Die Datenstelle der Deutschen Rentenversicherung arbeitet mit veralteter IT, die ihre Funktionsfähigkeit gefährdet, warnt aktuell der Bundesrechnungshof. Die Technik sei seit Jahren sanierungsbedürftig, die Prozesse lückenhaft dokumentiert und nur wenige Personen mit den Systemen vertraut. Und ausreichend Nachwuchs für eine Modernisierung sei derzeit kaum zu finden. Die Deutsche Rentenversicherung selbst schätzt das Risiko weniger drastisch ein als die Finanzprüfer.
Aktenberge, Faxgeräte und auf dem Rechner noch Windows 95 installiert: So stellen sich einige den technischen Stand in Behörden vor. Dass dies nicht einmal zu sehr übertrieben ist, legt eine aktuelle Bemerkung des Bundesrechnungshofes nahe. Die Wirtschaftsprüfer warnen: Die veraltete IT gefährde die Funktionsfähigkeit der Rentenversicherung insgesamt. Im schlimmsten Fall können die Daten der Versicherten nicht mehr zuverlässig gesammelt und verwaltet werden. Schon jetzt würde es viel Zeit und Geld kosten, Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen.
Konkret geht es um die Datenstelle der Rentenversicherungsträger (DSRV). Es ist jene Einheit, die die Daten der Rentenversicherten verwaltet, etwa zu erworbenen Rentenansprüchen, gezahlten Beiträgen etc. Bei der DSRV laufen die Daten von mehr als 50 Millionen gesetzlich Rentenversicherten sowie von 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern zusammen. Sie ist die größte Drehscheibe von Sozialdaten in Deutschland und wird von der Deutschen Rentenversicherung Bund verwaltet.
Ihren Betrieb nahm die Datensammelstelle im Jahr 1975 auf. Und noch immer kommt laut Bundesrechnungshof viel veraltete Technik zum Einsatz, die inzwischen nicht mehr geltenden Standards entspreche. Die Technik füge sich zudem nicht in das aktuelle IT-Gesamtkonzept der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Hard- und Software seien nicht einheitlich, Prozesse nicht aufeinander abgestimmt.
Modernisierung seit 2012 aufgeschoben
Wie veraltet die Technik sein muss, zeigt sich daran, dass es bereits im Jahr 2012 einen Aufschrei gab, dass die Systeme dringend modernisiert werden müssten. Doch erst 2019, also sieben Jahre später, wurde das notwendige Modernisierungsprojekt gestartet. Und das hat einen wichtigen Grund: Die Datensammler der Rentenversicherung sind personell unterbesetzt. So beklagte die DRV Bund, dass die DSRV von der Politik mit immer neuen Aufgaben betraut worden sei, ohne dass das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mehr Personal eingestellt habe. Dadurch hätte die Datensammelstelle „Dokumentationsaufgaben auf ein Mindestmaß beschränken müssen“, heißt es im Bericht.
2019 wurde also die Modernisierung auf den Weg gebracht - und bis heute nicht umgesetzt. Denn die DSRV hat noch ein anderes Problem. Auch das Personal scheint in die Jahre gekommen zu sein. Und die eingesetzte Technik ist schlecht dokumentiert: Nur Eingeweihte wissen, wie sie zu bedienen ist. „Durch Wissensmonopole einzelner Beschäftigter und Dokumentationslücken seien wichtige technische Zusammenhänge unklar. Dies gefährde nicht nur den weiteren Betrieb der alten Technik, sondern erschwere noch zusätzlich die erforderliche Modernisierung“, schreibt der Bundesrechnungshof und beruft sich bei dieser Einschätzung auf den Bericht des Rentenversicherungs-Dachverbands.
Erst seit 2019 versucht die Deutsche Rentenversicherung laut dem Bericht, neue Fachkräfte für die Digitalisierungs-Aufgaben zu finden. Weil aber viel Personal kurz vor der Verrentung steht, könnten daraus neue Probleme erwachsen. Es entstehe ein „Wettlauf gegen die Zeit“, warnt der Rechnungshof. IT-Verfahren könnten nicht modernisiert werden, wenn das maßgebende Wissen durch Personalabgänge verloren gehe. Denn bis heute habe die DSRV ihre IT-Verfahren nicht vollständig dokumentiert.
Das Modernisierungsprojekt wurde 2023 sogar abgeblasen und ein neues gestartet. „Neben anhaltendem Personalmangel hat die DRV Bund angeführt, die Modernisierung sei erheblich komplexer als zunächst angenommen“, schreibt der Bundesrechnungshof zu den Gründen. Und berichtet: "Inzwischen geht die DRV Bund davon aus, dass es noch weitere fünf bis zehn Jahre dauert, bis die DSRV vollständig auf eine moderne Technik umgestellt ist. Bis dahin muss sie die alte Technik weiter betreiben“.
