KMU: „Grundlegenden Sicherheitsvorkehrungen sind vielfach nicht vorhanden“

Quelle: pixelcreatures@pixabay

Kleine und mittlere Unternehmen stehen vor immer komplexeren Bedrohungen – von Cyberangriffen über Lieferkettenprobleme bis hin zu Betriebsausfällen. Michael Hirschmann, Leiter der Vertriebsdirektionen Süddeutschland bei der Alte Leipziger Versicherung AG, erklärt, welche Versicherungen essenziell sind, warum Risikobewusstsein entscheidend ist und wie Makler ihre Kunden bestmöglich begleiten können.

Versicherungsbote: Welche grundlegenden Versicherungen sind für KMU unerlässlich, um ihre betrieblichen Risiken angemessen abzudecken?

Michael Hirschmann: Ausgehend von der Fragestellung „Was kann ich mir leisten?“ und „Was ist existenziell gefährdend?“ sind für einen gewerblichen Betrieb immer die korrespondierende Betriebshaftpflichtversicherung und die relevanten Sachsubstanzversicherungen wichtig. Zu Letzteren gehören die Gebäude-, Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherungen. Hinsichtlich der zu versichernden Gefahren innerhalb dieser Verträge muss man sagen, dass alle totalschadenrelevanten Gefahren empfohlen werden – und hierzu gehören inzwischen vor allem auch die Elementarschadenrisiken.

Eine Ebene darunter stellt sich die Frage nach der Branche. Während für Risiken in der Baubranche auch das Thema der Bürgschafts- und Kautionsversicherungen wichtig ist, sehen wir für alle produktionsorientierten Betriebe auch die technischen Versicherungen – insbesondere die Maschinenversicherung – als relevant an. Für Betriebe mit gehobenen Warenströmen ist aus verschiedenen Gründen eine eigenständige Warentransportversicherung empfehlenswert. Nicht eingegangen wird an dieser Stelle auf eventuelle Pflichtversicherungen wie Kraftfahrt- oder Haftpflichtdeckungen für Kammerberufe.

Quelle: Michael Hirschmann@ALH

Wie hat sich die allgemeine Bedrohungslage für KMU in den letzten Jahren verändert, insbesondere im Hinblick auf Cyberangriffe und IT-Sicherheitsrisiken?

Aus unserer Sicht hat sich die Bedrohungslage deutlich verschärft. Die Anzahl der Angriffe hat dramatische Höhen erreicht und ist auch hinsichtlich der Professionalität deutlich gestiegen. Inzwischen lassen sich Phishing-Mails fast nicht mehr von echten Mails unterscheiden. Zudem kann man feststellen, dass sich die Täter auf einzelne Branchen spezialisiert haben, um dort eher als authentisch wahrgenommen zu werden. Auch wenn die Zahl der versicherten Risiken im Bereich Cyber zunimmt, gibt es hier noch enormen Nachholbedarf.

Darüber hinaus müssen wir feststellen, dass das Risikobewusstsein der Kunden zwar langsam steigt, aber die grundlegenden Sicherheitsvorkehrungen – wie Passwortschutz, Datensicherung und die regelmäßige Auslagerung von Backups – vielfach nicht vorhanden sind.

Inwiefern beeinflussen diese veränderten Bedrohungsszenarien die Auswahl und Gestaltung von Versicherungsprodukten für KMU?

Die Produkte der Versicherungswirtschaft sind auf diese Szenarien eingestellt. Natürlich beobachten die Versicherungsgesellschaften den Markt und passen ihre Produkte bei Bedarf an. Wichtiger scheint uns jedoch das Risikobewusstsein der Kunden zu sein. Die Beschäftigung mit Szenarien, Lieferketten und Engpassmaschinen sowie die Bereitschaft, in deren Vermeidung zu investieren, sind essenziell. Wir glauben, dass auch globale Themen wie die Energiewende, Klimapolitik, Pandemien sowie Unruhen und Kriege viele Betriebe aufgerüttelt haben. Die existenzielle Bedrohung durch Prozesse (Wärme, Strom) oder einen EDV-Ausfall war noch nie so aktuell wie heute.

Welche Herausforderungen sehen Sie für Makler bei der Beratung von KMU in Bezug auf neue Risiken wie Cyberbedrohungen, und wie können die Makler diesen Herausforderungen begegnen?

