Stephan Schmitz von der Gothaer Allgemeine Versicherung und Andreas Knittel von der HDI haben sich auf Technische Versicherungen (TV) spezialisiert und im Verlag Versicherungswirtschaft ein Fachbuch hierzu vorgelegt. Im Interview erklären sie, weshalb diese Verträge so wichtig sind – und warum sie dennoch in der Fachwelt nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.
Versicherungsbote: Ihr Steckenpferd sind Technische Versicherungen für kleine und mittlere Unternehmen. Mir ist aufgefallen, dass selbst in Branchenmagazinen selten dieser Bereich beleuchtet wird. Naiv gefragt: Wer ist die Zielgruppe? Und wie verbreitet sind diese Verträge?
Stephan: Tatsächlich decken die Technischen Versicherungen die gesamte Bandbreite des Marktes ab. Mein Fokus liegt dabei im Bereich der Industriellen Unternehmen, Andreas deckt die spezifischen Besonderheiten für „KMU“ im Bereich Technische Versicherungen (TV) ab. Allerdings gibt es hier erstens keine marktweit einheitliche Segmentierung und zweitens immer wieder Grenzüberschreitungen.
Und tatsächlich befinden wir uns hier auch in einem medial sehr unterrepräsentierten Bereich – ich stimme zu, dass andere Sachsparten sehr viel präsenter sind.
Das ist ja auch genau der Grund, warum Andreas und ich das Buch „Technische Versicherungen – Leitfaden für die Praxis“ geschrieben haben. Es ist kaum möglich, sich in diesem Segment fachlich auf dem Laufenden zu halten. Das letzte Fachhandbuch aus diesem Bereich stammt aus dem Jahr 1987.
Denn das Kuriose ist: Mindestens 80 Prozent aller Unternehmen – bezogen auf den gesamten deutschen Markt und unabhängig von Umsatzgrößen – haben dringenden Bedarf für mindestens eine Sparte aus dem Bereich TV. Wer braucht keine Elektronik-Versicherung? Ein Hallenneubau ohne Bauleistungsversicherung: undenkbar.
Natürlich bevorzugen Versicherer bestimmte Branchen, bei denen neben dem Versicherungsbedarf auch die Schadenquotenerwartung fröhlich stimmt. Dazu gehören zum Beispiel Maschinenbau, Papierindustrie oder Energieerzeugung. Aber vom kleinen Bürobetrieb bis zum Produktionsunternehmen mit mehreren Produktionssträngen gehört das Thema TV – inklusive dem nicht einfachen Thema TV-Betriebsunterbrechung – in jedes professionelle Beratungsgespräch.
Andreas: Da kann ich Stephan nur zustimmen. Die TV-Versicherer sind in der Wahrnehmung etwas unterrepräsentiert. Das liegt aber unter anderem auch daran, dass das TV-Geschäft im Vergleich zu den allgemeinen Sachsparten wie Feuer, ED, LW usw. oder der Haftpflichtversicherung ein geringeres, wenn auch zunehmend bedeutendes und ertragreiches Volumen aufweist. Allein daher wird auch auf Seiten der Versicherer eher das großvolumige Geschäft beworben bzw. findet sich in der öffentlichen Kommunikation wieder.
Man darf aber auch nicht vergessen, dass im Gewerbesegment viele TV-Deckungen innerhalb der Multilineprodukte – also im Verbund verschiedenster Versicherungssparten – integriert sind. Als Beispiele seien die Elektronikversicherung, die Versicherung der stationären Maschinen oder die Montageversicherung zu nennen. Diese Multilineprodukte werden sehr stark beworben und in einschlägigen Magazinen dargestellt.
Nicht außer Acht zu lassen sind die verschiedensten TV-Produkte im Privatbereich: Garantieverlängerungen (z.B. für Konsumelektronik) oder auch die Bauleistungsversicherung. Diese Produkte ordnet man gedanklich häufig – irrtümlicherweise – nicht den technischen Versicherungen zu, sind aber schon sehr verbreitet und spielen eine immer größere Rolle. Welcher private Bauherr baut heute ein Einfamilienhaus ohne Bauleistungsversicherung?
Noch ein letzter Punkt, den ich erwähnen möchte: Leider ist zu beobachten, dass das TV-Know-how im Vertrieb, aber auch in den Zentralen der Versicherer abnimmt. Und wenn weniger „Köpfe“ vorhanden sind, dann kann auch weniger fachlich kommuniziert werden. Das liegt zum einen am fehlenden Nachwuchs, zumal viele erfahrene Experten ihren Anspruch auf Altersteilzeit nutzen, zum anderen an der Ausrichtung auf andere Prioritäten in der Versicherungswirtschaft.
