kostendeckend mit Provision kalkulieren.
Ihrer Ansicht nach sind Honorare, die dem Zeitaufwand des Vermittlers gerecht werden, nicht durchsetzbar. Wie intensiv ist denn eine Riester-Beratung und wie hoch wäre ungefähr ein „angemessenes Honorar“?
Eines vorweg: Nicht nur die Anbieter, auch die Vermittler arbeiten alles andere als profitabel. Denn die Relation zwischen dem Aufwand des Vermittlers und seiner Vergütung ist bei kaum einem anderen Finanzprodukt so ungünstig wie bei Riester. Allein dies ist schon ein deutliches Indiz dafür, dass die Honorarberatung teurer wäre, wenn tatsächlich nach Zeitaufwand abgerechnet wird.
Woher kommt der Aufwand? Unsere Verbandsmitglieder müssen bei der Beantragung dem Kunden über 50 Blatt bedrucktes Papier aushändigen und insgesamt bis zu sechs Unterschriften einholen. Die Förderberechtigung für den Versicherten und für Kinder muss geprüft werden, die richtige Beitragshöhe ist zu ermitteln, das Produkt und die Fördersystematik müssen erklärt werden und es sind unzählige Formulare auszufüllen. Doch damit nicht genug: Wer einen Riester-Vertrag hat, kennt die jährlichen Briefe, mit denen die Zulagenberechtigung überprüft wird. Neun von zehn Kunden sind jedes Jahr aufs Neue unsicher, ob und was zu tun ist. Sie wenden sich an ihren Vermittler, der dann mit dem Kunden alles abklären muss. Stellen Sie sich einen Vermittler mit einem Bestand von 300 oder 400 Riester-Kunden vor. Der ist, wenn die Briefe versandt wurden, mindestens eine Woche mit nichts anderem beschäftigt.
Mit Stundensätzen von 150 Euro zzgl. Umsatzsteuer würde bei Honorarberatung über die gesamte Vertragslaufzeit ein Betrag fällig werden, der ein Vielfaches der üblichen Provisionen ausmacht. Das zahlt kein Kunde. Was wäre die Folge? Nach dem Abschluss wäre der Kunde auf sich allein gestellt, wenn er nicht zahlt. Es wäre eine Frage kurzer Zeit, wann die Zulagen nicht mehr oder nicht mehr in voller Höhe fließen, weil notwendige Meldungen nicht erfolgt sind.
Honorarberatung bietet erheblichen Raum für Interessenkonflikte und Übervorteilung des Kunden
Vergleicht man die Preise, die von den Verbraucherzentralen für Altersvorsorge-Beratung aufgerufen werden, staunt man nicht schlecht über die deutlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern. Braucht es nicht auch so etwas wie eine Gebührenordnung, wenn die Politik schon Honorarvermittlung stärkt?
Es gibt Gebührenordnungen für Ärzte, für Zahnärzte und für Rechtsanwälte. Das Thema ist also bei freien Berufen nicht neu. Sollte sich die Honorarberatung also weiterverbreiten, wird es wohl früher oder später notwendig werden, mit einer Gebührenordnung Richtwerte zu schaffen. Die Befürworter der Honorarberatung, die ja immer wieder angebliche Missstände bei der Provisionsberatung beklagen, haben noch gar nicht erkannt, dass bei der Honorarberatung ganz erheblicher Raum für Interessenskonflikte und für eine Übervorteilung des Kunden besteht.
Würden Sie folgendem Satz zustimmen? „Wer jetzt keine Riester-Vorsorge anbietet, obwohl es sinnvoll wäre, zeigt, dass Provisionsinteresse vor Kundennutzen steht.“
Allgemein ist doch damit gesagt: „Wer nicht bereit ist, seine redliche Arbeit auch unentgeltlich zu leisten, ist ein Egoist“. Erzählen Sie das einmal einem Bäcker, einem Handwerker oder einem Rechtsanwalt.
Vermittler sind Unternehmer im Dienst ihrer Kunden. Sie haben Kosten für die eigene Aus- und Weiterbildung, für Personal, für Auszubildende, für Büroräume und für IT. Und sie investieren tagtäglich ihre Arbeitszeit, sehr oft zu einer Uhrzeit, zu der die meisten anderen ihre Freizeit oder das Wochenende genießen. Das soll alles auf eigene Rechnung geschehen? Und wenn nicht, soll das Provisionsgier sein?
