Die Generationenberatung geht über die „reine“ Beratung zu Versicherungen und Finanzen hinaus: Sie nimmt auch rechtliche und medizinische Ereignisse in den Blick. Warum ein ganzheitlicher Ansatz zu empfehlen ist, erklärt Steffen Moser – Generationenberater, Speaker sowie Coach und Inhaber von Professionelle Generationenberatung – in seinem Gastkommentar.
Gerade durch die Corona-Pandemie hat sich bei vielen Menschen der Fokus verändert. In den letzten Monaten gab es eine Reihe Umfragen in der Bevölkerung, die alle auf einen zentralen Gegenstand verweisen: Auf die Bedeutung der Frage: „Bin ich richtig abgesichert?“ Die eigene Gesundheit und die der Familie sind die Hauptsorgen dieser Zeit, gleich gefolgt von der Frage nach der finanziellen Absicherung. Genau aus diesem Grund ist es für eine langfristig erfolgreiche Kundenbeziehung wichtig, wirklich ganzheitlich zu beraten. Denn dadurch wird das Vertrauen der Menschen in unsere Arbeit als Finanzdienstleister und Generationenberater auch gerechtfertigt. Die Menschen sind allerdings nicht nur durch die aktuelle Corona-Situation sensibler geworden. Bereits schon davor hat sich das Kundenverhalten und haben sich die Anforderungen an einen Berater und Vermittler gewandelt.
Die Kunden fragen sich immer mehr: „Was habe ich davon, Dir zuzuhören?“, „Warum Du?“, „Was tut Dein Angebot für mich und meine Familie?“ und da kann der pure Produktverkauf den Erwartungen unserer Kunden nicht mehr genügen. Wichtig für die Beratung der Zukunft ist es, die Kunden als Mensch wahrzunehmen. Egal, ob jemand als Verkäuferin bei Aldi, Lehrer am Elite-Gymnasium, Vorstand eines DAX-Konzerns, Kfz-Mechaniker oder Krankenschwester tätig ist. Sie sind alle Menschen, die gewisse Wünsche an ihre Zukunft haben. Familie spielt in den meisten Fällen eine zentrale Rolle. Natürlich kommen in bestimmten Berufsgruppen zusätzliche Kriterien hinzu, die ein Berater berücksichtigen muss. Aber in erster Linie versuche ich in der Zielgruppenanalyse, im Marketing und in der Beratung den Menschen zu sehen. Setzen wir uns nun einmal die Brille der Kunden auf und versetzen uns in deren Perspektive. Fragen wir uns also: „Was wollen unsere Kunden wirklich?“
Die Kunden wollen:
- gesund bleiben.
- Zeit mit der Familie und Freunden verbringen ohne Sorgen über die Zukunft.
- eine gute Mutter, ein guter Vater sein.
- Wenn mal was passiert, wollen die Kunden, dass schnell alles wieder in Ordnung kommt und dass das Leben so weitergehen kann wie vorher. Und wenn es ganz schlimm kommt, wollen die Kunden die Sicherheit, alles geregelt zu haben. Sie wollen einen klaren Plan, um die richtigen Dinge zur richtigen Zeit zu tun. Kurz: Die Kunden wollen die Gewissheit, dass die Familie nicht „ins Rutschen kommt“.
Was hat nun Generationenberatung und – genauer – die rechtliche Vorsorge durch Vorsorgevollmachten mit Finanzdienstleistung und ganzheitlicher Beratung zu tun? Das will ich anhand mehrerer Teilaspekte erläutern.
Fallstudie 1 - Biometrie
Angenommen, ein Kunde hat einen schweren Unfall oder eine Krankheit. Er oder sie liegt im Koma oder ist nicht in der Lage, sich um den Alltag zu kümmern. Dies hat zur Folge: Er oder sie ist geschäftsunfähig, wenn auch nur für eine gewisse Zeit. Genau für diese und weitere biometrischen Risiken hat der Kunde eine oder mehrere Versicherungen (BU, DU, EU, GF, DD, KV, MultiRisk, UV usw.) abgeschlossen. Die Erwartung aus Sicht der Kunden ist jetzt: Die Versicherung zahlt das Geld aus (laufende Rentenzahlung oder Einmalzahlung) und die Familie kann das Geld so einsetzen, wie es für die Situation am sinnvollsten ist – kann entstehende Kosten decken, laufende Ausgaben bestreiten, notwendige Umbauten durchführen und den Alltag meistern.
Um Gelder aus den Versicherungen zu erhalten, muss ein Leistungsantrag, eine Schadensanzeige oder ähnliches gestellt werden. Unabhängig von Art und Versicherer muss auf entsprechenden Vordrucken oder bei Onlinemeldung im Laufe der Leistungsprüfung immer die versicherte/ verletzte Person unterschreiben. Was aber, wenn – wie oben beschrieben – dies nicht möglich ist? Dann muss dies der gesetzliche Vertreter tun.
Wer ist das? Als Betreuer kommt laut Paragraf 1896 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine vom Betreuungsgericht eingesetzte Person oder eine durch Vorsorgevollmacht dazu benannte Person in Frage. Wenn das Betreuungsgericht einen Betreuer einsetzt, gleich ob Angehöriger oder Berufsbetreuer, unterliegt der Betreuer dem Betreuungsrecht laut BGB.