In der Gewerbeversicherung allgemein sehen wir uns mit der Situation konfrontiert, dass der Markt einerseits umkämpft ist, dass aber andererseits auch viele Versicherer die Prämien zuletzt anheben mussten, um rentabel zu bleiben. Wie ist der Stand speziell bei den Technischen Versicherungen?
Andreas: Im kleineren Gewerbebereich ist von den Beitragssteigerungen nach meinem Empfinden noch nichts zu beobachten. Hier herrscht nach wie vor ein hoher Konkurrenzkampf – nicht zuletzt, da die Schaden-Kostenquote in den letzten Jahren besonders konstant und gut war. Dies scheint sich aber aufgrund der Inflation und der häufiger werdenden Elementarschäden in Zukunft zu ändern. Meiner Meinung nach wird man hier auch die Beiträge anpassen müssen. Durch die im Gewerbesegment üblichen Maschinenindizierungen wird mit höheren Beiträgen zu rechnen sein. Hierbei werden die Versicherungssummen und die Beiträge jedes Jahr bedingungsgemäß an die Preisentwicklung angepasst. Die Zahlen werden im Herbst vom Verband (GDV) bekannt gegeben. Nach der zuletzt beobachteten Inflation wird die Anpassung vermutlich deutlicher ausfallen als die letzten Jahre.
Stephan: Die letzten Jahre haben – branchenweit betrachtet – schöne Prämienzuwächse beschert. 2020 lagen wir bei 2,4 Milliarden Euro Prämie mit einer Schaden-Koste-Quote von 82,1 Prozent. Gewerbliche und insbesondere die industrielle Sachversicherung können von so einer Combined Ratio nur träumen.
Dennoch hat die Branche in 2021 im Segment TV massiv gelitten – unter anderem unter den dramatischen Elementarereignissen und anderen Großschäden. Daher waren marktweit auch in TV Beitragssteigerungen und Kapazitätsreduzierungen zu beobachten – nicht in der Heftigkeit der Feuerprämien, aber dennoch spürbar.
Die TV-Versicherer freuen sich jedoch über die hohen Investitionen in erneuerbare Energien (EE). Hier entsteht eine neue Nachfrage, die in 2023 für die Versicherer mit Fokus auf EE für merkliche Prämienzuwächse sorgen dürfte.
Inflation: Es drohen Deckungslücken
Ukraine-Krieg und Inflation bestimmen aktuell die Schlagzeilen. Drohen hier mit Blick auf technische Anlagen zusätzliche Risiken, etwa weil Lieferketten ausfallen oder der Gashahn zugedreht wird? Sollten Unternehmen eventuell den Schutz auffrischen?
Stephan: Nicht erst seit der Gewinnwarnung von Sabre, die den britischen Aktienmarkt ordentlich durchgeschüttelt hat, wissen wir, was die Inflation für die Versicherungsbranche bedeutet – nämlich deutlich höhere Schadenleistungen durch inflationsgetriebene Preise. Die Inflation ist im Euroraum im Mai auf einen neuen Höchststand von +8,1 Prozent gegenüber dem Vormonat gesprungen. Dies betrifft zudem nicht nur bestimmte Segmente, die Kerninflation ist ebenfalls im Mai auf saftige +4,4 Prozent gestiegen. Man kann also von einer „Breiteninflation“ sprechen. Versicherungsprämien sehen in der Regel keine Inflationsanpassung vor, bleiben also unverändert.
Daher ist die Frage nach der Auffrischung des Versicherungsschutzes sehr berechtigt, denn es droht – vor allem bei Unternehmen aus dem Industrie- und Gewerbebereich – nun auch deutlich häufiger die Einrede der Unterversicherung. Denn der Versicherungsnehmer muss dafür sorgen, dass seine Versicherungssummen noch den Versicherungswerten entsprechen. Also ist nach den aktuellen Gegebenheiten zu prüfen, ob die Versicherungssummen und Haftzeiten noch passen.
Von der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) war anlässlich der Präsentation des aktuellen Schadenreports zu hören, dass man bei seinen Kunden eine Neubewertung ihrer versicherten Vermögensgegenstände dringend anmahnt: Viele Unternehmen hätten diese seit Jahren nicht neu bewertet. Somit drohen Deckungslücken.
Andreas: Durch die Abschaltung einer Maschine auf Grund fehlender Energie und des damit verbundenen Produktionsausfalls entsteht noch kein Schaden im Sinne der Bedingungen. Wichtigste Voraussetzung ist, dass ein Schaden unvorhergesehen eintritt. Dies ist durch eine reine Abschaltung nicht gegeben – zumal davon auszugehen ist, dass der Kunde vorab vom Versorger informiert werden würde.
