ETFs haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Doch sind sie auch für die Altersvorsorge geeignet? Und wie reagieren Anbieter auf die wachsende Skepsis, die ihre Verbreitung begleitet? Versicherungsbote sprach darüber mit Moritz Schüßler, Head of Intermediated Retail Germany bei Vanguard.
Versicherungsbote: Es gibt Diskussionen über die Risikostreuung von ETFs, insbesondere bei einer Sektor-Konzentration in wenigen Bereichen. Welche empirischen Erkenntnisse hat Vanguard zur langfristigen Risikostreuung von ETFs in der Altersvorsorge gesammelt? Und wie wird eine breite Streuung sichergestellt?
Moritz Schüßler: Die Risikostreuung spielt bei der Geldanlage eine entscheidende Rolle, besonders wenn es um langfristige Ziele wie die Altersvorsorge geht. Ein diversifiziertes Portfolio, das verschiedene Anlageklassen, Sektoren und Regionen umfasst, gilt als bewährte Strategie, um Risiken auf das Marktrisiko zu minimieren. Hierbei lohnt es sich einen Blick auf ganzheitliche Lösungen wie Multi-Asset-ETFs zu richten. Diese bieten einen transparenten und kosteneffizienten Zugang zu den globalen Aktien- und Anleihenmärkten in unterschiedlichen Gewichtungen, sodass verschiedene Risikoprofile abgebildet werden können.
Wichtig ist in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass die strategische Asset-Allokation auch der Haupttreiber für langfristige Renditen ist. Untersuchungen zeigen, dass diese in der Regel einen wesentlich größeren Einfluss auf die langfristige Wertentwicklung eines Portfolios hat als andere Faktoren, wie bspw. Aktienauswahl oder Markt-Timing. Eine strategische Asset-Allokation erhöht nicht nur die langfristigen Erfolgschancen der Anleger, sondern gewährleistet auch, dass das Vermögen durchgehend investiert bleibt.
Untersuchungen zeigen, dass viele ETFs, die große Indizes wie den S&P 500 abbilden, ein Übergewicht an Technologiewerten aufweisen. Wie beeinflusst diese Sektor-Konzentration die Performance und das Risiko von Altersvorsorge-Portfolios langfristig? Und was könnten Auswege aus dieser Konzentration sein?
Eine hohe Gewichtung von Technologiewerten in marktgewichteten Indizes wie dem S&P 500 ist eine natürliche Folge der Entwicklung der Marktkapitalisierung der Unternehmen. Es spiegelt die zunehmende Bedeutung von Technologieunternehmen in der globalen Wirtschaft wider und bietet Anlegern, die einen marktgewichteten Index abbilden, die Möglichkeit, an diesem Wachstum teilzuhaben. Gleichzeitig birgt eine hohe Konzentration in einem Sektor auch Risiken. Ein Abschwung im Technologiesektor würde sich direkt auf die Performance marktgewichteter ETFs auswirken. Marktgewichtete Indizes haben sich als solide Basis für den Vermögensaufbau erwiesen, weil sie kosteneffizient alle Faktoren des Marktes, auch für die Zukunft, berücksichtigen.
Für Anleger, die die Konzentration auf den Technologiesektor reduzieren möchten, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Diversifikation: Eine bewährte Strategie ist die globale Diversifikation. ETFs, die breit gestreute globale Indizes wie den FTSE All-World abbilden, investieren in Unternehmen aus verschiedenen Sektoren und Regionen. Dadurch wird das Risiko, das mit der Konzentration auf einen einzelnen Sektor verbunden ist, deutlich reduziert.
Ein weiterer Ansatz zur Risikoreduzierung ist die Beimischung von Anleihen. Anleihen-ETFs können die Volatilität des Gesamtportfolios dämpfen und bieten in der Regel eine stabilere Wertentwicklung als Aktien. Zuletzt könnte ein Ausweg darin bestehen, auch kleinere Unternehmen aus dem Small-Cap Segment zu allokieren. Generell ist für langfristigen Anlageerfolg ein kostengünstiger, breit diversifizierter Ansatz wichtig. Die individuellen Anlageziele und die persönliche Risikobereitschaft spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Der ETF-Markt wird zunehmend von wenigen großen Anbietern dominiert. Welche Auswirkungen hat diese Konzentration auf die Wettbewerbssituation und die Kosten für Anleger?
