„Auf Branchenebene ist Wohngebäude ein systematischer Verlustbringer“

Quelle: Dennis Wittkamp@Assekurata

Extremwetter, Baukostenexplosion und regulatorische Vorgaben setzen die Wohngebäudeversicherung zunehmend unter Druck. Wie stabil das Geschäftsmodell aus externer Sicht noch ist, warum Rückversicherungen an Grenzen stoßen und dauerhafte Prämienerhöhungen keine Lösung sein können, erklärt Dennis Wittkamp, Fachkoordinator Schaden-/Unfallversicherung beim Analysehaus Assekurata, im Versicherungsbote-Interview.

Versicherungsbote: Die Wohngebäudeversicherung kämpft mit steigenden Schäden durch Extremwetter, Baukostensteigerungen und regulatorische Veränderungen. Welche dieser Faktoren stellt aktuell die größte Bedrohung für die Rentabilität der Branche dar?

Dennis Wittkamp: Im Grunde ist die Kombination dieser drei Entwicklungen die zentrale Bedrohung für die langfristige und dauerhafte Rentabilität der Branche. Jede dieser Faktoren tritt zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Ausprägungen auf, doch ihre Auswirkungen sind langfristig und wirken gemeinsam. In den letzten Jahren waren die stark steigenden Baukosten wohl der größte Einflussfaktor auf die Branche. Durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine wurden Lieferketten gestört, was zu einer massiven Inflation führte. Die Preise für den Wiederaufbau von Gebäuden und die Reparatur von Schäden stiegen aufgrund der höheren Material- und Arbeitskosten, was die Rentabilität erheblich belastete. Dank der Möglichkeit, die Prämien basierend auf dem Baupreis- und Tariflohnindex für das Baugewerbe jedes Jahr anzupassen, konnte die Branche diese Effekte jedoch zeitnah in den Prämien berücksichtigen.

Ein weiterer langfristiger Druck entsteht durch die steigende Schadenhäufigkeit aufgrund von Extremwetterereignissen. Dies betrifft nicht nur Großereignisse wie die Katastrophe im Ahrtal, sondern führt zu einer konstanten Belastung. Zudem steigen die Kosten durch regulatorische Anforderungen, die bei der Reparatur oder dem Wiederaufbau von Schäden berücksichtigt werden müssen. Oftmals sind diese behördlichen Auflagen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht bekannt und können daher nicht in die ursprünglichen Preise eingerechnet werden. Aus diesem Grund haben viele Versicherer in den letzten Jahren begonnen, Anpassungen in den Bedingungswerken zu verankern, die über die üblichen Indexanpassungen hinausgehen. 2025 haben zahlreiche Wohngebäudeversicherer solche Anpassungen vorgenommen, was den wachsenden Ertragsdruck auf die Branche verdeutlicht.

Die Schaden-Kosten-Quote lag 2023 bei 100,9 Prozent, was eine Verbesserung gegenüber den Vorjahren darstellt, aber noch immer auf eine angespannte Lage hindeutet. Wie bewerten Sie die langfristige Rentabilität der Wohngebäudeversicherung?

Wie gesagt wird die Branche durch die oben genannten Faktoren dauerhaft unter einem gewissen Ertragsdruck stehen. Mit den nun durchgeführten Beitragsanpassungen dürfte sich die Ertragslage, sofern 2025 ein normales Schadenjahr wird, erstmal wieder etwas entspannen. Langfristig stellt sich die Frage, inwieweit der Versicherungsschutz bezahlbar bleibt. Immer weitere Prämienerhöhungen können nicht die Antwort sein und führen letztlich zur Nichtversicherbarkeit von Risiken. Hier ist allerdings nicht nur die Versicherungsbranche gefragt, sondern vielmehr der Gesetzgeber. Insbesondere das Thema des Bauens in (Hoch-)Risikogebieten muss hier angegangen werden.

Die jüngsten Hochwasserereignisse in Polen und Tschechien haben erneut gezeigt, wie verwundbar Gebäude gegenüber Naturkatastrophen sind. Wie müssen Versicherer ihre Risikobewertung anpassen, um solchen Entwicklungen gerecht zu werden?

Die Versicherer haben bereits auf die Herausforderungen reagiert und verfeinern kontinuierlich ihre Risikobewertungen. Ein Beispiel dafür ist die Weiterentwicklung des Zonierungssystems für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS), das immer präziser wird. Mit der Einführung der Starkregen-Gefährdungsklassen (SKG) hat die Branche gezielt auf die Zunahme von Starkregenereignissen reagiert.

Trotz dieser Fortschritte zeigt sich jedoch, dass die Versicherungswirtschaft allein nicht die Lösung für das gesamte Problem finden kann. Es ist entscheidend, dass der Gesetzgeber ebenfalls Maßnahmen zur Risikominimierung ergreift, um den Versicherern zu ermöglichen, auch langfristig bezahlbaren Versicherungsschutz für alle Gebäude anzubieten. Der GDV hat bereits konkrete Vorschläge gemacht, die die Politik nun endlich angehen sollte. Hierzu zählen beispielsweise ein Baustopp in Überschwemmungsgebieten sowie eine Reduzierung der Flächenversiegelung, um die Auswirkungen von Starkregen und Überschwemmungen zu verringern.

