In einer Zeit, in der Daten das neue Öl sind, gehören MVPs zum unerlässlichen Werkzeug eines Versicherungsmaklers. Die Tätigkeit des Vermittlers ändert sich dadurch fundamental. Welche Risiken für die Maklerschaft mit dieser Entwicklung einhergehen und worauf bei der Auswahl des MVP-Anbieters zu achten ist, lesen Sie in der heutigen Kolumne „Aus dem Alltag eines digitalen Versicherungsmaklers“ von Dr. Philipp Kanschik (Policen Direkt). Der Artikel ist Teil einer Serie zur Unabhängigkeit der Makler.
Maklerverwaltungsprogramme (kurz: MVPs) sind längst ein lukrativer Geschäftszweig geworden. Nahezu alle Maklerunternehmen mit Umsätzen über 100.000 Euro nutzen sie, ebenso wie eine zunehmende Zahl an Einzelmaklern. Längst geht der Funktionsumfang der Programme über ihren eigentlichen Ursprungszweck—die strukturierte Erfassung von Kunden- und Vertragsdaten—hinaus. MVPs sind heutzutage direkt an Vergleichsrechner angebunden, laden automatisiert Dokumente zu Verträgen hoch, helfen im Provisionscontrolling oder ermöglichen die Anbindung und Abrechnung von Untervermittlern.
Bits statt Beratung – die Urangst der Makler vor der Technik
Mit diesem Erfolg kommt die Skepsis. Philosophisch gesprochen gilt: die Angst vor der Technik ist eine Urangst der Menschheit. Wer sich von Technologie abhängig macht, riskiert (zumindest gefühlt) Autonomie, freien Willen und kulturelles Selbstverständnis. Der Berufstand der Versicherungsmakler ist hier keine Ausnahme. Mit der Nutzung eines MVPs, so behaupten Kritiker, verknüpfen Makler ihre berufliche Zukunft mit einer Technik, die sie selbst weder entwickeln, verstehen, oder gar beeinflussen können. Der moderne MVP-Makler sei vom Versicherungsexperten zum Datenknecht degradiert: sein Fokus auf Prozess- statt Produktkenntnis, auf Bits statt Beratung.
Philipp Kanschik
Dr. Philipp Kanschik ist Geschäftsführer von Policen Direkt und dort verantwortlich für Technologieentwicklung und Maklernachfolge.
Unabhängigkeit in Gefahr? MVP Ängste im Faktencheck
Verlieren wir also als Makler, die vollständig abhängig von einem technischen System sind, daher nicht zwangsläufig unsere Unabhängigkeit an ebenjenen IT-Systemanbieter? Für einen Berufsstand, der Unabhängigkeit als höchstes Gut sieht, stellt sich eine solche Frage mit einer gewissen Dringlichkeit.
Selten wird das Thema über einfache Stereotypen und Mutmaßungen hinaus analysiert. Im Folgenden diskutiere ich daher fünf konkrete Risiken für die Unabhängigkeit des Berufstands Versicherungsmakler, die sich aus der Nutzung von MVPs ergeben.
Steigende Preise dank MVP-Kartell
Weniger Anbieter, höhere Preise – das gehört zum Einmaleins der Volkswirte. Sinkt die Anbieterzahl eines Produkts, drohen stillschweigende Übereinkünfte oder gar Absprachen zwischen den verbleibenden Anbietern. In Folge dessen steigen die Preise. Diese Tendenz ist bereits heute auf dem MVP-Markt zu beobachten und wird in Zukunft noch deutlicher zutage treten. Während große Konzerne wie Acturis (AMS, VIAS) und Hypoport (IWM) stark wachsen, sinkt die Zahl kleinerer MVP-Anbieter stetig. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass am Ende dieser Entwicklung ein Oligopol weniger Großunternehmen entstehen wird.
