EU-Anlegerschutzstrategie: kein Provisionsverbot, aber strengere Regeln für Provisionen

Quelle: Geralt@pixabay.com

Die neue EU-Kleinanlegerschutzstrategie hat die nächste Hürde genommen, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) berichtet. Dem nach hat auch der EU-Rat nach dem Parlament sein okay gegeben. Der Lobbyverband begrüßt, dass ein EU-weites Provisionsverbot zum jetzigen Zeitpunkt abgewendet werden konnte, kritisiert aber strengere Vorschriften für Provisionen.

Die neue Kleinanlegerschutzstrategie der EU ("Retail Investment Strategy") hat die nächste Hürde genommen. Demnach hat nun auch der Rat der Europäischen Union zugestimmt, nachdem die Strategie bereits das EU-Parlament passiert hatte. Das teilt der EU-Rat auf seiner Webseite mit. Das Gesetzespaket zielt darauf ab, Verbraucher, die auf den EU-Märkten investieren, besser zu schützen und ihnen klarere und transparentere Informationen über die Anlageprodukte in die Hand zu geben, wie der Rat der Presse berichtet.

Dass diese Strategie auch eine Lenkungsfunktion hat, wird an dem Statement von Vincent Van Peteghem deutlich, dem belgischen Finanzminister. Er verwies nicht nur darauf, dass die neuen Vorschriften den Verbrauchern Instrumente in die Hand geben, die sie benötigen, in jeder Phase ihres Investments solide Anlageentscheidungen zu treffen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Ersparnisse in innovative europäische Unternehmen fließen, einschließlich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bilden und mehr private Investitionen anziehen müssen“, sagt der Christdemokrat. „Diese Regeln werden zur Vertiefung der Kapitalmarktunion beitragen, indem sie das Vertrauen der Verbraucher in die Kapitalmärkte stärken und private Mittel in unsere Wirtschaft lenken“, so Van Peteghem. Belgien hat im ersten Halbjahr die Ratspräsidentschaft inne.

“Diese Regeln werden zur Vertiefung der Kapitalmarktunion beitragen, indem sie das Vertrauen der Verbraucher in die Kapitalmärkte stärken und private Mittel in unsere Wirtschaft lenken“, positioniert sich Van Pethegem weiter. Ein Ziel ist hierbei auch die stärkere Harmonisierung des EU-Anlagemarktes, zumal Finanzprodukte auch länderübergreifend vertrieben werden. So sollen Kleinanleger das gleiche Maß an Informationen, Behandlung und Schutz erhalten, „unabhängig davon, welche Anlageprodukte, Marketing- und Vertriebskanäle sie nutzen“, wie es im Pressetext heißt.

Folgende Hauptänderungen schlägt der Rat vor:

  • Beibehaltung der Provisionen: Der Rat hat entschieden, das vorgeschlagene Verbot von Provisionen bei rein ausführenden Verkäufen (ohne Beratung) zu streichen. Ein Verbot besteht jedoch weiterhin für die Honorarberatung und Portfoliomanagement mit begrenzten Ausnahmen.
  • Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen: Trotz des Neins zum Provisionsverbot will der EU-Rat stärker gegen Fehlanreize im Provisionssystem vorgehen. Das beinhaltet die Einführung eines einheitlichen Anreiztests, der sicherstellen soll, dass Vermittler im besten Interesse des Kunden handeln.
  • Verbesserte Transparenz: Es soll klarer und transparenter als bisher offengelegt werden, welche Zahlungen als Provisionen gelten, welche Kosten sie verursachen und welchen Einfluss sie auf die Anlagerendite haben.
  • Übergeordnete Prinzipien: Darüber hinaus hat der Rat die Sicherheitsvorkehrungen weiter verstärkt, indem sogenannte „übergeordnete Prinzipien“ eingeführt werden, die bei der Zahlung oder Entgegennahme von Zuwendungen zu beachten sind. Diese übergreifenden Grundsätze sind nicht Teil des eigentlichen Anreiztests, aber die Firmen sollten diese Grundsätze jederzeit einhalten, wenn sie einem Dritten Anreize zahlen oder von ihm annehmen, und sie sollten in der Lage sein, dies den zuständigen nationalen Behörden nachzuweisen.

Die "overarching principles" (übergeordneten Prinzipien) sind grundlegende Leitlinien, die von Finanzdienstleistern jederzeit beachtet werden müssen, wenn sie Provisionen bzw. Zuwendungen ("Inducements") zahlen oder erhalten. Diese Prinzipien sollen sicherstellen, dass die Interessen der Anleger gewahrt bleiben und dass Provisionen nicht zu Interessenkonflikten führen. Konkret bedeuten diese Prinzipien:

  1. Keine Bevorzugung bestimmter Produkte: Provisionen dürfen Firmen nicht dazu verleiten, bestimmte Anlageprodukte anderen vorzuziehen, nur weil sie dafür eine höhere Provision erhalten.
  2. Angemessenheit der Provisionen: Die Höhe der Provisionen muss im Verhältnis zum gebotenen Wert stehen und darf nicht unverhältnismäßig hoch sein.
  3. Gleichbehandlung innerhalb von Unternehmensgruppen: Provisionen, die an oder von Unternehmen innerhalb derselben Unternehmensgruppe gezahlt oder erhalten werden, müssen genauso behandelt werden wie solche von unabhängigen Dritten.

