Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) intervenierte persönlich bei der EU-Kommission, um ein Provisionsverbot bei kapitalbildenden Anlageprodukten zu verhindern. Vorangegangen waren mehrere Briefe von Lobbyverbänden in teils vertraulichem Ton. Das bringt dem FDP-Politiker nun den Vorwurf ein, sich zum Büttel der Finanzindustrie gemacht zu haben. Und Koalitionskrach kündigt sich an.
Held für einen Großteil der Versicherungsvermittler, Buhmann für die Medien? So ließe sich der jüngste Skandal zusammenfassen, mit dem sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) derzeit konfrontiert sieht. Wobei dieser Skandal aus Sicht der Vermittlerverbände gar keiner ist, denn Christian Lindner hat verhindert, was sie ohnehin als ungerechtfertigten Markteingriff und Überregulierung ablehnen. Lindner hat demnach bei der EU-Kommission interveniert, um ein Provisionsverbot für bestimmte kapitalbildende Produkte abzuwenden. Davon wären auch die Lebensversicherung und andere Altersvorsorge-Produkte betroffen gewesen.
Briefe eines DVAG-nahen Lobbyverbandes
Doch es gibt eine Vorgeschichte, die dem 44-Jährigen nun den Vorwurf einbringt, sich zum Erfüllungsgehilfen der Finanzlobby gemacht zu haben. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und dem SPIEGEL hat das Bundesfinanzministerium demnach Briefe von Lobbyverbänden erhalten, mit der Bitte, ein ebensolches Verbot abzuwenden. Demnach schrieb der DVAG-nahe Deutsche Unternehmensverband Vermögensberatung (DUV) im November 2022 einen Brief an Lindners Parlamentarischen Staatssekretär Florian Toncar. Man habe gehört, dass die EU-Kommission “wohl ernsthaft” in Erwägung ziehe, ein Provisionsverbot festzuschreiben. Der Verband benötige die “Unterstützung der Bundesregierung”, um dies zu verhindern.
Konkret hatte die EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness zum Jahresanfang 2023 öffentlich gemacht, dass sie ein Verbot von Provisionen im Rahmen der neuen Kleinanlegerschutzstrategie plane. Doch die Gespräche im Hintergrund liefen schon länger. Anlass waren die teils hohen Abschlusskosten bei kapitalbildenden Altersvorsorge-Produkten, die sich aus Sicht der Irin nachteilig für Verbraucher auswirken: trotz mehrerer bereits zuvor erfolgter Eingriffe. Die seit 2018 geltende Finanzmarktrichtlinie MiFID II habe „entgegen der mit ihr verfolgten Absichten“ nicht zu mehr unabhängiger und provisionsfreier Beratung geführt, schieb McGuinness enttäuscht an den CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber.
Für Brisanz sorgt, dass die Briefe teils im vertraulichen Ton formuliert sind, was von einer großen Nähe zwischen Lobbyverband und Finanzministerium künde. So sei in einem förmlichen Schreiben des Dachverbandes der Sparta-Banken handschriftlich der Vermerk „Lieber Florian“ ergänzt worden. Auch in diesem Schreiben forderte der Bankenverband, Lindner möge sich “möglichst frühzeitig auf europäischer Ebene, aber auch innerhalb der Bundesregierung, für den Fortbestand der Provisionsberatung” einsetzen. Die Nähe resultiere auch daraus, dass Florian Rentsch, früher FDP-Wirtschaftsminister in Hessen, nun dem Lobbyverband vorstehe.
Lindner zeigt sich „tief besorgt“ über Pläne zu Provisionsverbot
Kurz, nachdem die Briefe das Bundesfinanzministerium erreicht hatten, schaltete sich Christian Lindner persönlich in die Debatte um den Provisionsdeckel ein. Kurz nach Weihnachten schickte er einen Brief an EU-Kommissarin McGuinness. Er sei „tief besorgt“ über das geplante Provisionsverbot, zitiert ihn abgeordnetenwatch.de aus dem Schreiben. In der deutschen Versicherungswirtschaft sei es üblich, dass Abschlussprovisionen für Produkte der privaten Altersvorsorge gezahlt würden. “Ich habe die starke Befürchtung, dass ein generelles Verbot die Anlageberatung in den Fällen behindern würde, in denen sie am meisten benötigt wird.” Provisionen würden Kleinanlegern einen „schnellen Zugang“ zu Finanzprodukten erlauben, argumentierte Lindner laut den Berichten: ohne das Risiko, dafür viel bezahlen zu müssen.
