Die SPD steht unter Druck: Sinkende Umfragewerte und Kritik an der bisherigen Regierungsarbeit belasten die Partei. Mit ambitionierten Plänen in der Steuer-, Renten- und Sozialpolitik will sie bis zu den vorgezogenen Bundestagswahlen die Trendwende schaffen. Versicherungsbote wirft einen Blick ins Wahlprogramm – und thematisiert offene Fragen.
Die SPD steht unter Druck. Sinkende Umfragewerte und wachsende Kritik an der bisherigen Regierungsarbeit prägen die politische Ausgangslage für die Bundestagswahl 2025. Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, enttäuschte Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen. Mit ihrem Wahlprogramm setzt die SPD auf tiefgreifende Reformen in der Steuer-, Renten- und Sozialpolitik – doch diese Pläne werfen nicht nur politische Fragen auf, sondern könnten auch grundlegende Veränderungen in zentralen Bereichen wie der privaten Altersvorsorge und der Krankenversicherung nach sich ziehen. Versicherungsbote hat die Vorschläge genauer unter die Lupe genommen.
Rentenpolitik: Stabilität und breitere Absicherung als Ziel
Die SPD möchte die gesetzliche Rentenversicherung stärken und das Rentenniveau stabil halten, ohne die Beitragslast für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu erhöhen. Gleichzeitig soll die Absicherung breiter aufgestellt werden, insbesondere durch die Einbeziehung weiterer Gruppen wie Selbstständiger. Doch wie realistisch sind diese Pläne?
Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent – Finanzierung offen
Die SPD garantiert, dass das Rentenniveau dauerhaft bei mindestens 48 Prozent bleiben soll. Dabei lehnt sie ausdrücklich eine Anhebung des Renteneintrittsalters ab und möchte stattdessen zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt einsetzen, um die Stabilität der Rentenkasse zu gewährleisten.
Dies wirft jedoch erhebliche Fragen auf: Die Finanzierung dieses Versprechens ist vor dem Hintergrund der alternden Bevölkerung eine immense Herausforderung. Zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt müssen aufgebracht werden – entweder durch Steuererhöhungen, Einsparungen in anderen Bereichen oder neue Einnahmen, wie die geplante Vermögensteuer. Doch im Programm bleibt offen, wie diese zusätzlichen Mittel konkret aufgebracht werden sollen.
Breitere Absicherung für Selbstständige
Die Vorsorgepflicht für Selbstständige ist ein seit Jahren diskutiertes und wiederholt verschobenes Reformvorhaben – sowohl unter den Merkel-Regierungen als auch unter der Ampel-Koalition. Obwohl der letzte Koalitionsvertrag ambitionierte Maßnahmen vorsah, bleibt das SPD-Wahlprogramm in diesem Punkt auffallend unkonkret. Zwar nennt die Partei als Ziel, mehr Erwerbstätige „in die Solidarität der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen“ zu sehen, um Altersarmut vorzubeugen und die Beitragsbasis zu verbreitern. Doch wie verbindlich diese Einbindung ausgestaltet werden soll, bleibt offen.
Insbesondere Solo-Selbstständige stehen im Fokus dieser Reform, da sie oft über geringe oder schwankende Einkommen verfügen und daher besonders von Altersarmut bedroht sind. Das Programm betont, dass Selbstständige zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und alternativen Vorsorgeoptionen wählen können sollen. Doch welche Modelle konkret anerkannt werden und ob eine echte Pflicht zur Altersvorsorge entsteht, bleibt unklar. Ohne klare Vorgaben und Standards besteht die Gefahr, dass sich unzureichende oder qualitativ minderwertige Vorsorgemodelle durchsetzen.
Die zentrale Frage der Verbindlichkeit wird nicht beantwortet: Wird es eine gesetzliche Pflicht geben, Vorsorge zu betreiben, oder bleibt es den Selbstständigen überlassen, ob und wie sie vorsorgen? Diese Unklarheit birgt das Risiko, dass genau die Zielgruppe, die die Reform schützen soll, weiterhin unzureichend abgesichert bleibt. Vor allem Solo-Selbstständige mit niedrigen Einkommen könnten trotz der Reform keine ausreichende Vorsorge treffen. Hinzu kommt, dass das Programm keine konkreten Maßnahmen nennt, wie diese Gruppe bei finanziellen Engpässen entlastet oder unterstützt werden könnte, um Beitragszahlungen sicherzustellen.
Förderung der betrieblichen Altersversorgung: Mehr Flexibilität, aber Zielkonflikte
Die SPD möchte die betriebliche Altersversorgung (bAV) insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stärken. Bürokratieabbau und flexiblere Kapitalanlageregeln sollen Anreize schaffen, damit mehr Unternehmen ihren Beschäftigten eine bAV anbieten. Ziel ist es, die Verbreitung der Betriebsrente zu erhöhen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser für das Alter abzusichern. Gleichzeitig sollen Pensionskassen und -fonds die Möglichkeit erhalten, in renditestärkere Anlageformen zu investieren, um langfristig höhere Erträge zu erzielen.