Das Ansprechen des Problems der Unterversicherung, welches Stephan beschrieben hat, kann ich nur unterstützen. Durch die Indizierung der Versicherungssummen und Beiträge kann ein Teil der Preissteigerungen ausgeglichen werden. Wenn die Indizierung vereinbart wurde, meist bei den fahrbaren und stationären Maschinen, besteht rein formal ein Unterversicherungsverzicht. Dennoch kann es Konstellationen geben, bei denen die Indizierung nicht ausreicht: wenn beispielsweise bei Spezialmaschinen die Preise sehr stark gestiegen sind. Hier empfiehlt es sich, die Summen individuell anzupassen.
Sehen Sie durch die aktuelle Krisensituation zusätzliche Kosten auf die Branche zukommen – zum Beispiel auch, weil Lieferketten ausfallen? Könnte es hier sogar vermehrt zu Ausschlüssen kommen, sodass bestimmte Risiken künftig nicht mehr versicherbar sind?
Andreas: Ich sehe das Risiko, dass sich beispielsweise die Maschinen auf Grund der Knappheit derart verteuern, dass eine Entschädigungsleistung aus dem Versicherungsvertrag nicht ausreicht, um eine neue Maschine zu erwerben. Das gilt insbesondere bei recht neuen Maschinen, da Versicherer hier üblicherweise bis zu einer gewissen Dauer, beispielsweise 12 Monate, den Neuwert entschädigen. Hier könnte ich mir vorstellen, dass man eine Art prozentuale Vorsorge einführt.
Im Übrigen ist das nicht erst ein Thema der aktuellen Krise aufgrund des Ukraine-Konfliktes. Bereits seit der geänderten Wirtschaftslage aufgrund Corona konnte man dies beobachten. Kostensteigerungen aufgrund der starken Inflation und der Lieferkettenunterbrechungen werden wir auch bei den Reparaturschäden sehen. Neben den Lohnkosten werden auch die Ersatzteilkosten steigen.
Stephan: Bei der Betriebsunterbrechung droht auch neben dem Inflationsstörfeuer weiteres Ungemach: Die Dauer der Wiederherstellung der technischen und kaufmännischen Betriebsbereitschaft nach Schäden verlängert sich. Warum? Maschinen sind nicht lieferbar, es bestehen Engpässe bei Ersatzteilen. Kapazitäten bei Montage- und Handwerksbetrieben sind kaum noch vorhanden.
Wie viel technisches Know-how brauchen Makler denn, um zu technischen Versicherungen zu beraten? Und woher bekommen sie es?
Stephan: Technisches Know-how hilft naturgemäß sehr, ist aber nicht zwingend erforderlich. Das kaufmännische Verständnis ist hier mindestens ebenso wichtig, technischen Sachverstand hat der Versicherungsnehmer selber. Spätestens, wenn die Underwriter der Versicherer mit am Tisch sitzen, braucht man sich über das ausreichende technische Verständnis keine Sorgen mehr machen.
Wichtig ist ein gutes Verständnis über die Versicherungsinhalte: Ausschlüsse, Begrenzungen, Versicherungswerte sowie das Themenfeld der Betriebsunterbrechung sollte man draufhaben.
Andreas: Bei den Versicherern wie auch bei der Maklerschaft, die sich auf das Gewerbesegment spezialisiert, schwindet das TV-Know-how. So können wir es zumindest beobachten. Daher ist es unerlässlich, auch in die Ausbildung zu investieren. Denn wenn einem Makler die Kenntnis im TV- Geschäft fehlt, wird er es vermutlich bei seinen Kunden nicht offen ansprechen. Aber gerade die TV-Sparten müssen meist aktiv beim Kunden angesprochen werden. Gleiches ist im Übrigen auch beim Versicherer in den Ausschließlichkeitsorganisationen zu beobachten. Neben der eignen Ausbildung sind Seminare bei einschlägigen Weiterbildungsanbietern sinnvoll. Hier gibt es auch eine recht umfangreiche Auswahl an verschiedenen TV-Schulungen.
Warum Technologiefortschritt ein Thema ist
Was sind mit Blick auf den Maklervertrieb häufige Haftungsrisiken bei Technischen Versicherungen?
Andreas: Speziell die Frage nach den ausreichenden Versicherungssummen gilt es zu prüfen. Denn eine Unterversicherung führt im Schadenfall unweigerlich zu einem Vertrauensverlust – neben dem Haftungsrisiko.
