Die SPD strebt ein Gesundheitssystem an, das allen Menschen den gleichen Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung bietet – unabhängig vom Versicherungsstatus oder der finanziellen Lage. Aus diesem Grund sollen bestehenden Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten – etwa bei Wartezeiten und Behandlungsmöglichkeiten – beseitigt werden. Ziel ist ein System, das niemanden finanziell überfordert und jedem eine schnelle, verlässliche Behandlung ermöglicht. Allerdings setzen die Pläne einen weitreichenden Umbau des Systems der Krankenversicherung voraus – und werden in der Branche auf wenig Gegenliebe stoßen.
Einführung einer "solidarischen Bürgerversicherung": Was bedeuten die Pläne der SPD?
Die SPD nennt im Wahlprogramm das Ziel, „ein solidarisches Finanzierungssystem zu schaffen“, das sowohl den „gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen“ als auch „gleiche Qualität“ für alle Menschen ermöglicht. Ein Kernpunkt ist die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger in eine Bürgerversicherung. Die Beiträge sollen „noch stärker als jetzt an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert“ werden. Auch sollen private Versicherungen in den Risikostrukturausgleich (RSA) der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eingebunden werden. Dies soll zur Angleichung der Leistungen zwischen gesetzlich und privat Versicherten beitragen und die finanziellen Ungleichheiten zwischen den Systemen verringern. Die SPD bleibt jedoch vage, wie bestehende private Krankenversicherungsverträge in das neue System integriert werden sollen. Es ist unklar, ob diese Verträge aufgelöst oder parallel zur Bürgerversicherung weitergeführt werden könnten.
Ungeklärtes Verhältnis der Systeme: Umlagefinanzierung versus Kapitaldeckung
Die Einführung einer Bürgerversicherung würde das bisherige duale System aus GKV und PKV grundlegend infrage stellen. Besonders herausfordernd ist der Umgang mit den unterschiedlichen Finanzierungsmodellen:
- Die GKV basiert auf einem Umlagesystem, bei dem laufende Beiträge die aktuellen Gesundheitskosten decken.
- Die PKV arbeitet hingegen nach dem Prinzip der Kapitaldeckung. Individuell angesparte Alterungsrückstellungen – 2023 über 327 Milliarden Euro – dienen der langfristigen Finanzierung der Gesundheitskosten im Alter.
Diese Rückstellungen sind rechtlich geschützt und individuell den Versicherten zugeordnet. Eine Überführung in ein solidarisches Umlagesystem wäre daher rechtlich kaum durchsetzbar. Im Wahlprogramm der SPD wird nicht darauf eingegangen, wie diese Herausforderung gelöst werden könnte. Wahrscheinlich blieben bestehende PKV-Verträge unangetastet, während die Bürgerversicherung schrittweise für neue Versicherte eingeführt würde. Allerdings könnte die PKV ohne den Zustrom junger, gesunder Versicherter langfristig zu einem „geschlossenen System“ werden, dessen finanzielle Basis erodiert. Ein wesentlicher Grund dafür ist der fehlende kostenmildernde Ausgleich zwischen den Tarifwerken, der bisher durch das Tarifkalkulationsprinzip ermöglicht wird. Dieses erlaubt es den Versicherern, Kostenrisiken durch Quersubventionierungen zwischen Tarifen oder Risikogruppen abzufedern. In einem geschlossenen System ohne Neuzugänge wäre diese Möglichkeit jedoch stark eingeschränkt.
Die Pläne zur Angleichung der Leistungen zwischen gesetzlich und privat Versicherten stellen zudem die Existenzgrundlage der PKV infrage. Wenn die Leistungsinhalte beider Systeme identisch werden, verliert die PKV ihren Wettbewerbsvorteil. Für Makler und Versicherer bedeutet dies, dass der zentrale Geschäftszweig der Vollversicherung drastisch eingeschränkt wird. Die Rolle der PKV könnte sich auf Zusatzversicherungen beschränken, etwa für Komfortleistungen, die über die Bürgerversicherung hinausgehen. Doch ob dieser Markt groß genug ist, um die PKV langfristig wirtschaftlich zu tragen, bleibt fraglich.
Offene Fragen zur Finanzierung der Bürgerversicherung
Die SPD plant, die Beitragsbasis der Bürgerversicherung zu verbreitern, indem sie alle Einkommensarten – einschließlich Kapitaleinkünfte – in die Berechnung einbezieht. Ziel ist es, die Finanzierung gerechter zu gestalten und die Lasten stärker an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten auszurichten.
Unklar bleibt jedoch, wie die Bürgerversicherung angesichts der strukturellen Herausforderungen des Umlagesystems langfristig stabilisiert werden soll. Die GKV stößt bereits heute an ihre Grenzen, da weniger Beitragszahler eine wachsende Zahl älterer Versicherter mit überproportional hohen Gesundheitsausgaben finanzieren müssen. Ohne kapitalgedeckte Elemente, wie sie in der PKV durch Alterungsrückstellungen gewährleistet sind, könnte die Bürgerversicherung denselben Belastungen ausgesetzt sein. Dies gilt insbesondere im Kontext steigender Gesundheitskosten durch den medizinischen Fortschritt und den demografischen Wandel. Im Wahlprogramm bleibt offen, ob und wie die SPD diese langfristigen Risiken adressieren will, um die finanzielle Tragfähigkeit der Bürgerversicherung sicherzustellen.