Doch auch hier bleiben Fragen zur Umsetzung offen. Besonders problematisch erscheint der Zielkonflikt zwischen Renditesteigerung und Beitragsgarantie. Einerseits sollen die Anlageoptionen flexibler werden, um höhere Renditen zu ermöglichen. Andererseits wird betont, dass die Beitragsgarantie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten bleibt. Doch höhere Renditen gehen in der Regel mit höheren Risiken einher – ein Widerspruch, der im Programm nicht aufgelöst wird.
Auch die Frage nach der Kontrolle der flexibleren Kapitalanlageregeln bleibt unbeantwortet. Während höhere Renditechancen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiv erscheinen mögen, birgt ein höheres Risiko die Gefahr, dass Versorgungszusagen gefährdet werden könnten. Es bleibt letztlich offen, wie der Staat sicherstellen will, dass Risiken ausreichend überwacht und die Interessen der Beschäftigten geschützt werden.
Reform der privaten Altersvorsorge: Transparenz und Kosten im Fokus
Die SPD plant, die private Altersvorsorge grundlegend zu reformieren, um sie attraktiver und effizienter zu gestalten. Künftig sollen nur noch Produkte gefördert werden, „deren Kosten transparent und gedeckelt sind“. Ziel ist es, Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Klarheit und Sicherheit zu bieten und insbesondere mittlere und niedrige Einkommensgruppen besser zu erreichen. Wie bei der betrieblichen Altersversorgung stellt sich aber auch hier die Frage, wie ein Zielkonflikt zwischen niedrigen Kosten und attraktiven Renditen gelöst werden soll. Produkte mit niedrigen Verwaltungskosten sind oft auf risikoarme Anlagen ausgerichtet, die in der Regel geringere Ertragschancen bieten. Dagegen gehen renditestarke Anlagen häufig mit höheren Risiken und entsprechend höheren Verwaltungskosten einher.
Pläne zur "solidarischen Bürgerversicherung" werfen Fragen auf
Die SPD strebt ein Gesundheitssystem an, das allen Menschen den gleichen Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung bietet – unabhängig vom Versicherungsstatus oder der finanziellen Lage. Aus diesem Grund sollen bestehenden Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten – etwa bei Wartezeiten und Behandlungsmöglichkeiten – beseitigt werden. Ziel ist ein System, das niemanden finanziell überfordert und jedem eine schnelle, verlässliche Behandlung ermöglicht. Allerdings setzen die Pläne einen weitreichenden Umbau des Systems der Krankenversicherung voraus – und werden in der Branche auf wenig Gegenliebe stoßen.
Einführung einer "solidarischen Bürgerversicherung": Was bedeuten die Pläne der SPD?
Die SPD nennt im Wahlprogramm das Ziel, „ein solidarisches Finanzierungssystem zu schaffen“, das sowohl den „gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen“ als auch „gleiche Qualität“ für alle Menschen ermöglicht. Ein Kernpunkt ist die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger in eine Bürgerversicherung. Die Beiträge sollen „noch stärker als jetzt an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert“ werden. Auch sollen private Versicherungen in den Risikostrukturausgleich (RSA) der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eingebunden werden. Dies soll zur Angleichung der Leistungen zwischen gesetzlich und privat Versicherten beitragen und die finanziellen Ungleichheiten zwischen den Systemen verringern. Die SPD bleibt jedoch vage, wie bestehende private Krankenversicherungsverträge in das neue System integriert werden sollen. Es ist unklar, ob diese Verträge aufgelöst oder parallel zur Bürgerversicherung weitergeführt werden könnten.
Ungeklärtes Verhältnis der Systeme: Umlagefinanzierung versus Kapitaldeckung
Die Einführung einer Bürgerversicherung würde das bisherige duale System aus GKV und PKV grundlegend infrage stellen. Besonders herausfordernd ist der Umgang mit den unterschiedlichen Finanzierungsmodellen:
- Die GKV basiert auf einem Umlagesystem, bei dem laufende Beiträge die aktuellen Gesundheitskosten decken.
- Die PKV arbeitet hingegen nach dem Prinzip der Kapitaldeckung. Individuell angesparte Alterungsrückstellungen – 2023 über 327 Milliarden Euro – dienen der langfristigen Finanzierung der Gesundheitskosten im Alter.
