Medizintechnik-Branche mit robustem Wachstum

Die börsennotierten Unternehmen der Medizintechnikbranche befinden sich auf Wachstumskurs. Ihr Umsatzwachstum erhöhte sich im Jahr 2011 in den USA und Europa zusammen genommen von vier auf sechs Prozent, und die Nettogewinne stiegen erneut überproportional und zum dritten Mal zweistellig um 14 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten stieg um 3 Prozent auf rund 726.000.

Auch in Deutschland konnten die börsennotierten Medizintechnik-Unternehmen beachtliche Erfolge einfahren: Im Jahr 2011 steigerten die deutschen Unternehmen ihren Umsatz um 7 Prozent auf 48 Mrd. US-Dollar, ihre Gewinne sogar um 11 Prozent auf 1,25 Mrd. US-Dollar. Mit mehr als 97.000 Beschäftigen waren 6 Prozent mehr Menschen in den börsennotierten Medizintechnik-Unternehmen beschäftigt als im Vorjahr. Doch die Bäume wachsen in der Branche nicht mehr in den Himmel.

Das Bemühen aller Kostenträger, die wachsenden Gesundheitsaufwendungen in den Griff zu bekommen, trifft auch die Lieferanten von Medizintechnik. Das sind Ergebnisse der Studie „Am Puls der Branche: Medizintechnik-Report 2012“ der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young, die gestern Abend gemeinsam mit der Bioregio Stern in Hechingen vorgestellt wurde.

In Europa und den USA zusammen sind die Umsätze 2011 um 6 Prozent auf 331,7 Milliarden Dollar gestiegen, die Nettogewinne um 14 Prozent auf fast 20 Milliarden Dollar. Die Gewinnsteigerung ging überwiegend auf das Konto der US-Firmen, die bei einer Umsatzsteigerung um 4 Prozent auf 204 Milliarden Dollar netto 13,7 Milliarden Dollar und damit 19 Prozent mehr als im Vorjahr verdienten. Allerdings ist dieser Gewinnsprung zum Teil auf neue Buchhaltungsregeln in den USA und auf die Auflösung von Rückstellungen bei Großkonzernen zurückzuführen. Entsprechend ließen die US-Unternehmen mit jeweils zwei Prozent höheren Forschungs- und Entwicklungsausgaben sowie Personalzahlen Vorsicht walten.

Die europäischen Medizintechnik-Unternehmen haben dagegen ihre Umsätze 2011 insgesamt um acht Prozent auf 127,4 Milliarden Dollar ausgeweitet. Anders als in den USA hielten ihre Nettogewinne jedoch nicht mit dem Umsatzwachstum Schritt – sie stiegen nur um fünf Prozent, aber damit immerhin stärker als im Vorjahr (drei Prozent). Die um 12 Prozent erhöhten Forschungs- und Entwicklungsausgaben und das um sechs Prozent aufgestockte Branchenpersonal signalisieren indessen, dass die Unternehmen weiterhin expansiv gestimmt sind.

Weniger Venture Capital

Vor allem Startups und kleinere Unternehmen haben bisher ungewohnte Schwierigkeiten bei der Finanzierung. Zwar gelang es den Branchenunternehmen in Europa und den USA in den zwölf Monaten bis zum 30. Juni 2012, neue Mittel in Höhe von 27,4 Milliarden US-Dollar aufzunehmen, gut ein Viertel mehr als im Vorjahr. Doch der größte Teil dieser Summe (21,8 Milliarden Dollar) ging in Form von Krediten an die Firmen, überwiegend an die wirtschaftlich Stärksten.

In Europa waren es Fresenius Medical Care (FMC, Deutschland) und Covidien (Irland), die zusammen allein 85 Prozent der Kredite aufnahmen. FMC setzte 2,1 Milliarden seiner 2,7 Milliarden Dollar neuer Kredite ein, um die amerikanische Dialyse-Kette Liberty Dialysis zu akquirieren.

Vielen der kleineren und jüngeren Firmen dagegen fiel es schwer, ihre Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zu finanzieren. Ihnen fehlte vor allem die angestammte Geldquelle der Venture-Capital-Unternehmen (VC). Zwar nahmen deren Beiträge zur Branchenfinanzierung insgesamt noch etwas zu, während sie in Europa bereits leicht sanken. Doch der Druck ihrer eigenen Investoren, die sinkenden Exit-Chancen und die schwache Entwicklung der Börsengänge veranlassten sie, stärker in reife Unternehmen zu investieren, die schnellere und sicherere Gewinne versprachen. „Die Kluft zwischen großen und kleinen Firmen war noch nie so groß wie heute“, stellt Heinrich Christen, Leiter des Bereichs Medizintechnik bei Ernst & Young EMEIA, fest.