Laut Ihrer Analyse spielen spezialisierte Rückversicherungsverträge eine wachsende Rolle. Welche neuen Rückversicherungsmodelle könnten helfen, die Wohngebäudeversicherung widerstandsfähiger zu machen? Und führt die steigende Abhängigkeit von Rückversicherungen zwangsläufig zu einer Verteuerung der Policen für die Endkunden?

Der Einfluss der Rückversicherung auf die Ergebnissituation in der Wohngebäudeversicherung wird besonders in einer langfristigen Betrachtung deutlich. Hierzu haben wir unter anderem die Schaden-Kosten-Quote (Combined Ratio) und die Nettoergebnisquote, also das Ergebnis nach dem Rückversicherungssaldo, über einen längeren Zeitraum verglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass die Branche seit 2001 nur im Geschäftsjahr 2020 ein positives Nettoergebnis ausweisen konnte. Das heißt: Die Erstversicherer haben in Summe nur in einem Geschäftsjahr positive Erträge erwirtschaftet.

Auf Branchenebene erweist sich die Wohngebäudeversicherung nach Rückversicherung demnach als systematischer Verlustbringer. Auch die Rückversicherer können sich dem steigenden Risiko nicht entziehen und haben die Prämien angehoben und teilweise die Kapazitäten reduziert. Dadurch werden die Erstversicherer und letztlich die Endkunden auch durch tendenziell steigende Rückversicherungsprämien weiter belastet. Inwieweit sich alternative Absicherungsformen wie die Rückversicherung über den Kapitalmarkt durch sogenannte Catastrophe Bonds (Cat Bonds) weiter verbreiten werden, bleibt abzuwarten.

Sie haben auch flexiblere Prämienanpassungen als eine der wichtigsten Maßnahmen für Wohngebäudeversicherer hervorgehoben. Wie kann eine dynamischere Tarifgestaltung dazu beitragen, die Branche langfristig stabiler zu machen?

Die Wohngebäudeversicherung passt ihre Beiträge bereits heute zeitnah an wirtschaftliche Entwicklungen an. Durch die jährliche Indexanpassung werden die Prämien an die Veränderungen des Baupreis- und Tariflohnindex des Vorjahres angepasst, sodass die Branche schnell auf inflationäre Effekte reagieren kann. Inzwischen haben fast alle Versicherer in ihren Bedingungswerken die Möglichkeit verankert, über diese Indexanpassung hinaus Beiträge anzupassen – wie es Anfang 2025 der Fall war. Dadurch können sie notwendige Korrekturen flexibler vornehmen.

Langfristig wird jedoch nicht die kurzfristige Anpassungsfähigkeit entscheidend sein, sondern das absolute Prämienniveau. Ein höheres Prämienniveau würde die Schaden-Kosten-Quote verbessern und damit die wirtschaftliche Stabilität der Branche stärken. Allerdings haben viele Versicherer bereits jetzt Schwierigkeiten, ein dauerhaft ausreichendes Prämienniveau zu erreichen – vor allem aufgrund der stetig steigenden Schadenbedarfe.

Dauerhafte Prämienerhöhungen allein können keine Lösung sein, da sie den Versicherungsschutz für viele Menschen unbezahlbar machen würden. Deshalb wird Prävention in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Nur durch gezielte Maßnahmen zur Risikominimierung – sowohl von Versicherern als auch von Politik und Gesellschaft – lässt sich langfristig ein bezahlbarer und verlässlicher Versicherungsschutz sicherstellen.

„Hohe Selbstbehalte dürften viele Hausbesitzer überfordern“

Ein weiteres strategisches Element ist die Förderung von Präventionsmaßnahmen, um künftige Schadenquoten zu senken. Welche Maßnahmen haben sich als besonders wirksam erwiesen, und wie können Versicherer ihre Kunden besser in die Prävention einbinden?

Wie bereits angesprochen ist das Thema Prävention in Zeiten zunehmender Schadenhäufigkeiten und gleichzeitig steigender Schadenkosten von elementarer Bedeutung, um die Entwicklung der Schadenaufwendungen positiv beeinflussen zu können. Eine gute Orientierung bietet der GDV-Leitfaden „Build Back Better“, der verschiedene sinnvolle Maßnahmen vorschlägt. Dazu zählen unter anderem die Verwendung wasserresistenter Materialien, die Installation von Rückstauklappen sowie bauliche Anpassungen wie die Erhöhung des Gebäudesockels oder eine verstärkte Gebäudehülle.

Während Versicherer Anreize für Prävention setzen können, liegt die Verantwortung für baurechtliche Vorgaben beim Gesetzgeber. Dieser könnte durch entsprechende Vorschriften sicherstellen, dass Neubauten und Sanierungen stärker auf Hochwasser- und Klimarisiken ausgerichtet werden.