Aus der Praxis
Familie Müller soll als Beispiel dienen: Er ist angestellt, sie ist selbstständig, sie sind verheiratet, haben zwei Kinder und wohnen in einem kleinen Haus am Stadtrand. Zur Gründung ihres Unternehmens hat sie einen Kredit aufgenommen. Durch einen Arbeitsunfall wird er geschäftsunfähig. Die Berufsgenossenschaft, die BU- und die Unfallversicherung zahlen die jeweils vereinbarten Leistungen. Frau Müller wird als Betreuerin eingesetzt und muss über die Vermögensverhältnisse und Verwendung der Versicherungsleistungen Rechenschaft ablegen laut den Paragrafen 1840 ff. BGB. Dies bedeutet, sie muss eine geordnete Aufstellung aller Einnahmen und Ausgaben und sämtlicher Belege führen. Das Gericht prüft dann die Verwendung der Gelder. Da zwei Kinder vorhanden sind, muss sie den Alltag komplett neu organisieren. Was passiert? Frau Müller kann nicht mehr voll arbeiten, Einnahmen sinken. Wenn sie jetzt ihren Firmenkredit zurückzahlen könnte, um mit geringeren Kosten alles „unter einen Hut“ zu bekommen, würde es leichter gehen.
ACHTUNG: Aber nicht mit dem Geld aus seinen Versicherungen! Sie darf die Versicherungsleistungen nur für ihn verwenden, jedoch nicht für ihre Verbindlichkeiten oder die Hobbys der Kinder. Gegebenenfalls droht die Insolvenz, obwohl eigentlich Geld da ist.
Ist es das, was die Kunden erwarten? Nein! Mit einer Vorsorgevollmacht kann dies verhindert werden, weil dadurch die Ehefrau in unserem Beispiel nicht dem Betreuungsrecht unterliegt und sie die Gelder so verwenden kann, wie es für die Familie und die Situation am sinnvollsten wäre.
Fallstudie 2 – Sparanlagen und Vermögen
Unsere Familie hat Sparverträge in Fonds, fondsgebundenen Rentenversicherungen, Beteiligungen oder ähnliche Geldanlagen. Im selben Fall ist ein Betreuer laut den Paragrafen 1806 ff. BGB verpflichtet, die Gelder „mündelsicher“ anzulegen. Dies wird im Rahmen der Rechenschaftspflicht laut Paragraf 1840 BGB geprüft. In dieser Prüfung durch das Gericht ist ein Betreuer (auch Angehöriger) aufgefordert, die bestehenden Anlagen entsprechend umzuschichten. Damit gehen aufgrund fehlender Renditen und Vermögenswerte in der Zukunft die eigentlichen Sparziele verloren.
Ist es das, was unsere Kunden erwarten? Nein! Mit einer Vorsorgevollmacht kann dies verhindert werden, weil dann keine Verpflichtung besteht, Gelder mündelsicher anzulegen. Und damit können bestehende Sparverträge grundsätzlich fortgeführt werden und so eingesetzt werden, wie es in der Situation sinnvoll ist oder wofür diese mal angedacht waren.
Fallstudie 3 – Immobilien
Viele Kunden haben eine eigene Immobilie. Diese ist oftmals kreditfinanziert. Nehmen wir an, beide Partner sind Darlehensnehmer, dies ist häufig der Fall. Oftmals wird ein Darlehensvertrag über zehn, 15 oder 20 Jahre abgeschlossen und nach Ablauf der Zeit ist noch ein Restdarlehen übrig, welches mit einer Anschlussfinanzierung weiterlaufen sollte. Die Bank erstellt ein Prolongationsangebot, welches die Kunden einfach nur noch unterschreiben müssen.
ACHTUNG: Aber bitte beide Kunden! Ist dies nicht möglich, läuft es wieder über das Betreuungsgericht und dieses prüft den Sachverhalt. Oftmals werden noch mehrere Darlehensangebote angefordert.
Ist es das, was unsere Kunden erwarten? Nein! Mit einer Vorsorgevollmacht kann dies verhindert werden, weil keine Rechenschaftspflicht über die Vermögensverhältnisse besteht. Hierbei ist zu beachten, dass Immobiliengeschäfte und Verbraucherkredite nur mit einer Vorsorgevollmacht geregelt werden können, wenn diese auch Befugnisse dazu enthält und außerdem öffentlich beglaubigt wurde. Die Beglaubigung ist über einen Notar oder die zuständige Betreuungsbehörde möglich.
Diese und weitere derartige Situationen haben oftmals auch Auswirkungen auf Eltern, Großeltern und Kinder. Vieles muss im Alltag umorganisiert werden, wenn eine Betreuungssituation eintritt. Der Ansatz der Generationenberatung liegt nun darin, rechtliche, organisatorische und finanzielle Vorsorge miteinander zu verbinden.
Wir können keine Krankheiten, Pflegefälle oder Todesfälle verhindern. Aber wir können die finanzielle Absicherung durch rechtliche und organisatorische Vorsorge so ergänzen, dass unsere Kunden füreinander da sein dürfen. Kunden sollen in der Lage sein, Gelder aus Versicherungen und Sparverträgen so einzusetzen, wie es die Situation erfordert. Der Traum vom selbstbestimmten Leben (vielleicht sogar im eigenen Heim) soll nicht platzen und ganze Existenzen dürfen nicht „den Bach runtergehen“. Wenn wir dies leisten können, geben wir eine wirkliche Antwort auf die Frage: „Was habe ich davon, dass Du mein Berater bist“.
Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin