„Mit dem Pflege-Bahr hat die Politik grundsätzlich den richtigen Weg eingeschlagen“

Quelle: Thomas_Brahm@Debeka

Pflege-Bahr in der Krise? Nicht so bei der Debeka: Deutschlands PKV-Marktführer trägt allein 61,3 Prozent des gesamten Neugeschäfts. Grund genug für Versicherungsbote, zur Bedeutung der gesetzlich geförderten Pflegezusatzversicherung bei Debeka-Vorstandschef Thomas Brahm nachzufragen.

Die Debeka bleibt der führende Anbieter im Pflege-Bahr-Segment, während sich viele Wettbewerber zunehmend aus diesem Geschäft zurückziehen. Was ist der Hauptgrund, warum die Debeka weiterhin auf den Pflege-Bahr setzt? Und wie erklären Sie sich, dass andere Anbieter mehr und mehr aussteigen?

Thomas Brahm: Als größter Privater Krankenversicherer in Deutschland hat das Thema der Pflegevorsorge für uns eine besondere Relevanz. Die ergänzende Pflegeversicherung komplettiert die gesetzliche Pflegeversicherung, schließt bzw. mindert finanzielle Lücken und unterstützt Betroffene im Pflegefall.

Da wir erhebliche Defizite in der Versorgung mit Pflegeleistungen in Deutschland sehen, gehört in unseren Augen die private Pflegevorsorge zu einer umfassenden und bedarfsgerechten Beratung. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird allein durch die zunehmende Alterung bis 2055 um 37 Prozent zunehmen. Viele Menschen sind gezwungen, einen hohen Eigenanteil für eine angemessene Pflege zu leisten, weshalb wir die Förderung der ergänzenden Vorsorge sehr positiv bewerten. Dieses Thema ist beratungsintensiv, erfordert somit einen gut ausgebildeten Vertrieb und eine professionelle Unterstützung, wenn der Pflegefall eintritt (bspw. mit Hilfe einer Pflegeberatungs-Hotline für die Angehörigen).

Die jüngsten Zahlen zeigen, dass die Debeka im Jahr 2023 den weit größten Anteil am Neugeschäft im Pflege-Bahr-Segment hält. Was macht Ihre Vertriebsstrategie in diesem Bereich erfolgreich, während andere Anbieter Bestandsverluste verzeichnen? 


Das Wachstum in unserem Bestand lässt sich sicherlich auch darauf zurückführen, dass wir als größter Anbieter im PKV-Markt durch eine konsequent bedarfsorientierte Beratung – insbesondere zum Thema Pflege – eine hohe Nachfrage und zahlreiche Vertragsabschlüsse generieren konnten. Hierbei setzen wir auf unseren gut ausgebildeten festangestellten Außendienst.

Kritiker wie die Stiftung Warentest bemängeln am Pflege-Bahr vor allem das schlechte Preis-Leistungs-Verhältnis und die Tatsache, dass Versicherte auch im Pflegefall weiter Beiträge zahlen müssen. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Die Kritik am Preis-Leistungs-Verhältnis beruht offenkundig auch auf dem höheren Risiko, da der Pflege-Bahr auch von Personen abgeschlossen werden kann, die bereits Vorerkrankungen haben. Das Risiko einer Pflegebedürftigkeit ist damit also signifikant erhöht, was wiederum steigende Beiträge nach sich ziehen kann. Dieses Risiko war aber auch schon bei Einführung bekannt. Aus diesem Grund „koppelt“ die Debeka den Abschluss eines ungeförderten Pflegezusatztarifs an den Pflege-Bahr – d. h. jemand, der aufgrund seines Gesundheitszustandes den ungeförderten Tarif problemlos abschließen kann, muss auch den Pflege-Bahr abschließen (der aufgrund eines begrenzten Pflegegeldes ohnehin nur eine Grundabsicherung darstellt).

Damit wird verhindert, dass sich „Gesunde“ nur für den ungeförderten Tarif entscheiden und Versicherte mit Vorerkrankungen, die den ungeförderten Tarif evtl. nicht abschließen können, nur den Pflege-Bahr abschließen. Das Risiko einer Leistungsinanspruchnahme im Pflege-Bahr wird so minimiert – was sich auf lange Sicht auch vergleichsweise positiv auf die Beitragsentwicklung und somit das Preis-Leistungs-Verhältnis auswirken sollte.

Die Beitragszahlung im Pflegefall halten wir für unproblematisch. Denn im Gegensatz zu beispielsweise einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die schon deutlich höhere Beiträge erfordert, fällt der Eigenbeitrag bei einem frühzeitigen Abschluss des Pflege-Bahrs eher gering aus. Darüber hinaus darf in diesem Zusammenhang auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beitragsbefreiung im Fall einer Pflegebedürftigkeit in irgendeiner Form finanziert werden muss – entweder in Form von grundlegend höheren Beiträgen (Stichwort: Preis-Leistungs-Verhältnis) oder eben durch die übrigen Versicherten, die nicht pflegebedürftig sind. Vor diesem Hintergrund sehen wir die Beitragsbefreiung bei Pflegebedürftigkeit (im Pflege-Bahr) eher kritisch.