Für die Versicherungswirtschaft ist es denkbar, dass Präventionsmaßnahmen künftig vertraglich als Obliegenheit festgelegt werden. Das würde bedeuten, dass der volle Versicherungsschutz nur greift, wenn bestimmte Schutzmaßnahmen umgesetzt wurden. Eine solche Entwicklung könnte dazu beitragen, langfristig bezahlbaren und nachhaltigen Versicherungsschutz sicherzustellen.

Welche neuen Konzepte – etwa Pay-as-you-go-Modelle, dynamische Prämien oder individuelle Risikobepreisung – könnten sich in der Wohngebäudeversicherung in Zukunft noch etablieren?

Die Risikobepreisung wird in der Zukunft sicher noch individueller erfolgen. Besonders die von mir eben genannten Präventionsmaßnahmen könnten stärker in den Prämien berücksichtigt werden. Aber auch die individuelle Risikosituation des Gebäudes wird aufgrund des technischen Fortschrittes immer besser erfasst, was ebenfalls zu einer stärkeren Prämiendifferenzierung führen kann.

Die Diskussion um eine Pflichtversicherung für Elementarschäden hält an. In der Bundestagsanhörung gab es unterschiedliche Meinungen – während einige Experten eine Verpflichtung fordern, warnen andere vor Eingriffen in das Vertragsrecht und steigenden Kosten für Versicherte. Wie bewerten Sie diese Debatte aus Marktsicht – und wäre eine Pflichtversicherung eine tragfähige Lösung für die Branche?

Hier muss man zwei Perspektiven unterscheiden. Aus Sicht der Politik sind zu viele Gebäude nicht versichert. Das ist ein Fakt, den auch die Versicherungsbranche nicht leugnet. Der Anteil der versicherten Gebäude steigt in den letzten Jahren – trotz aller Bemühungen der Versicherer – nur sehr langsam an. Hier besteht also Handlungsbedarf. Eine Versicherungspflicht geht dieses Problem an und erhöht die Versicherungsquote.

Auf der anderen Seite haben wir über die Ertragssituation der Branche bereits ausführlich gesprochen. Die Pflicht, für jedes Gebäude einen bestimmten Versicherungsschutz zur Verfügung stellen zu müssen, wird die Branche überfordern. Die Versicherungspflicht muss also so ausgestaltet sein, dass die Versicherer letztlich eine risikoadäquate Prämie erhalten.

Die Begrenzung des Risikos über hohe Selbstbehalte hilft zwar den Versicherern, untergräbt aus meiner Sicht jedoch den Gedanken der Versicherungspflicht, die Hausbesitzer vor finanzieller Überforderung zu schützen. Ein Selbstbehalt von 100.000 Euro oder mehr dürfte viele Hausbesitzer weiterhin überfordern. Aktuell erscheint es so, dass zwischen CDU/CSU und SPD im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zumindest eine Einigkeit hinsichtlich der Einführung einer Versicherungspflicht gibt, was zu begrüßen ist. Über die genaue Ausgestaltung im Detail ist aktuell noch nichts bekannt. Die kolportierten Vorschläge über eine staatliche Rückversicherungslösung würde ich aber zunächst positiv bewerten.

Eine der diskutierten Lösungen ist das Opt-out-Modell, bei dem eine Elementardeckung automatisch enthalten wäre, aber aktiv abgewählt werden kann. Wäre eine solche Regelung aus versicherungstechnischer Sicht sinnvoll, und welche Herausforderungen würde sie für die Kalkulation und Risikosteuerung der Versicherer mit sich bringen?

Viele Versicherer haben in den letzten Jahren auf Opt-out-Modelle gesetzt. Damit konnte der Anteil von Elementarabdeckungen in den Wohngebäudepolicen auch gesteigert werden. Im Neugeschäft inkludieren so rund 75 Prozent der Kunden die Absicherung gegen Elementarrisiken. Durch das vergleichsweise geringe Neugeschäft bewegt sich der Anteil im Gesamtbestand – wie erwähnt – aber nur sehr langsam nach oben. Außerdem gibt es weiterhin Kunden, die den Versicherungsschutz nicht wählen, so dass eine hundertprozentige Durchdringung nicht realistisch erscheint.

Zusätzlich setzen Versicherer häufig auf hohe Selbstbehalte, was für viele Kunden eine finanzielle Herausforderung darstellt. Besonders problematisch ist dies für Eigentümer in hochgefährdeten Gebieten, die bereits mit steigenden Prämien zu kämpfen haben. Die zentrale Frage bleibt daher: Wie sollen Gebäudebesitzer mit hohem Risiko eine risikoadäquate Prämie bezahlen können? Bevor über eine Versicherungspflicht oder ein Opt-Out-Modell entschieden wird, muss hierfür eine tragfähige Lösung gefunden werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Versicherungen für viele unbezahlbar werden und ihr eigentlicher Zweck – finanzielle Sicherheit im Schadensfall – nicht mehr erfüllt wird.