Ein zentrales Problem ist hierbei, dass Christian Lindner in seiner Funktion als Bundesfinanzminister interveniert hatte: ohne dies mit den anderen Parteien der Bundesregierung abgestimmt zu haben. Dazu ist er ohne Rücksprache eigentlich nicht berechtigt. Auch innerhalb der SPD und bei den Grünen gibt es Stimmen, die ein Provisionsverbot durchaus begrüßen würden. „Es wäre schön, wenn Christian Lindner in offiziellen Briefen an die EU-Kommission differenzieren könnte, wann er als FDP-Parteivorsitzender spricht und wann für die gesamte Bundesregierung“, zitiert abgeordnetenwatch.de Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Dass die FDP ein solches Verbot ablehnt, ist kein Geheimnis: Lindner und auch andere Freie Demokraten hatte sich wiederholt dagegen ausgesprochen.
Brief sollte unter Verschluss bleiben
Doch schlimmer noch: Laut abgeordnetenwatch.de versuchte das Bundesfinanzministerium, Lindners Brief an die EU-Kommission unter Verschluss zu halten. Demnach sollte folglich nicht öffentlich werden, dass Lindner derart auf EU-Ebene interveniert hat: im Namen der Bundesregierung, die mit seiner Ausnahme davon nichts gewusst habe. Bekannt geworden sei das Schreiben erst, als Teile davon an das „Handelsblatt“ durchgestochen worden seien. Aber mehrere Anträge von abgeordnetenwatch.de, auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes das Schreiben zugänglich zu machen, seien vom Finanzministerium abgeschmettert worden.
Finanzlobby - gut vernetzt in der Politik?
In den beiden Medienberichten wird auf weitere Verknüpfungen hingewiesen, die bei der Abwehr eines Provisionsverbotes eine Rolle gespielt haben könnten. So habe auch CSU-Politiker Markus Ferber interveniert, der für die Europäischen Christdemokraten die Finanzpolitik im Wirtschafts- und Währungsausschuss koordiniere. Die EVP ist die größte Fraktion im EU-Parlament, sodass ihre Stimmen auch wichtig sind, wenn die EU-Kommission neue Regeln und Richtlinien festschreiben will.
Doch Ferber ist nicht nur EU-Politiker. Zugleich sitzt er im Sparda-Zukunftsrat und im Beirat der Deutschen Vermögensberatung (DVAG). Damit ist er eng verbandelt mit genau jenen Lobbyverbänden, die jetzt bei Lindner interveniert haben, damit er ein Provisionsverbot hilft abzuschmettern. Gegenüber abgeordnetenwatch.de weist Ferber einen Interessenkonflikt zurück. Er habe in den Gremien allein eine beratende Funktion. Doch eine gut bezahlte: von der Deutschen Vermögensberatung soll er monatlich zwischen 1.001 und 5.000 Euro erhalten, wie "Spiegel" und "Abgeordnetenwatch" herausgefunden haben wollen.
Nun gerät auch die politische Spendentätigkeit der DVAG erneut in die Kritik. Mehrere hunderttausend Euro schüttet die DVAG an Großspenden aus: und das nicht nur in Wahljahren. Dabei bringt Europas größter Finanzvertrieb das Geld auch schon mal persönlich per Scheck vorbei. Für Aufsehen sorgte im April ein Medienbericht von „Spiegel“ und abgeordnetenwatch.de, wonach sich DVAG-Vorstand Helge Lach am 14. März 2023 mit CDU-Chef Friedrich Merz getroffen haben soll, um einen solchen Scheck über 100.000 Euro zu überreichen. Dabei sei auch über das Provisionsverbot gesprochen worden. Sowohl die CDU als auch die DVAG weisen einen Zusammenhang zwischen dem Treffen und dem Thema zurück.
Das Provisionsverbot wurde zunächst abgeschmettert: Und das führen beide Medien, wenn auch mit einiger Vagheit, auch auf den Brief von Lindner zurück. Die Stimme der Bundesregierung zu EU-Vorstößen habe großes Gewicht, da die Deutschen auch das größte private Geldvermögen innerhalb der EU besitzen würden. „Da von den Ministerien der Grünen und der SPD anschließend kaum Widerspruch zu hören war, konnte die Finanzkommissarin McGuinness bei ihren Plänen nicht auf die Unterstützung Deutschlands zählen“, schreibt der „Spiegel“.
Strengere Regel für die Offenlegung von Vergütungen kommen trotzdem. So sieht die EU-Änderungsrichtlinie für mehr Kleinanlegerschutz unter anderem neue Transparenzpflichten und standardisiertere Informationen über die Abschluss- und Vertriebskosten vor. Finanzkommissarin McGuinness hat bei einer Veranstaltung im Juni deutlich gemacht, dass sie weiterhin ein Provisionsverbot anstrebt.