Eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze birgt Risiken!
Welche Auswirkungen hätte eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte, so dass gesetzlich Versicherte schneller in die PKV wechseln können? Das Neugeschäft der privaten Versicherungsanbieter würde wohl davon profitieren. Aber es gibt auch Risiken - sowohl für die gesetzlichen als auch privaten Krankenversicherungen. Ein Kommentar.
- Eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze birgt Risiken!
- Birgt eine niedrigere Pflichtgrenze auch für die PKV Gefahren?
Seit dem 01. Juli ist Uwe Laue Chef des PKV-Verbandes – und schon macht er von sich Reden. Die Versicherungspflichtgrenze müsse gesenkt werden, appelliert der Debeka-Vorstand an die Politik, damit die Beschäftigten schneller von der GKV zu einer privaten Krankenversicherung wechseln können. Ein Jahreseinkommen von 40.000 Euro soll zukünftig schon ausreichen, damit sich ein Angestellter privat versichern kann – bisher sind 52.200 Euro notwendig.
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Laues Vorschläge klingen zunächst vernünftig: Sie bedeuten auf den ersten Blick mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem und mehr Wahlfreiheit für die Patienten. Aber schon ein zweiter Blick offenbart die Gefahren einer Absenkung der Versicherungspflichtgrenze. Wenn es dumm läuft, sind alle die Verlierer – sowohl die privaten als auch die gesetzlichen Versicherungen. Und damit auch die Patienten.
Rosinenpickerei um die besten Patienten?
Dass Uwe Laues Vorstoß dem Patientenwohl dienen soll, daran wurden schnell Zweifel laut. Zu offensichtlich scheint das Ziel, junge und gesunde Gutverdiener von der gesetzlichen Krankenversicherung abzuwerben. Eine Senkung der Versicherungspflichtgrenze sei „keine realistische Option“, sagte etwa der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn. „Jeder zusätzliche Wechsel in die private Versicherung führt zu Beitragsausfällen in der gesetzlichen Krankenversicherung". Spahn sprach sich stattdessen dafür aus, den Verbraucherschutz für Privatversicherte zu verbessern und für sie einen Mindestversicherungsumfang vorzuschreiben.
Auch nach Ansicht von SPD-Fraktionsvize Elke Ferner geht es der PKV nur darum, leichter junge Kunden zu gewinnen, nachdem selbst das Einstiegsgehalt von Akademikern oft unter der Versicherungspflichtgrenze liege und sie daher nicht zu einer privaten Krankenversicherung wechseln können. "Die Älteren und Kranken würde die PKV dann in gewohnter Manier durch Risikozuschläge zwingen, in der GKV zu bleiben", sagte Ferner dem Handelsblatt. Eine Neuauflage der Rosinenpickerei zu Lasten der Krankenkassen werde die SPD aber nicht dulden.
Die Reaktionen der Kritiker sind eindeutig: Fraktionsübergreifend werden die Forderungen Laues als Angriff auf die Solidargemeinschaft der GKV gewertet. Denn die Privatversicherer dürfen sich per Gesundheitsfragen die jungen und gesunden Patienten aussuchen – die Krankenkassen müssen hingegen jeden Bürger versichern. Die Angst sitzt tief, dass die Krankenkassen zum Sammelbecken für alte, kranke und sozial schwache Menschen werden, während sich parallel dazu immer mehr Gutverdiener aus dem Solidarsystem verabschieden. Weil damit auch die Gesundheitskosten in der GKV steigen würden, müssten die Sozialversicherungsbeiträge angehoben werden.
Die Privatanbieter wissen um die Vorwürfe, kranke Menschen kategorisch abzulehnen oder nur teuer zu versichern - und versuchen ihnen entgegenzutreten. Ausgerechnet Uwe Laues Gesellschaft Debeka nimmt wechselwillige Angestellte seit Kurzem auch dann auf, wenn sie Vorerkrankungen haben. Der Risikoaufschlag darf hierfür nicht mehr als 30 Prozent betragen. Aber dieses Angebot ist eingeschränkt. Es gilt nur dann, wenn der Wechsel von der GKV zur PKV innerhalb von sechs Monaten erfolgt, nachdem der Angestellte die Versicherungspflichtgrenze überschritten hat. Andere Versicherer wie die Signal Iduna haben bereits angekündigt, dem Beispiel des Marktführers zu folgen.