Zusammenfassend kann man also sagen: Bei der Kalkulation des Pflege-Bahrs mussten wir Versicherer sehr viele Vorgaben beachten, was für die Kunden auf der einen Seite sehr vorteilhaft ist. So profitieren insbesondere junge Menschen durch den geringen Eigenbeitrag, eine hohe Förderquote und umfangreiche Leistungen. Zudem garantieren wir eine Annahme ohne Gesundheitsprüfung und unabhängig vom Lebensalter. Diese Vorzüge machen den Tarif auf der anderen Seite aber insbesondere für ältere Versicherte in Relation teurer als herkömmliche Pflege-Zusatzversicherungen. Im Idealfall kombinieren die Versicherten ohnehin beides: Der Pflege-Bahr bildet dann den Sockel der Absicherung, auf den noch eine individuelle Ergänzung aufgesetzt werden kann.

„Mit den Pflegereformen in den letzten Jahren ist die Politik leider vom richtigen Weg abgekommen“

Der Pflege-Bahr richtet sich besonders an Menschen mit Vorerkrankungen, die bei anderen Tarifen häufig abgelehnt werden. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um diese Zielgruppe weiterhin gezielt anzusprechen und den Tarif sowohl für die Kunden als auch für Sie als Anbieter attraktiv zu gestalten?

Wir befürworten es ausdrücklich, einem breiten Personenkreis den Zugang zu ergänzender Pflegevorsorge zu erleichtern, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch bei den Zugangsvoraussetzungen. Natürlich muss dabei immer ein gut kalkulierbarer Bestand im Auge behalten werden.

Glauben Sie, dass der Pflege-Bahr in den nächsten Jahren angepasst oder sogar ersetzt werden muss, um den politischen Zielen seit Einführung gerecht zu werden? Wenn ja: Was würden Sie dem Gesetzgeber raten?

Die aktuelle Entwicklung in der Pflegepflichtversicherung zeigt, dass nicht nur die Leistungen – und damit verbunden auch die Kosten –, sondern auch der Anteil pflegebedürftiger Menschen steigt. Und in den kommenden zwanzig Jahren wird diese Situation noch prekärer, wenn sich die Anzahl der Pflegebedürftigen um Menschen aus der Babyboomer-Generation erhöht. Es braucht daher aus unserer Sicht zwingend eine generationengerechte Vorsorge mit mehr Kapitaldeckung.

Gerade aufgrund der Entwicklung in den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass die Kosten und Beiträge in der Pflegepflichtversicherung ohne notwendige grundlegende Änderungen und Reformen aus dem Ruder laufen. Vor diesem Hintergrund hat der PKV-Verband bereits entsprechende Lösungskonzepte präsentiert, wie etwa den „Neuen Generationenvertrag für die Pflege“ oder das vom Experten-Rat Pflegefinanzierung vorgelegte Konzept einer generationengerechten „Pflege + Versicherung“.

Mit dem Pflege-Bahr hat die Politik grundsätzlich den richtigen Weg eingeschlagen. Die öffentliche Aufmerksamkeit rund um die Einführung sowie die finanzielle Förderung hat das Bewusstsein in der Bevölkerung für private Vorsorge zunächst auch sehr gestärkt. Mit den Pflegereformen in den Folgejahren ist die Politik leider vom richtigen Weg abgekommen. Anstatt die private Vorsorge weiter zu fördern und mit der kapitalgedeckten Vorsorge jüngere Generationen zu entlasten, hat die Politik die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung sukzessive ausgebaut – und dadurch in der Bevölkerung für eine trügerische Sicherheit gesorgt. Die andauernden Debatten um eine Pflege-Vollversicherung haben die gute Entwicklung zusätzlich gebremst. Um die wichtige Vorsorge für den Pflegefall breiter in der Gesellschaft zu verankern, sollten die Beiträge für eine betriebliche Pflegeversicherung steuer- und sozialabgabenfrei gestellt werden. Die Pflegevorsorge ist jedoch generell ein wesentlicher Baustein der Altersvorsorge. Daher sollte jedem – auch unabhängig vom Engagement eines Arbeitgebers – ein günstiger Zugang zur Pflegevorsorge ermöglicht werden. Ein sinnvoller Hebel hierfür wäre es, die Pflegezusatzversicherung umfassend steuerlich abzugsfähig zu gestalten – so wie das bei Beiträgen für andere Vorsorgeaufwendungen bereits möglich ist. Auch eine Erhöhung der direkten finanziellen Förderung wäre geboten.

Wie wichtig ist der Pflege-Bahr für die Debeka langfristig? Und sehen Sie Ihre Rolle als Marktführer in diesem Segment auch in den kommenden Jahren – selbst, wenn keine weiteren gesetzlichen Anpassungen erfolgen?

Die ergänzende Pflegevorsorge bleibt ein wichtiges Zukunftsthema. Hinsichtlich der Erneuerung der Förderfähigkeit und des Förderprozesses schließen wir uns der Positionierung des PKV-Verbandes an.

Zu guter Letzt: Was ist Ihre Bilanz seit Einführung der Produkte aus Sicht Ihres Unternehmens?

Wir ziehen eine positive Bilanz, denn rund 200.000 Menschen konnte der Zugang zu finanzieller Unterstützung im Pflegefall ermöglicht werden. Wir sehen aber weiteren Handlungsbedarf für eine Generationengerechte Pflege und schließen uns hierbei erneut den Positionen des PKV-Verbandes an.