...und wie sieht es bei der Beratung aus? Werden wir in Zukunft erleben, dass sich Kundinnen und Kunden vor Abschluss eines Vertrages von der KI beraten lassen und nicht mehr von einem Vermittler aus Fleisch und Blut?
Etwas vereinfacht formuliert ist KI der nächste große Schritt in der Automatisierung. Viele Automatisierungserlebnisse z.B. mit Bots sind heute noch eher enttäuschend. Da erwarte ich qualitativ in der Tat einen großen Fortschritt, gerade wenn man das mit dem Potenzial von ChatGPT vergleicht.
KI wird definitiv weitere Vorteile für die Kundenberatung bringen und das Vermittlergeschäft vereinfachen. Sie kann zudem den aktuell noch relativ kleinen Teil des Direktgeschäfts erhöhen. Schon jetzt setzen gerade Jüngere auf digitale Tools. Einen kompletten Ersatz von Vermittlerinnen und Vermittlern in der Beratung erwarte ich nicht. Meiner Meinung nach wird es beides geben. Die einen vertrauen auf die künstliche Intelligenz, die anderen wünschen sich emotionale Intelligenz und Erfahrung von ihren Beraterinnen und Beratern und setzen auf menschlichen Kontakt. Aber die Grenzen verschieben sich und verschwimmen immer mehr.
Künstliche Intelligenz ist derzeit DAS Thema, auch in der Versicherungsbranche. Auf LinkedIn scherzten Sie, ich zitiere: „Seit unser CEO Jürg Schiltknecht von ChatGPT abgelöst wurde, hat er mehr Zeit für Tennis“. Natürlich ist Herr Schiltknecht immer noch CEO. Aber Hand aufs Herz: Glauben Sie, dass KI eines Tages sogar Versicherungsvorstände ersetzen kann?
Für einen Scherz bei LinkedIn hat es gereicht, für den Job des Vorstandsvorsitzenden dann eben doch nicht. Daher ein klares Nein!
Eine Künstliche Intelligenz hat kein Bewusstsein, keine Gefühle, keinen Willen und extrapoliert Bestehendes, sie „denkt“ bzw. rechnet also in Wahrscheinlichkeiten. Wie will man so ein Vorstandsteam zusammenstellen, das gut zusammenarbeitet? Wie will man so die eine, unwahrscheinliche Marktchance entdecken, die andere nicht sehen? Das heißt alles aber nicht, dass sich durch den Einsatz von KI sehr große Chancen ergeben. Aber der Hype und der sprungartige Anstieg von KI-Experten überrascht mich im Ausmaß schon.
Arbeitet Baloise in der Praxis bereits mit Tools wie ChatGPT? Wie und wo?
Wir haben eine gruppenweite Community bei Baloise, die sehr weit in die Zukunft denkt und Know-how bündelt, aber auch konkrete Use Cases umgesetzt that. Dazu gehören z. B. Input Management, Betrugsbekämpfung, Stornovermeidung und Lead Management. Wir sind es gewohnt, feste Regelwerke zu definieren und damit zu arbeiten. KI hilft uns hier, daraus auszubrechen.
In welchen Bereichen eines Versicherers könnte ein KI-Modell wie ChatGPT besonders nützlich sein? Welche Aufgaben oder Prozesse könnten durch die Nutzung automatisiert oder vereinfacht werden?
Es gibt, wie oben genannt, eine Reihe von Bereichen, in den KI sehr nützlich ist. Konkret kann KI bspw. bei der Zusammenfassung von Kundenanliegen per Telefon eingesetzt werden – und zwar von Antrag- über Vertrags-Geschäftsvorfällen bis zu einem eventuellen Schaden. Es gibt selbst heute schon Lösungen, die Teammeetings zusammenfassen und Aufgaben in den entsprechenden Tools erfassen und zuordnen.
Letztendlich hoffe ich sehr, dass wir mit KI insgesamt die verschiedenen „Kundenreisen“ (Customer Journeys) deutlich verbessern werden. Warum braucht eine Versicherung beispielsweise bei einem Schaden so viele Daten und warum fühlt sich der Kunde hier meist als Bittsteller? Weil es leider Betrug gibt. KI kann hier bei der Datenerhebung und -Analyse helfen und es damit den Kundinnen und Kunden wie dem Versicherer einfacher machen.