Der ETF-Markt wächst kontinuierlich, während gleichzeitig eine zunehmende Konsolidierung stattfindet. Das bringt Chancen und Herausforderungen mit sich. Vanguard nutzt die Vorteile von Skaleneffekten, um Kostenvorteile direkt an die Anleger weiterzugeben. Unser Fokus auf niedrige Kosten hat in der Vergangenheit in zahlreichen Ländern dazu geführt, dass die Kosten der Geldanlage nach unserem Markteintritt gesunken sind. Wir sprechen hier vom "Vanguard-Effekt". Wettbewerb ist dabei für Innovation, Produktvielfalt und sinkende Kosten von entscheidender Bedeutung.
Wir betrachten ihn als Chance, sowohl die Branche als auch die Interessen der Anleger weiter voranzubringen. Was uns von anderen großen Anbietern unterscheidet, ist vor allem unser genossenschaftlich geprägtes, kundenorientiertes Geschäftsmodell: Da wir nicht börsennotiert sind, sind unsere Interessen an denen unserer Kunden ausgerichtet. Wir investieren laufend in neue Technologien und erweitern unser Produktangebot. Unser Ziel ist es, auch zukünftig optimale Lösungen für den langfristigen Vermögensaufbau unserer Anleger zu bieten.
Kritiker weisen darauf hin, dass ETFs auf vergangene Markttrends setzen, indem sie erfolgreiche Unternehmen stärker gewichten. Wie stellt Vanguard sicher, dass eine solche Gewichtung nicht zu einem Klumpenrisiko für Altersvorsorgeprodukte führt?
Marktkapitalisierungsgewichtete ETFs spiegeln die Marktstruktur wider, wobei größere und erfolgreichere Unternehmen naturgemäß stärker gewichtet sind. Dies kann zu einer Konzentration auf bestimmte Sektoren oder Regionen führen. Um dieser potenziellen Verzerrung entgegenzuwirken, setzt Vanguard auf umfassende Diversifikation als wesentlichen Bestandteil seiner Anlagestrategie. Global investierende ETFs streuen das Kapital über zahlreiche Branchen, Länder und Unternehmen, um Konzentrationsrisiken effektiv zu minimieren.
Wer versucht, den richtigen Zeitpunkt für Investitionen in ein einzelnes Thema zu finden, riskiert, eine Erholung nach einem Kursrückgang zu verpassen und damit seine Anlageziele zu gefährden. In der Vergangenheit lagen die besten und schlechtesten Handelstage oft nah beieinander und traten häufig in unruhigen Marktphasen auf, was das Timing des Marktes vor allem für Privatanleger praktisch unmöglich macht.
„ETFs werden im Altersvorsorgesektor weiter an Bedeutung gewinnen“
Im deutschen Markt hat Vanguard den Service für Privatanleger eingestellt, während professionelle Anleger weiterhin bedient werden. Was war der Grund für die Entscheidung?
Vanguard hat seine Strategie im deutschen Markt neu ausgerichtet und den Direktvertrieb an Privatanleger eingestellt, um verstärkt auf die Zusammenarbeit mit Finanzberatern und die Partnerschaften mit Direktbanken und Neobrokern zu setzen. Privatanleger können nach wie vor als Selbstentscheider oder über ihren Finanzberater in unsere Produkte investieren und unser zentrales Ziel bleibt es, Anlegern in Deutschland die besten Chancen auf Anlageerfolg zu bieten.
Durch den Ausbau des Vertriebsnetzwerks und die neuen Partnerschaften mit Plattformen strebt Vanguard an, das Angebot weiter zu skalieren. Zudem soll das Verständnis für Indexfonds und ETFs durch gezielte Wissensvermittlung gefördert werden. Unterstützt wird dieser Ansatz durch unser neues "Vanguard 365 Portal", das Finanzberatern umfassende Ressourcen und Schulungen bereitstellt, um Anleger bestmöglich zu beraten.