Diese Rückstellungen sind rechtlich geschützt und individuell den Versicherten zugeordnet. Eine Überführung in ein solidarisches Umlagesystem wäre daher rechtlich kaum durchsetzbar. Im Wahlprogramm der SPD wird nicht darauf eingegangen, wie diese Herausforderung gelöst werden könnte. Wahrscheinlich blieben bestehende PKV-Verträge unangetastet, während die Bürgerversicherung schrittweise für neue Versicherte eingeführt würde. Allerdings könnte die PKV ohne den Zustrom junger, gesunder Versicherter langfristig zu einem „geschlossenen System“ werden, dessen finanzielle Basis erodiert. Ein wesentlicher Grund dafür ist der fehlende kostenmildernde Ausgleich zwischen den Tarifwerken, der bisher durch das Tarifkalkulationsprinzip ermöglicht wird. Dieses erlaubt es den Versicherern, Kostenrisiken durch Quersubventionierungen zwischen Tarifen oder Risikogruppen abzufedern. In einem geschlossenen System ohne Neuzugänge wäre diese Möglichkeit jedoch stark eingeschränkt.
Die Pläne zur Angleichung der Leistungen zwischen gesetzlich und privat Versicherten stellen zudem die Existenzgrundlage der PKV infrage. Wenn die Leistungsinhalte beider Systeme identisch werden, verliert die PKV ihren Wettbewerbsvorteil. Für Makler und Versicherer bedeutet dies, dass der zentrale Geschäftszweig der Vollversicherung drastisch eingeschränkt wird. Die Rolle der PKV könnte sich auf Zusatzversicherungen beschränken, etwa für Komfortleistungen, die über die Bürgerversicherung hinausgehen. Doch ob dieser Markt groß genug ist, um die PKV langfristig wirtschaftlich zu tragen, bleibt fraglich.
Offene Fragen zur Finanzierung der Bürgerversicherung
Die SPD plant, die Beitragsbasis der Bürgerversicherung zu verbreitern, indem sie alle Einkommensarten – einschließlich Kapitaleinkünfte – in die Berechnung einbezieht. Ziel ist es, die Finanzierung gerechter zu gestalten und die Lasten stärker an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten auszurichten.
Unklar bleibt jedoch, wie die Bürgerversicherung angesichts der strukturellen Herausforderungen des Umlagesystems langfristig stabilisiert werden soll. Die GKV stößt bereits heute an ihre Grenzen, da weniger Beitragszahler eine wachsende Zahl älterer Versicherter mit überproportional hohen Gesundheitsausgaben finanzieren müssen. Ohne kapitalgedeckte Elemente, wie sie in der PKV durch Alterungsrückstellungen gewährleistet sind, könnte die Bürgerversicherung denselben Belastungen ausgesetzt sein. Dies gilt insbesondere im Kontext steigender Gesundheitskosten durch den medizinischen Fortschritt und den demografischen Wandel. Im Wahlprogramm bleibt offen, ob und wie die SPD diese langfristigen Risiken adressieren will, um die finanzielle Tragfähigkeit der Bürgerversicherung sicherzustellen.
Die Steuerpläne der SPD
Die Steuerpolitik der SPD zielt auf eine gerechtere Verteilung der Lasten ab. Kernpunkt ist die Entlastung der breiten Mehrheit bei gleichzeitiger höherer Besteuerung von Kapital und Vermögen. Auch sollen durch neue Steuern neue Einnahmequellen erschlossen werden. Folgendes ist im Detail geplant:
- Abschaffung der Abgeltungsteuer: Die Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkommen wird abgeschafft. Stattdessen sollen Kapitaleinkünfte künftig wie Arbeitseinkommen progressiv besteuert werden. Die SPD will damit die Steuerlast von Arbeitnehmern relativ senken und hohe Kapitaleinkommen stärker belasten.
- Wiedereinführung der Vermögensteuer: Die SPD plant die Wiedereinführung einer Vermögensteuer für sehr hohe Vermögen. Damit sollen zusätzliche Mittel generiert werden, um öffentliche Aufgaben zu finanzieren und die Steuerlast gerechter zu verteilen.
- Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer: Auch die Erbschafts- und Schenkungssteuer soll reformiert werden. Ziel ist es, die steuerliche Privilegierung großer Betriebsvermögen und von Vermögensübertragungen durch Familienstiftungen abzubauen. Die SPD will sicherstellen, dass Familienstiftungen nicht länger genutzt werden können, um Steuern auf große Erbschaften zu umgehen. Persönliche Freibeträge sollen jedoch erhöht werden, um kleine Vermögen und Nachlässe besser zu schützen.
- Besteuerung von Spekulationsgewinnen bei Immobilien: Gewinne aus Immobilienverkäufen, die nicht für den Eigenbedarf genutzt werden, sollen auch nach Ablauf der bisherigen Spekulationsfrist von zehn Jahren steuerpflichtig werden. Damit will die SPD spekulative Käufe eindämmen und langfristige Investitionen in den Immobilienmarkt fördern.
- Einführung einer Finanztransaktionssteuer: Mit einer Finanztransaktionssteuer sollen Einnahmen aus spekulativen Finanzgeschäften generiert werden. Diese Maßnahme soll allerdings in enger Abstimmung mit den europäischen Partnern umgesetzt werden. Unklar bleibt, wie die SPD vorgehen will, falls es EU-weit keine Einigung gibt – ein mögliches Hindernis für die Umsetzung.