Die alten Probleme setzen folglich eine Kettenreaktion in Gang, die neue Probleme erzeugt. Und es treten weitere hinzu. Es sei schwierig, neues Personal zu gewinnen. Denn nicht nur der Fachkräftemangel wirke sich negativ aus: Die Nachwuchskräfte müssten auch bereit sein, sich in veraltete Technik einzuarbeiten und damit umzugehen. Dort, wo internes Wissen der DSRV nicht mehr ausreiche, müsse sie für den Betrieb der alten Technik auf externe Dienstleistungen zurückgreifen. Das ist nicht nur teuer, sondern erschwert den Modernisierungsprozess weiter.
DRV Bund: "Gegenwärtig kein besonderes Kostenrisiko"
Welche Mehrkosten es erzeugt, dass die wichtigste Datenstelle der Rententräger mit veralteter IT arbeitet, kann die Rentenversicherung nicht benennen, kritisiert der Bundesrechnungshof. Bereits die externen Dienstleister kosten demnach viel Geld. Wie viel aber - ist unbekannt. "Das Kostenrisiko ist somit nicht kalkulierbar", so das bittere Fazit der Watchdogs.
“Der DRV Bund ist es nicht gelungen, die längst überfällige Modernisierung der DSRV zeitgerecht umzusetzen. Sie wird ihr Ziel verfehlen, bis Ende 2023 sämtliche IT-Verfahren der DSRV auf eine technisch moderne Plattform umzustellen. Versäumnisse in der Vergangenheit tragen wesentlich dazu bei, dass sich der Modernisierungsprozess erheblich verzögert und mit zusätzlichen Risiken belastet wird“, schreiben die Experten. Damit würden die bisherigen Projektrisiken nicht nur fortbestehen: „Durch den weitaus größeren Zeit- und Personalbedarf des Multiprojekts ist nicht auszuschließen, dass sie sich sogar noch verschärfen“, so der wenig optimistische Ausblick.
Wenn aber das Datensammeln und der Datenaustausch nicht mehr funktioniert, bedroht dies schlimmstenfalls auch die Funktionsweise der Rentenversicherung als Ganzes. Der Bundesrechnungshof nimmt daher auch die Aufsicht in die Pflicht: das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), eine selbständige Bundesoberbehörde des Bundesarbeitsministeriums.
Der Bundesrechnungshof fordert abschließend in seinem Dokument: „Die DRV Bund muss das neue Multiprojekt mit höchster Priorität behandeln und ein erneutes Scheitern verhindern. Dafür ist dringend eine fundierte Projekt- und Kostenplanung erforderlich. Dazu gehört auch, den für die erfolgreiche Modernisierung erforderlichen Personalbedarf realistisch zu planen und zu decken. Die zugesagte Begleitung durch das BAS muss sicherstellen, dass die Aufsicht jederzeit über den Stand des Modernisierungsprozesses informiert ist und bei Bedarf rechtzeitig steuernd eingreift“.
DRV Bund: "Gegenwärtig kein besonderes Kostenrisiko"
Ein Sprecher der Deutschen Rentenversicherung Bund schätzt die Situation jedoch weniger drastisch ein als von den Finanzprüfern geschildert. "Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) hat bereits frühzeitig mit der Modernisierung der Datenstelle der Rentenversicherung (DSRV) begonnen: Die elektronischen Verfahren wurden sukzessive umgestellt und erneuert und der fortschreitenden Digitalisierung angepasst. Das eigene, interne Modernisierungsvorhaben musste allerdings zurückpriorisiert werden, da vor allem gesetzliche Aufträge mit entsprechendem zeitlich knappen Umsetzungsvorgaben zu bearbeiten waren", positioniert sich der Sprecher gegenüber Versicherungsbote.
"Anders als der Bundesrechnungshof, sieht die DSRV gegenwärtig kein besonderes Kostenrisiko bei einem verlängerten Weiterbetrieb des bisherigen Großrechners", berichtet der Sprecher weiter. Darüber hinaus sei für den Betrieb der Anlage im Vergleich zu anderen Server-Infrastrukturen verhältnismäßig wenig Personal zur Betreuung notwendig. "Die verwendete Technik verfügt über hoch performante Spezifikationen aktueller Bauart und stellt sich als sehr leistungsfähig dar. Hinsichtlich der Katastrophenvorsorge wurden alle notwendigen Infrastrukturkomponenten beschafft. Die branchenüblichen Sicherheitsstandards werden allesamt eingehalten", sagt der Sprecher.