Dieses Oligopol wird versuchen, uns Maklern durch Preiserhöhungen einen schönen Teil der Margen abzugreifen—und damit zumindest teilweise erfolgreich sein. Vor allem weniger rentable, kleinere Maklerunternehmen werden es angesichts immer höherer Kosten für die Technik noch schwerer haben zu überleben. Einer solchen Entwicklung sind jedoch auch Grenzen gesetzt. Übertreiben es die großen Anbieter mit ihren Preisen, eröffnen sich in einer Marktwirtschaft Chancen für kleinere und neue Anbieter.
Fazit: Rechnen Sie in Zukunft mit steigenden Preisen, aber nicht mit Wucher—egal bei welchem MVP-Anbieter Sie sind.
Wechseln ist für die meisten unmöglich
Man stelle sich folgendes Szenario vor: der eigene MVP-Anbieter erhöht die Preise und reduziert den Support. Währenddessen rüsten andere Anbieter auf und bieten für einen geringeren Preis ein besseres Produkt. Dann könnte man doch einfach das MVP wechseln, richtig? So einfach ist es nicht.
Als Bestandskäufer und MVP-Nutzer haben wir die Erfahrung gemacht, dass alle gängigen MVPs einen Datenexport anbieten—ansonsten wären sie übrigens auch nicht DSGVO-konform. Daten können also aus dem alten MVP exportiert werden und im Anschluss in ein neues MVP importiert werden. Man muss nur die Felder und Funktionen der MVPs „matchen“, also in Einklang bringen.
Das Problem ist, dass für all das IT-Know-how in einem Umfang nötig ist, den Makler ohne eigene IT-Abteilung nicht haben. Also mehr als 95% der Makler. Die MVP-Anbieter selbst helfen gerne bei der Datenmigration, lassen sich dies aber fürstlich vergüten. Rechnen Sie mindestens mit 10.000 – 15.000 EUR. Im Grunde haben die MVP-Anbieter kein Interesse daran, dass Sie als Makler Ihr MVPs so leicht wechseln können wie Ihre Zahnpasta-Marke.
Fazit: Schauen Sie genau hin, bevor Sie sich für ein MVP entscheiden. Wechseln wird schwierig und teuer.
MVPs verschwinden vom Markt
Durch die jüngste Konsolidierungswelle verschwinden einige MVPs kurz- und mittelfristig vom Markt. Der Käufer führt das zugekaufte MVP in der Regel noch eine Weile weiter, reduziert zunehmend den Entwicklungsaufwand und führt irgendwann eine Zwangsmigration auf das eigene Flaggschiff-MVP durch.
Infolgedessen drohen denen, die das alte System nutzen, Jahre des Stillstandes. Höhere Personalkosten sind nötig, um ein nicht mehr zeitgemäßes System am Leben zu halten. Und ob die Zwangsmigration am Ende reibungslos funktioniert, weiß keiner. Unserer Erfahrung nach ist es eine Mammutaufgabe, einen ganzen MVP-Bestand zu migrieren, insbesondere beim ersten Mal. Einen Ausgleich für die Umstände brauchen die Makler hingegen ebenso wenig zu erwarten wie eine Erstattung der Schulungskosten für das eigene Personal.
Wird Ihr MVP-Anbieter in nächster Zeit also von einem größeren „geschluckt“, machen Sie sich darauf gefasst, dass die Technik in den nächsten Jahren ein leidiges Thema sein wird: willkommen in der Technik-Hölle.
Fazit: Rechnen Sie mit dem Schlimmsten für die Zukunft Ihres MVPs, wenn Sie bei einem kleinen Anbieter sind. Gehen Sie zu einem der ganz großen, wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen.
MVPs machen Makler zu verkappten Agenten
Wer sich mit Leib und Seele seinem MVP verschreibt, schränkt möglicherweise die Produktauswahl für seine Kunden drastisch ein. Die durch das MVP bereitgestellten Tools und Funktionen (Vergleichsrechner, BiPRO-Schnittstellen, etc.) funktionieren für einige Versicherer und Produkte gut und für andere weniger—aber für welche liegt nicht mehr in Ihrer Hand.
