Versicherungsbote: Sie kritisieren die Fallpauschalen. Halten Sie das Fallpauschalen-System für gescheitert?
Reimer Riessen: Das würde ich so nicht verallgemeinern. In Bereichen außerhalb der Notfallversorgung, etwa Spezialkliniken für geplante Hüftgelenksoperationen und mit Niedrig-Risiko-Patienten, wo Eingriffe geplant nach einem festem Termin vorgenommen werden können, da könnte man Fallpauschalen aufrechterhalten, da sind sie auch angemessen.
Schwierig sind Fallpauschalen aber, wie gesagt, bei Kliniken mit hohen Vorhaltekosten. Wir haben soeben ein Diskussionspapier für eine Reform der Krankenhausversorgung vorgelegt. Darin schlagen wir vor, dass die Krankenhäuser, die an der Notfall- und Intensivversorgung teilnehmen, ihre Vorhaltekosten über ein Budget finanziert bekommen, das Personal, Infrastruktur und Investitionen abdeckt. Die Fallpauschalen sollten dann nur die Sachkosten eines Falls abdecken und nicht die gesamte Infrastruktur.
Solche Akut- und Allgemeinkrankenhäuser behandeln mit ihren vielen Fachabteilungen jegliche Art von Notfällen wie Polytraumata, Reanimationen oder Multiorganversagen. Sie sind aber auch verantwortlich für die Versorgung von komplexen Patienten wie etwa Tumorpatienten, in die eine Reihe von unterschiedlichen Spezialisten eingebunden ist. Auch hier sind die Vorhaltekosten höher, weswegen die Finanzierung ein Stück weit von den Fallpauschalen entkoppelt werden sollte.
Die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf und hat ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung angestoßen, bei dem auch Vorschläge des DIVI eingeflossen sind. Der Entwurf sieht drei Maßnahmen vor: ein gemeinsames Notfallleitsystem (GNL), integrierte Notfallzentren (INZ) und die Etablierung des Rettungsdienstes als eigenständiger GKV-Leistungsbereich. Die integrierten Notfallzentren sollen vorab entscheiden, ob ein Patient ein Notfall ist und in eine Klinik muss. Für mich klingt das zunächst nach mehr Bürokratie und zusätzlichen Kosten.
Mit Blick auf die geplanten Notfallzentren gibt es sehr gute Ansätze, die sich international etabliert haben. Die Zentren sollen eine sogenannte Ersteinschätzung oder Triage vornehmen, bevor ein Patient direkt die Klinik ansteuert.
Idealerweise verläuft das so: Der Patient hat ein Problem und kann dann die Nummer 116117 anrufen und sich dort Rat holen. Dort erfolgt eine telefonische Ersteinschätzung. Dem Patienten wird eventuell geraten, das nächste integrierte Notfallzentrum aufzusuchen. So funktioniert das zum Beispiel in Dänemark. Dann erhält man eine Nummer, mit der man sich im Notfallzentrum vorstellen kann und wo man bereits erwartet wird. Vor Ort erfolgt eine zweite Ersteinschätzung, bei der zum Beispiel Blutdruck, Herzfrequenz und Fieber usw. gemessen werden. Dann wird der Patient entweder bei dringlichen Erkrankungen im Notaufnahmebereich des Krankenhauses weiterversorgt oder er wird bei einem weniger dringlichen Krankheitsbild im ambulanten Bereich der kassenärztlichen Vereinigung von einem Arzt gesehen.
Idealerweise ist solch ein INZ eine räumliche Einheit, in der man eng zusammenarbeitet, sich austauschen kann und auch im ambulanten Bereich die Ressourcen des Krankenhauses genutzt werden können, wenn es sinnvoll ist - zum Beispiel Labor, EKG, Röntgen oder Sonographie.
Insgesamt sollte man in einem INZ auf möglichst wissenschaftlich fundierte Art rasch eine korrekte Diagnose stellen, das Risiko des Patienten einschätzen und auf dieser Basis eine angemessene ambulante oder stationäre Versorgung einleiten.
Prallen hier verschiedene Interessen aufeinander? Zunächst geht es ja darum, Kosten einzusparen.
Aus Sicht der Krankenhäuser ist das vorrangige Ziel zunächst einmal, die Patienten zu identifizieren, die vital bedroht sind oder ernsthaft krank und deshalb schnell versorgt werden müssen, um einen möglichst guten Behandlungserfolg zu erzielen. Aus Sicht der kassenärztlichen Vereinigung ist das Ziel eher, zu verhindern, dass zu viele Patienten in den aufwändigeren Versorgungsweg eingeschleust werden und dass man Patienten mit banalen Erkrankungen ambulant versorgt. Die Herausforderung wird darin bestehen, beide Ziele in Einklang zu bringen. Da wünschen wir uns, dass wir konstruktiv mit der kassenärztlichen Vereinigung zusammenarbeiten. Das sollte aber auch, denke ich, bei gegenseitigem guten Willen möglich sein.