Kritiker befürchten, dass bei der Riester-Rente nun Wettbewerb über reduzierte Vermittlervergütung stattfindet. Setzt sich das durch, folgen alle anderen Rentenversicherungen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Riester-Tarife mit halber oder deutlich reduzierter Provision sehen wir genauso kritisch wie Nettotarife in Verbindung mit Honorarmodellen. Bei Tarifen mit reduzierter Provision ist allerdings der Vermittler der Leidtragende, da er für die gleiche Arbeit wie bisher deutlich weniger Vergütung bekommt. Man stelle sich vor, andere freie Berufe müssten auf einmal ihre Arbeit für die Hälfte der bisherigen Vergütung erbringen. Es gäbe in diesem Berufsstand einen Sturm der Entrüstung.
In unserem Falle werden die Vermittler aber mehr oder weniger genötigt, für deutlich weniger Bezahlung zu arbeiten. Denn wenn ein Anbieter einen Riester-Tarif zur Verfügung stellt und der Vermittler trifft auf einen Kunden mit niedrigem Einkommen und Kindern, muss der Vermittler das Produkt anbieten. Alles andere wäre Falschberatung. Die Zeche zahlt aber der Vermittler.
Zu was das führen kann, ist absehbar: Die Einnahmen der Vermittler würden auf Sicht nicht mehr ausreichen, um die Kosten zu decken und die eigene Familie aus dem Unternehmerlohn zu finanzieren. Viele werden den Beruf aufgeben müssen. Die anderen werden keine andere Wahl haben, als die Kosten zu senken: Sie werden keine Azubis mehr beschäftigen, die Vollzeit- in eine Teilzeitstelle umwandeln und weniger Geld in die eigene Aus- und Weiterbildung sowie in die Modernisierung des Geschäftsbetriebes investieren. Und sie werden ihren Kunden klar machen, dass der gewohnte Service nicht mehr möglich ist. Genau dieser Service ist es aber, den der Kunde benötigt und der den Vorteil der persönlichen Beratung gegenüber Direktvertreibern ausmacht. Werden Vermittler nicht mehr angemessen vergütet, wird es auf mittlere Sicht keine mehr geben können. Dessen sollten sich alle Anbieter bewusst sein, die ihre Vermittler mit halber Provision in die Verantwortung nehmen.
Was uns aber in diesem Kontext noch viel mehr Sorge bereitet: Allenthalben ist davon zu hören, dass es Probleme geben kann, wenn Vermittler provisionsbasiert beraten. Mit halber Provision entstehen wirtschaftliche Nöte, die geradezu Interessenskonflikte provozieren, ohne dass dies moralisch dem Verhalten des Vermittlers zuzurechnen wäre. Es geht um das wirtschaftliche Überleben.
Wir stehen deshalb als Verband für eine ganz klare Linie: Vermittler müssen für ihre Dienstleistung angemessen bezahlt werden. Das ist der beste Verbraucherschutz überhaupt. Wenn ein Produkt wie Riester dies nicht mehr ermöglicht, haben die Anbieter sogar die moralische Verpflichtung gegenüber ihren Vermittlern, das Produkt vom Markt zu nehmen. Alles andere widerspricht dem Prinzip einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gepaart mit Verantwortungsbewusstsein und Respekt für die Arbeit der Vermittler.
Ein letzter Aspekt zum Thema: Er betrifft gebundene Vermittler, deren Produktpartner Riester vom Markt genommen haben, und das sind die meisten. Diese Vermittler stellen sich natürlich die Frage eines „Level-Playing-Fields“, wenn andere Vermittler Riester anbieten können. Soll ein Vermittler, wenn ein Kunde nach Riester fragt, diesen zur Konkurrenz auf der anderen Straßenseite schicken? Das darf man von keinem Unternehmer erwarten. Das aktuelle Verhalten einiger Anbieter provoziert aber solche Fragestellungen.
Hinweis: Der Text erschien zuerst im kostenlosen Versicherungsbote-Fachmagazin 01/2022.