Während viele MVPs derzeit durchaus eine breite Marktabdeckung ermöglichen, sollten Sie bei MVPs auf der Hut sein, die von Versicherern selbst entwickelt wurden oder Versicherer als Eigentümer haben. In der Regel sind diese MVPs gratis oder zum Spottpreis zu haben. Aber egal wie häufig die Anbieter das Gegenteil betonen: natürlich entwickeln Versicherer ein MVP nicht, um die unabhängige Vermittlung durch Makler zu fördern. Es geht darum, dass die Nutzer ihre Produkte verkaufen.
Fazit: Wählen Sie als unabhängiger Makler keine MVPs mit Versicherer-Eigentümer(n). Achten Sie auf die Marktabdeckung.
Game over: Alle Daten sind weg
Es dürfte der Albtraum eines jeden MVP-Nutzers sein: der Zusammenbruch des eigenen Systems. Plötzlich, scheinbar ohne Ankündigung verschwinden alle Kundendaten. Das kann das Ende eines Maklerbetriebs sein. Nun droht bei jeder IT-Lösung—egal ob von Microsoft, SAP oder Assfinet—eine Krise, wenn die Programme streiken. Im Fall der MVPs dürfte das größte Risiko allerdings weniger bei den Anbietern, als in der IT-Infrastruktur der Nutzer liegen. Die meisten Makler nutzen aktuell stationäre MVP-Lösungen. Anders als bei Cloud-Lösungen liegen die Daten auf den heimischen Systemen der Makler. Was aus Datenschutz-Sicht erstmal gut klingt, hat freilich den Haken, dass im Falle eines Crashs der MVP-Anbieter keine Kopie der Daten hat. Und das Risiko, dass eine selbstgestrickte Makler-IT-Infrastruktur versagt, ist bedeutend höher als das Risiko, dass ein professioneller IT-Dienstleister die Daten verbummelt (auch wenn letzteres natürlich auch passieren kann).
Fazit: Steigen Sie um auf Cloud-Lösungen, sobald es möglich ist. Wenn Sie ein stationäres MVP haben, machen Sie ein Back-up Ihrer Daten. Lassen Sie sich helfen, falls Sie nicht wissen wie das geht.
Fazit: MVPs sind gefährlich, aber alternativlos
So viel ist klar: mit einem nein zur Technik kommen Makler heute nicht weit. Es gibt in Zeiten der Digitalisierung keine Alternative zur strukturierten Datenerfassung via MVP. Die Entscheidung für ein MVP ist keine sekundäre Entscheidung, sondern eine von grundsätzlicher strategischer Relevanz für jedes Maklerunternehmen. Schauen Sie deshalb genau hin.
Es gilt jedoch auch: noch gefährlicher als die Nutzung eines MVPs ist es nur, keines zu nutzen. Statt der großen Freiheit wird der Makler in diesem Szenario erst recht zum „Datenknecht“—denn die Kunden erwarten, dass wir als Makler unsere Daten im Griff haben, egal wie. Wenn man es richtig macht, sind die MVPs ein sinnvolles Werkzeug für jeden Makler.
Dass insgesamt die Oligopolisierung des MVP-Marktes auch eine Oligopolisierung des Maklermarktes begünstigt, scheint mir allerdings ausgemacht. Aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.
Über den Autor: Philipp Kanschik ist Bereichsleiter für das digitale Maklergeschäft und Nachfolgelösungen bei Policen Direkt. Einerseits ist er promovierter Philosoph, Weltreisender und Gitarrist und andererseits Experte für technologiebasierte Online-Versicherungs-Plattformen sowie Maklerbestandsübernahmen. So wirft er einen ganz eigenen Blick auf die digitalen Herausforderungen der Versicherungsbranche.