Medizintechnikbranche vor schwierigen Zeiten

Die Studienautoren sehen auf die Medizintechnik-Branche härtere Zeiten zukommen. „Die Struktur der Nachfrager verändert sich“, erklärt Christen. „Früher waren es vor allem die Ärzte, mit denen die Medizintechnik-Firmen den direkten Kontakt – von der Produktentwicklung bis zum Verkauf und dem After-Sales-Service – pflegten. Heute haben es die Anbieter zunehmend mit den Instanzen zu tun, die die Kosten tragen, also mit Einkaufsabteilungen, Kostenträgern und zunehmend auch mit den Patienten selbst.“ Damit verlagerten sich die Anforderungen weg von einer immer perfekteren Technik hin zur höheren Wirtschaftlichkeit und Erschwinglichkeit der Produkte.

„In ihrem Streben nach höherer Effizienz setzen die neuen Nachfrager zum Beispiel auf Wirksamkeitsvergleiche und eine höhere Nutzung kostspieliger Hochtechnologie, etwa durch gemeinsamen Einsatz eines Geräts für mehrere Abteilungen eines Krankenhauses oder auch durch den gemeinsamen Betrieb in Klinik-Kooperationen. Diese Entwicklung ist in den USA schon deutlich zu sehen, zeichnet sich aber auch bei uns immer klarer ab“, skizziert Christen den Trend.

Wachsender Preisdruck 


Beides – sowohl die Kosten-Nutzen-Vergleiche konkurrierender Produkte als auch die intensivere Nutzung von Geräten – habe dieselben Folgen: „Die Preise geraten immer mehr unter Druck, die Medizintechnik-Firmen müssen den Kanon ihrer Entwicklungsziele um den wichtigen Punkt der Wirtschaftlichkeit ergänzen, und sie müssen ihre Marketing- und Vertriebsstrategien auf die neuen Entscheidergruppen ausrichten. Künftig geht es darum, anstelle von Produkten komplette Lösungs-Pakete und nachweisbaren Nutzen anzubieten. Insgesamt heißt das: Die Branche steht vor grundlegenden Änderungen ihrer Geschäftsmodelle“, fasst Christen zusammen.

Hinzu kommen für Teile der Branche neue technische Anforderungen. Wie in anderen Wirtschaftszweigen auch, spielt die Informations- und Kommunikationstechnik eine immer größere Rolle. „Vor allem im Bereich der Diagnose ergeben sich neue Möglichkeiten dadurch, dass größere Datenmengen verarbeitet werden, sei es im Zeitablauf oder auch durch Zusammenführung unterschiedlicher Informationen“, stellt Christen fest.

„Das Geschick der Medizintechnik-Anbieter wird nicht zuletzt darin bestehen, diese Daten unterschiedlichen Zielgruppen – sowohl den Patienten als auch den Medizinern – in geeigneter Form zur Verfügung zu stellen.“ Neue Kommunikationsmittel wie Tablets oder Smartphones würden in Zukunft neue Wege der Datenermittlung und -übertragung eröffnen. Diese Art der Telemedizin mache es möglich, Herzfrequenzen, Blutdruckwerte oder EKG-Kurven zu Hause zu ermitteln und als Langzeit-Reihen in der Klinik zu verarbeiten.

Konsolidierungswelle vor allem unter kleinen Unternehmen

Die schwierigeren Marktbedingungen werden zu einem Konsolidierungsprozess führen – vor allem im Bereich der kleineren Firmen“, ist Christen überzeugt. Die Entwicklung der Unternehmensübernahmen deute bereits darauf hin. Denn von Mitte 2011 bis Mitte 2012 sank das Transaktionsvolumen in der europäischen Medizintechnik-Branche um rund 40 Prozent auf 9,4 Milliarden Dollar. Gleichzeitig stieg die Zahl der Transaktionen sprunghaft um die Hälfte von 122 auf 184 – der Durchschnittswert lag also bei 51 Millionen Dollar und damit eher im mittelständischen Bereich.

„In dem Bermuda-Dreieck zwischen der Ausrichtung auf neue Geschäftspartner und deren Zielsetzungen, neuen technischen Herausforderungen und dem Zwang zu neuen, kreativen Finanzierungsstrategien könnte manche jüngere Medizintechnik-Firma untergehen. Für die gesamte Branche wird es zunehmend lebenswichtig, die Geschäftsmodelle neu auszurichten. Es wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, nur technisch Spitze, sondern auch in der Orientierung auf die Kundenbedürfnisse, zum Beispiel im Service, sehr kreativ zu sein“, zieht Christen das Fazit.