Diese Entscheidung verdeutlicht Vanguards langfristiges Engagement im deutschen Markt. Trotz des Rückzugs aus dem Direktvertrieb bleibt Deutschland ein Schlüsselmarkt für Vanguard, was die weiterhin hohen Nettomittelzuflüsse deutscher Anleger in Vanguard-ETFs unterstreichen.
Angesichts der wachsenden Bedeutung von nachhaltigen Investments: Wie integriert Vanguard ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Governance) in seine ETFs, und wie beeinflussen diese Produkte die Altersvorsorge?
Vanguard bietet eine Reihe von ETFs an, die ESG-Kriterien berücksichtigen. Diese ETFs zeichnen sich durch hohe Transparenz und Verständlichkeit aus, indem sie ein umsatzbasiertes Ausschlussverfahren anwenden und festgelegten Regeln folgen. Wir arbeiten hier zudem mit sogenannten All-Cap-Indizes, die auch Small-Cap-Aktien berücksichtigen, um der geringeren Diversifikation aufgrund der zahlreichen Ausschlüsse entgegenzuwirken.
Wie sich diese Produkte auf die Altersvorsorge auswirken, hängt von der individuellen Anlagestrategie ab. ESG-ETFs bieten die Möglichkeit, persönliche Werte in die Geldanlage zu integrieren und gleichzeitig potenzielle Risiken, die mit ESG-Faktoren verbunden sind, zu minimieren. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass ESG-ETFs keine Garantie für höhere Renditen oder geringere Verluste bieten. Anleger sollten sorgfältig abwägen, ob und wie ESG-Ansätze zu ihren langfristigen Zielen und ihrer individuellen Altersvorsorgestrategie passen.
Wie bewerten Sie die langfristige Entwicklung des ETF-Marktes in Deutschland, speziell im Altersvorsorgesektor?
Die langfristige Entwicklung des ETF-Marktes in Deutschland, insbesondere im Bereich der Altersvorsorge, schätzen wir bei Vanguard positiv ein. Verschiedene Faktoren sprechen dafür: Zum einen beginnen junge Menschen zunehmend früher, systematisch für das Alter vorzusorgen, und zeigen dabei auch in schwierigen Marktphasen eine hohe Beständigkeit in ihren Investments. Zum anderen wirken sich die niedrigen Kosten von ETFs langfristig positiv auf die langfristige Rendite aus, was sie besonders attraktiv für die Altersvorsorge macht. Die wachsende Beliebtheit von ETF-Sparplänen in Deutschland unterstreicht diesen Trend. Ebenso politische Initiativen wie die anstehende Rentenreform.
Bei Vanguard sprechen wir in diesem Zusammenhang von einer „Demokratisierung der Kapitalanlage“, da der Zugang zu den Kapitalmärkten einer breiteren Bevölkerungsschicht ermöglicht wird. Die wachsende Nachfrage nach ETFs trägt auch zu einer Diversifizierung der Vertriebswege in der Finanzberatung bei, was den Anlegern zugutekommt. Dieses Bewusstsein spiegelt sich auch in politischen Initiativen wider – etwa in den Vorschlägen der EU-Kleinanlegerstrategie, die Änderungen diverser EU-Vorschriften zur Verbesserung des Verbraucherschutzes vorsehen. Künftig sollen Informationen klarer vermittelt und Investitionen durch strengere Transparenz- und Offenlegungspflichten besser abgesichert werden.
Produkte wie die LifeStrategy Multi-Asset-ETFs, die verschiedene Risikoprofile abdecken und ein automatisches Rebalancing bieten, unterstützen den langfristigen Vermögensaufbau. Mit wachsender Sensibilität der Bevölkerung für die Bedeutung der privaten Altersvorsorge, verstärkt durch staatliche Reformen wie die der geförderten privaten Altersvorsorge, ist zu erwarten, dass ETFs im deutschen Altersvorsorgesektor weiter an Bedeutung gewinnen und eine stärkere Aktien- und Wertpapierkultur entsteht. Initiativen zur Förderung der Finanzbildung, mehr Kostentransparenz und die enge Zusammenarbeit mit Finanzberatern tragen ebenfalls dazu bei, ETFs als festen Bestandteil der Altersvorsorge zu etablieren.