Doch welche Vorgaben sind das nun konkret? Es fällt auch, dass die formulierten Grundsätze noch sehr allgemein gehalten sind. Vielleicht, weil sie noch entwickelt werden müssen. So habe der Europäische Rat vereinbart, dass die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) sowie die Europäische Versicherungsaufsicht (EIOPA) aufsichtsrechtliche Vergleichsmaßstäbe entwickeln sollen, um die Einhaltung der Prinzipien zu gewährleisten. „Anstelle von obligatorischen Benchmarks, die in den Produktmanagementprozess der Hersteller und Vertreiber integriert sind, sollen sie jedoch ein Aufsichtsinstrument sein, das den zuständigen nationalen Behörden hilft, Anlageprodukte zu erkennen, die kein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten“, schreibt der EU-Rat.

GDV befürchtet mehr Bürokratie

Zu dem EU-Ratsbeschluss haben sich auch mehrere Verbände geäußert. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßt es, dass ein allgemeines Provisionsverbot für bestimmte Anlageprodukte verhindert werden konnte. „Nach dem EU-Parlament hat damit nun auch der Rat die Relevanz verschiedener Vergütungssysteme im Vertrieb von Finanzanlageprodukten bestätigt”, sagt Moritz Schumann, stellvertretender Hautgeschäftsführer des GDV.

Der Verbandsfunktionär hebt hervor, dass es ein Ziel der Strategie sei, Verbrauchern einen leichteren Zugang zum Kapitalmarkt zu bieten. „Ein erleichterter Kapitalmarktzugang muss mit niedrigschwelligem Zugang zu qualifizierter Beratung einhergehen. Verbraucherinnen und Verbraucher sind es gewohnt, dass sie diese erhalten können, ohne dafür Honorare zahlen zu müssen. Es ist wichtig und richtig, dass diese Option erhalten bleibt und Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin selbst entscheiden können, wie sie sich beraten lassen wollen”, sagt Schumann.

Dass sich der Rat für einen weitreichenden Katalog an Anforderungen für Provisionszahlungen, umfangreiche Governance-Regeln bei der Produktherstellung und umfangreichere Verbraucherinformationen ausspricht, erregt dagegen das Missfallen des Versichererverbandes. Aus Sicht der Versicherer bedeutet dies zusätzliche Bürokratie ohne adäquaten Nutzen. „Es darf kein Bürokratiemonster erschaffen werden“, appelliert Schumann. Er betont: „Um die Ziele der Kleinanlegerstrategie zu erreichen, brauchen wir moderne, gestraffte Kundeninformationen, die freie Wahl des Beratungsmodells ermöglichen und Aufsichten, die sicherstellen, dass einzelne schwarze Schafe vom Markt genommen werden.“

Dabei waren es auch die Kosten auf dem deutschen Lebensversicherungs-Markt, die Rufe nach einer strengeren Aufsicht laut werden ließen. „Wenn Lebensversicherungen zu viel kosten“, war eine Marktanalyse der deutschen Aufsichtsbehörde BaFin aus dem Jahr 2022 überschrieben. Zwar stellten die Aufseher eine hohe Spannbreite bei den berechneten Kosten der Versicherer fest. Aber bemängelte auch, dass Produkte von einigen Anbietern möglicherweise gar nicht als Altersvorsorge geeignet seien - und entsprechend von den Anbietern nicht hätten zugelassen werden dürfen.

„Bei allen Eintrittsalter-Laufzeit-Kombinationen gibt es Lebensversicherer, bei denen die Effektivkosten der meistverkauften fondsgebundenen Produkte oberhalb von 4 Prozent liegen. Für die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer bedeutet das: Erst wenn die zugrundeliegenden Kapitalanlagen entsprechend hohe Renditen erreichen, würden sie einen Anlagegewinn erzielen“, schrieb die BaFin. Die Behörde reagierte mit neuen Wohlverhaltensregeln, wonach der Kundennutzen bei den Produkten stärker berücksichtigt werden muss.

Ebenfalls zu den Einigungen des EU-Rates äußert sich der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW). Er begrüßt die jüngsten Entwicklungen hinsichtlich der Retail Investment Strategy der EU. Man habe sich auf eine Klarstellung geeinigt, die besagt, dass deutsche Versicherungsmakler nicht unter ein Provisionsverbot fallen. „Damit hat nach dem Europäischen Parlament nun auch der Rat der EU eine entsprechende Formulierung in die politische Diskussion eingebracht, die deutlich macht, dass Versicherungsmakler nicht von einem Provisionsverbot betroffen wären. Die Zeichen stehen daher gut, dass sich diese Klarstellung auch im endgültigen Text der Retail Investment Strategy nach den sogenannten Trilog-Verhandlungen wiederfinden wird“, erklärt Frank Rottenbacher, Vorstand des AfW.

In Sack und Tüten ist die Strategie noch nicht. Die anstehenden Trilog-Verhandlungen umfassen das EU-Parlament, den Rat der EU und die EU-Kommission. Beide, das Parlament und der Rat, müssen sich auf einen gemeinsamen Text einigen. Die EU-Kommission wird diesen Prozess unterstützen, sobald das neu gewählte Europäische Parlament im September 2024 seine Verhandlungsführer benannt hat. Schließlich wird das EU-Parlament die Retail Investment Strategy endgültig beschließen.