Riester-Rente in der Netto-Variante: „Die meisten Kunden realisieren gar nicht, was hinter den Honorarmodellen steckt“

Quelle: DVAG AG

Vergleicht man die Preise, die von den Verbraucherzentralen für Altersvorsorge-Beratung aufgerufen werden, staunt man nicht schlecht über die deutlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern. Braucht es nicht auch so etwas wie eine Gebührenordnung, wenn die Politik schon Honorarvermittlung stärkt?

Es gibt Gebührenordnungen für Ärzte, für Zahnärzte und für Rechtsanwälte. Das Thema ist also bei freien Berufen nicht neu. Sollte sich die Honorarberatung also weiterverbreiten, wird es wohl früher oder später notwendig werden, mit einer Gebührenordnung Richtwerte zu schaffen. Die Befürworter der Honorarberatung, die ja immer wieder angebliche Missstände bei der Provisionsberatung beklagen, haben noch gar nicht erkannt, dass bei der Honorarberatung ganz erheblicher Raum für Interessenskonflikte und für eine Übervorteilung des Kunden besteht.

Würden Sie folgendem Satz zustimmen? „Wer jetzt keine Riester-Vorsorge anbietet, obwohl es sinnvoll wäre, zeigt, dass Provisionsinteresse vor Kundennutzen steht.“

Allgemein ist doch damit gesagt: „Wer nicht bereit ist, seine redliche Arbeit auch unentgeltlich zu leisten, ist ein Egoist“. Erzählen Sie das einmal einem Bäcker, einem Handwerker oder einem Rechtsanwalt.
Vermittler sind Unternehmer im Dienst ihrer Kunden. Sie haben Kosten für die eigene Aus- und Weiterbildung, für Personal, für Auszubildende, für Büroräume und für IT. Und sie investieren tagtäglich ihre Arbeitszeit, sehr oft zu einer Uhrzeit, zu der die meisten anderen ihre Freizeit oder das Wochenende genießen. Das soll alles auf eigene Rechnung geschehen? Und wenn nicht, soll das Provisionsgier sein?

Kritiker befürchten, dass bei der Riester-Rente nun Wettbewerb über reduzierte Vermittlervergütung stattfindet. Setzt sich das durch, folgen alle anderen Rentenversicherungen. Teilen Sie diese Befürchtung?

Riester-Tarife mit halber oder deutlich reduzierter Provision sehen wir genauso kritisch wie Nettotarife in Verbindung mit Honorarmodellen. Bei Tarifen mit reduzierter Provision ist allerdings der Vermittler der Leidtragende, da er für die gleiche Arbeit wie bisher deutlich weniger Vergütung bekommt. Man stelle sich vor, andere freie Berufe müssten auf einmal ihre Arbeit für die Hälfte der bisherigen Vergütung erbringen. Es gäbe in diesem Berufsstand einen Sturm der Entrüstung.
In unserem Falle werden die Vermittler aber mehr oder weniger genötigt, für deutlich weniger Bezahlung zu arbeiten. Denn wenn ein Anbieter einen Riester-Tarif zur Verfügung stellt und der Vermittler trifft auf einen Kunden mit niedrigem Einkommen und Kindern, muss der Vermittler das Produkt anbieten. Alles andere wäre Falschberatung. Die Zeche zahlt aber der Vermittler.
Zu was das führen kann, ist absehbar: Die Einnahmen der Vermittler würden auf Sicht nicht mehr ausreichen, um die Kosten zu decken und die eigene Familie aus dem Unternehmerlohn zu finanzieren. Viele werden den Beruf aufgeben müssen. Die anderen werden keine andere Wahl haben, als die Kosten zu senken: Sie werden keine Azubis mehr beschäftigen, die Vollzeit- in eine Teilzeitstelle umwandeln und weniger Geld in die eigene Aus- und Weiterbildung sowie in die Modernisierung des Geschäftsbetriebes investieren. Und sie werden ihren Kunden klar machen, dass der gewohnte Service nicht mehr möglich ist. Genau dieser Service ist es aber, den der Kunde benötigt und der den Vorteil der persönlichen Beratung gegenüber Direktvertreibern ausmacht. Werden Vermittler nicht mehr angemessen vergütet, wird es auf mittlere Sicht keine mehr geben können. Dessen sollten sich alle Anbieter bewusst sein, die ihre Vermittler mit halber Provision in die Verantwortung nehmen.
Was uns aber in diesem Kontext noch viel mehr Sorge bereitet: Allenthalben ist davon zu hören, dass es Probleme geben kann, wenn Vermittler provisionsbasiert beraten. Mit halber Provision entstehen wirtschaftliche Nöte, die geradezu Interessenskonflikte provozieren, ohne dass dies moralisch dem Verhalten des Vermittlers zuzurechnen wäre. Es geht um das wirtschaftliche Überleben.
Wir stehen deshalb als Verband für eine ganz klare Linie: Vermittler müssen für ihre Dienstleistung angemessen bezahlt werden. Das ist der beste Verbraucherschutz überhaupt. Wenn ein Produkt wie Riester dies nicht mehr ermöglicht, haben die Anbieter sogar die moralische Verpflichtung gegenüber ihren Vermittlern, das Produkt vom Markt zu nehmen. Alles andere widerspricht dem Prinzip einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gepaart mit Verantwortungsbewusstsein und Respekt für die Arbeit der Vermittler.
Ein letzter Aspekt zum Thema: Er betrifft gebundene Vermittler, deren Produktpartner Riester vom Markt genommen haben, und das sind die meisten. Diese Vermittler stellen sich natürlich die Frage eines „Level-Playing-Fields“, wenn andere Vermittler Riester anbieten können. Soll ein Vermittler, wenn ein Kunde nach Riester fragt, diesen zur Konkurrenz auf der anderen Straßenseite schicken? Das darf man von keinem Unternehmer erwarten. Das aktuelle Verhalten einiger Anbieter provoziert aber solche Fragestellungen.

Hinweis: Der Text erschien zuerst im kostenlosen Versicherungsbote-Fachmagazin 01/2022.