Krankenkassen sind gegenüber der PKV konkurrenzfähig
Aber wie realistisch ist das Horrorszenario einer kranken und greisen GKV, sollte die Pflichtgrenze tatsächlich gesenkt werden? Die Krankenkassen haben bewiesen, dass sie gegenüber den Privatanbietern konkurrenzfähig sind. Denn es ist kein Geheimnis, dass auch die privaten Versicherungsunternehmen sparen müssen und immer mehr Leistungen aus ihren Tarifen streichen. Nicht wenige Versicherte ziehen es deshalb vor, bei einem gesetzlichen Anbieter zu bleiben - selbst, wenn sie wechseln könnten.
"Mehr als 80 Prozent der Tarifsysteme der PKV leisten weniger als die gesetzliche Krankenversicherung", hatte vor einem Jahr eine Studie der Frankfurter Beratungsfirma Premiumcircle ergeben. Oftmals seien Privatversicherte sogar „mit existenziellen Leistungsausschlüssen im Krankheitsfall“ konfrontiert, warnten die Forscher. Leistungen, die in der GKV selbstverständlich seien, würden in vielen Privattarifen fehlen – etwa ein Grundschutz für psychische Erkrankungen und häusliche Pflegeleistungen.
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Der PKV-Verband hat die Studie damals heftig kritisiert und witterte sogar eine Medienkampagne. Aber mit jedem Leistungsausschluss wackelt das wichtigste Argument der Privatversicherer: dass man einen besseren Krankenschutz gewährleistet als die GKV. Zwar haben viele Anbieter im Zuge der Unisex-Umstellung ihren Leistungskatalog aufgestockt. Aber für die Versicherungsnehmer scheint die PKV an Attraktivität zu verlieren – nicht zuletzt, weil die gesetzlich Versicherten durch Zusatzversicherungen ihren Schutz aufpäppeln können. Seit Monaten schwächelt das Neugeschäft. Kann Uwe Laues Vorstoß gar als heimlicher Hilferuf gewertet werden? Die PKV braucht dringend neue Kunden und hat in den Krankenkassen eine zunehmend stärkere Konkurrenz.
Birgt eine niedrigere Pflichtgrenze auch für die PKV Gefahren?
Doch auch für die PKV könnte sich ein Absenken der Versicherungspflichtgrenze als Bumerang entpuppen. Es droht die Gefahr, dass Patienten in die Tarife gelockt werden, die sich den privaten Schutz langfristig nicht leisten können.
Gescheitert ist bereits der Versuch, mit Billigtarifen mehr Selbstständige mit kleinem Geldbeutel anzulocken. Zwar boomte tatsächlich das Neugeschäft, als die Billigangebote seit den Nullerjahren vermehrt in den Katalogen der Anbieter auftauchten. Aber in diesen Tarifen tummelten sich überproportional viele Nichtzahler. Von Beginn an waren die Lock- und Dumpingangebote zu knapp kalkuliert, Beitragssteigerungen bis zu 40 Prozent die Folge. Viele Versicherte konnten die Beitragssteigerungen nicht mehr zahlen und verschuldeten sich. Es verwundert kaum, dass Anbieter wie die Central oder DKV ihre Dumpingangebote schnell wieder vom Markt genommen haben.
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Hat die Branche aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Es drohen ähnliche Fehlentwicklungen auch beim Geschäft mit den Angestellten. Seit Jahren boomt in Deutschland die atypische Beschäftigung, also Teilzeitarbeit, Leiharbeit und andere prekäre Beschäftigungsformen. Im Jahr 2011 arbeiteten laut Statistischem Bundesamt bereits 7,92 Millionen Menschen in einem solchen Job, langfristig könnte der Trend anhalten. Die Konsequenz: Wer heute ein sicheres Einkommen hat, kann nicht davon ausgehen, dass dies auch in zehn Jahren noch der Fall sein wird - Brüche in der Erwerbsbiographie sind eher die Regel als die Ausnahme. Schon bald könnten viele Patienten mit den Beitragszahlungen überfordert sein, die jetzt noch genügend Geld haben.
Der Wechsel zurück in die GKV ist aber nur in Ausnahmefällen möglich. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt belasten über 144.000 Menschen die Privatkassen, welche seit drei Monaten oder länger keinen Beitrag gezahlt haben. Die Ausstände beziffern sich auf eine halbe Milliarde Euro. In der GKV können die Kosten für Nichtzahler mit Steuergeldern aufgefangen werden, aber in der PKV belasten die Mehrkosten überproportional das Versicherungskollektiv und den unternehmerischen Erfolg. Die Bundesregierung reagierte auf diese Entwicklung mit der Einführung eines Nichtzahler-Tarifes (der Versicherungsbote berichtete). Aber es bleibt dabei: Wer langfristig kein sicheres Einkommen hat, für den bedeutet ein Wechsel in die PKV ein Armutsrisiko.
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- Birgt eine niedrigere Pflichtgrenze auch für die PKV Gefahren?