Wichtig ist hier die ganzheitliche Beratung des Kunden im Hinblick auf seine Stakeholder. Dies erfordert neben der fachlichen Expertise auch ein offenes Vertrauensverhältnis zum Kunden. Apropos fachliche Expertise – Schulung und Weiterbildung sind für alle Marktteilnehmer unabdingbar. Wenn es uns dann noch gelingt, das Risikobewusstsein bei den Kunden zu schärfen und sie entsprechende Investitionen tätigen, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Problematisch ist hierbei, dass die konjunkturelle Lage vieler Betriebe derzeit nicht besonders rosig ist.

„Der Anspruch eines jederzeit aktuellen Versicherungsschutzes ist schwer zu erfüllen“

Die Bedrohungslage ist sehr dynamisch. Wie können Makler sicherstellen, dass der Versicherungsschutz ihrer KMU-Kunden stets aktuell und angemessen ist?

Der Anspruch eines jederzeit aktuellen Versicherungsschutzes ist schwierig zu erfüllen, denn wir agieren in sehr dynamischen Märkten. Allerdings sind in vielen Produkten bereits Leistungsupdate-Garantien eingebaut. Nicht zuletzt ist ein regelmäßiger Kontakt zu den Kunden sowie ein intensives Jahresgespräch zur Bewertung der Unternehmenssituation und des passenden Versicherungsschutzes unumgänglich. Leider lässt sich feststellen, dass dies noch nicht überall Realität ist.

Viele KMU erweitern ihr Geschäftsfeld und werden zu sogenannten Mischbetrieben, indem sie verschiedene Tätigkeiten kombinieren. Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich dadurch für die Versicherung, und wie können Makler ihre Kunden bei der Anpassung des Versicherungsschutzes unterstützen?

Auch diese Veränderungen würden bei einem guten Kontakt zwischen Vermittler und Kunde frühzeitig festgestellt werden, sodass entsprechend reagiert werden kann. Die Versicherungsprodukte lassen sich in der Regel anpassen. Wenn dann das Standardprodukt nicht mehr passt, bedarf es einer individuelleren Lösung seitens des Versicherers. Viele auf KMU fokussierte Versicherer bieten genau diese individuellen Produkte und Lösungen an, wenn der Standardtarif nicht mehr greift.

Vor dieser Lösung steht jedoch das Risikobewusstsein des Kunden sowie die frühzeitige Erkennung von Veränderungen – sei es durch Fragebögen, KI-gestützte Prozesse, Gespräche oder Besichtigungen. Allerdings kosten diese Serviceleistungen Geld. Wer ausschließlich auf den günstigsten Preis achtet, könnte im Verlauf der Versicherungszeit feststellen, dass dies nicht die beste Entscheidung war.

Welche Bedeutung haben Betriebsunterbrechungsversicherungen für KMU, insbesondere im Kontext von Cyberangriffen oder anderen unerwarteten Ereignissen? Und hat es nach den Corona-Debatten hier Produktanpassungen gegeben?

Wir glauben, dass das Risiko einer Betriebsunterbrechung deutlich unterschätzt wird. Oftmals wiegt sie schwerer als der eigentliche Sachsubstanzschaden. Ob im Bereich der Zulieferer oder der Abnehmer – eine fundierte Beratung ist essenziell.

Das Wort „Lieferketten“ ist derzeit zwar politisch stark diskutiert, doch die grundsätzliche Überlegung, woher Unternehmen ihre Rohstoffe oder Halbfertigprodukte beziehen und wer die fertigen Produkte abnimmt, ist heute wichtiger denn je. Gerade wenn es Engpassmaschinen gibt, kann eine Maschinen-Betriebsunterbrechungsversicherung sinnvoll sein. Auch in den Cyberversicherungen gibt es in der Regel einen Betriebsunterbrechung-Baustein, entweder als optionale Ergänzung oder als festen Bestandteil des Produkts.

Corona hat insbesondere im Bereich der Betriebsschließungsversicherungen eine Rolle gespielt. Hier haben sich nach den vielfältigen Schadenszenarien tatsächlich notwendige Produktklarstellungen ergeben.

Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels: Welche Versicherungsprodukte oder -strategien können KMU dabei helfen, ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern und Mitarbeiter langfristig zu binden?

Während wir uns bei den vorherigen Fragen im Bereich der Kompositversicherungen bewegt haben, gehört das Thema der versicherungstechnischen Benefits eher in den Bereich der Betrieblichen Altersversorgung und Betrieblichen Krankenversicherung. Dort gibt es tatsächlich Angebote, die sich hervorragend zur Mitarbeitergewinnung und -bindung eignen.

Darüber hinaus beobachten wir, dass Aspekte wie das Arbeitsumfeld, die Möglichkeit zum Homeoffice und die Wertschätzung der Mitarbeiter zunehmend entscheidender werden, um gutes Personal zu finden und langfristig zu binden.