Stephan: Insbesondere die TV-Betriebsunterbrechungs-Versicherung wird gern „umschifft“, weil sich viele hier unsicher fühlen. Engpassmaschinen, Ausfallziffern, Linien- und Parallelfabrikation sind tatsächlich eine Welt für sich. Trotzdem: Wegducken gilt nicht. Das Aussparen dieser Sparten kann für den Versicherungsnehmer schwerwiegende Konsequenzen haben.
Ganz aktuell kommt der Handlungsdruck aufgrund der Inflation hinzu. Versicherungsmakler sollten – insbesondere sofern sie Industriepolicen von Gewerbekunden betreuen – in die neuerliche Beratung einsteigen. Der bestehende Schutz gehört überprüft.
Ein Problem scheint mir, dass sich der Stand der Technik rasant ändert - was vor zehn Jahren der neueste Stand war, gilt heute als veraltet. Ich habe mich zum Beispiel mit einem Zahnarzt unterhalten, der seine Röntgengeräte austauschen musste – sie waren mit aktuellen Betriebssystemen nicht datenschutzkonform verwendbar. Müssen die Versicherungsverträge hierauf eine Antwort finden, etwa durch Innovationsklauseln? Wie gelingt das?
Stephan: Das ist richtig und tatsächlich ein häufig auftretendes Problem im Schadenfall: Die Mess- und Steuertechnik, die heute als Ersatzteilkomponente noch verfügbar ist, ist mit älteren Modellen nicht mehr kompatibel.
„Mehrkosten durch Technologiefortschritt“ sind daher wichtiger Bestandteil bei Verträgen in Branchen mit hoher Innovationsgeschwindigkeit – und sollten in ausreichender Höhe vereinbart werden.
Andreas: Aber: Die Leistung der Versicherer ist auf ein Gerät gleicher Art und Güte begrenzt, wenn das Altgerät nicht mehr zu beziehen ist. Nicht jede neuste und erweiterte Technologie bei Neugeräten kann vom Versicherer finanziert werden. Hier werden auch künftig Grenzen gesetzt sein.
Müssen auch Vermittler und Makler sich regelmäßig informieren, ob sich der technische Stand bei den Mandanten geändert hat, um angemessen zu beraten? Müssen dann vielleicht auch die eigenen Verträge angepasst werden?
Andreas: In erster Linie sollten regelmäßig Veränderungen in einem Jahresgespräch analysiert und Handlungsfelder aufgezeigt werden. Dabei ist es nicht unbedingt notwendig, jede neuste Technologie zu kennen. Ein Grundverständnis für die Technik und die Kenntnis der Versicherungsprodukte führt meist schon zum Erfolg. Im Gespräch wird der Kunde diese Neuheiten meist selbst erklären. Und das machen die meisten gerne – ist es doch gerade im Maschinensegment ihr „Baby“. Wichtig ist nur, dass dem Kunden eine Versicherungslösung aufzeigt werden kann.
Pauschale Produkte wie eine Maschinenpark- oder Maschinenhändlerversicherung machen es zudem etwas einfacher, denn diese zeichnen sich durch einfache Prozesse aus. Hier wird in aller Regel der gesamte Maschinenpark pauschal versichert, ohne Maschinen an- und abmelden zu müssen. Die Beitragsabrechnung erfolgt meist auf Umsatzbasis, so dass lediglich einmal im Jahr der Umsatz gemeldet werden muss. Für beide Seiten – den Kunden und den Makler – ist das eine echte Erleichterung.
Trotzdem oder gerade deshalb ist ein Jahresgespräch sinnvoll. So kann es sein, dass beispielsweise ein Maschinenhändler und Vermieter aufgrund von Engpässen Maschinen anmietet, um diese weiter an seine Kunden vermieten zu können. Auch diese Maschinen benötigen eine Deckung, die dann bei Bedarf in den Versicherungsschutz mit aufgenommen werden kann.
Stephan: Sich regelmäßig zu informieren empfiehlt sich aus mehreren Gründen. Bei der Elektronikversicherung kann der fallende Preis für elektronische Betriebsmittel dazu führen, dass eine Versicherungssumme reduziert werden kann – also das genaue Gegenteil von dem, was wir gerade bei der Maschinenversicherung besprochen haben.
Ersatzteil- oder Maschinenverfügbarkeit sind wichtig für die Festlegung der Haftzeit in der Betriebsunterbrechungsdeckung, daher gehören auch diese Policen regelmäßig „zum TÜV“.
Veränderungen im Maschinenpark des Versicherungsnehmers muss der Berater kennen und hinterfragen. Wird eine Maschine abgemeldet, die als Ersatzmaschine für eine Engpassmaschine diente, müssen die Ausfallziffern der verbleibenden Maschinen überprüft werden.
Die Fragen stellte Mirko Wenig