Große Koalition will Krankenversicherte - entlasten oder belasten?
Die schwarz-rote Koalition will die Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung abschaffen, in den Medien wird dies als „Entlastung“ der Patienten und als Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit beklatscht. Wenn es aber dumm läuft, könnten die Kassenpatienten bald deutlich mehr zahlen müssen – ein Kommentar.
Wie sehr der Koalitionssprech mittlerweile ungeprüft von Journalisten übernommen wird, mit dem CDU, CSU und SPD für ihre eigene Politik werben, zeigte sich heute wieder in etlichen Tageszeitungen. „Koalition will Krankenversicherte entlasten“, titeln viele Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung auf Seite 1. Der Grund für die wohlwollende Formulierung ist, dass die schwarz-rote Koalition den umstrittenen Zusatzbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung abschaffen will. Aber bedeutet dies wirklich eine Entlastung für die Kassenpatienten?
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Wer langfristig denkt, könnte zu einem anderen Ergebnis kommen. Zwar wird die Abschaffung des Zusatzbeitrages wohl tatsächlich zunächst eine Entlastung bewirken, da die Krankenkassen derzeit auf Milliardenüberschüssen sitzen. Das Vorhaben werde „für viele Beitragszahler im Jahr 2015 zu Entlastungen führen“, heißt es folglich in einem Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums. Zugleich aber will die Bundesregierung den Kassen ihre Beitragshoheit zurückgeben. Fehlt einer Krankenkasse zukünftig Geld, darf sie die Beiträge ihrer Mitglieder entsprechend erhöhen: weit über den jetzigen Zusatzbeitrag hinaus.
Milliardenloch bei Krankenkassen erwartet
Das kann für die Versicherten richtig teuer werden, sollten erst einmal die angesparten Überschüsse in der GKV aufgebraucht sein. Derzeit profitieren die Krankenkassen noch von der stabilen Lage am Arbeitsmarkt. Doch ein Rückgang der Beschäftigtenzahlen könnte schon bald wieder ein Milliardenloch ins Budget der Kassen reißen. CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn erwartet für das Jahr 2017 bereits ein Defizit von zehn Milliarden Euro im Gesundheitssystem. Ein Defizit, für das dann wohl vor allem die gesetzlich Versicherten zahlen müssen.
Ja, dies ist ein pessimistisches Szenario. Aktuell empfiehlt das Gesundheitsministerium von Herrmann Gröhe (CDU), dass der Beitragssatz der Krankenkassen mindestens 14,6 Prozent des Bruttolohns betragen soll, zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt. Aber wie lange wird das realistisch sein? Kostensteigerungen im Gesundheitssystem sollen zukünftig einseitig von den Arbeitnehmern getragen werden, die Beiträge der Arbeitgeber hingegen bleiben gedeckelt. Auch das empfinden Kritiker als sozial unausgewogen. Bei der Aushandlung des Koalitionsvertrages hatte es deshalb Verstimmungen zwischen den Verhandlungsführern Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) gegeben. Lauterbach forderte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten sich wieder zu gleichen Teilen an den Kassenbeiträgen beteiligen, konnte sich aber nicht durchsetzen.
Verschärfter Wettbewerb dank Gesundheitsfonds und Beitragsautonomie?
Zugleich muss die Frage erlaubt sein, ob die Rückkehr zur Beitragshoheit zu einem noch verbitterteren Wettbewerb zwischen den Krankenkassen führen könnte. Denn die Koalitionäre wollen den Gesundheitsfonds nicht abschaffen und damit auch den Sparzwang bei den Kassenanbietern hoch halten. Für Empörung sorgte vor wenigen Monaten eine Meldung der Nachrichtenagentur dpa, wonach die Krankenkassen in 2012 ihren Patienten hunderttausendfach Leistungen verweigert haben: darunter so wichtige Angebote wie Mutter-Kind-Kuren oder psychotherapeutische Maßnahmen. Manche Anbieter wie die KKH Allianz versuchten sogar, mit Telefonterror alte und kranke Menschen hinauszumobben. Hier geht der Wettbewerb eindeutig zu Lasten der Patienten: ein Wettbewerb freilich, der zwecks Eindämmung der Gesundheitsausgaben politisch gewollt ist.
Verlierer der Beitragsautonomie könnten jene Krankenkassen sein, die besonders viele alte und kranke Menschen versichert haben. Diese werden am schnellsten ihre Beiträge anheben müssen, um die Kosten zu decken. Und während die Anbieter einen milliardenschweren Verwaltungsapparat aufgebaut haben, wurde in den letzten Jahren vor allem bei der Prävention gespart. Allein zwischen 2008 und 2012 sanken die Ausgaben für Maßnahmen wie Wirbelsäulengymnastik, Burn-Out-Prävention oder Krebsvorsorge um 30 Prozent, wie SpiegelOnline mit Berufung auf Zahlen des GKV-Verbandes berichtet. Aktuell machen die Ausgaben für die Gesundheitsfürsorge weniger als ein Prozent aller Gesamtausgaben aus. Zwar will die Große Koalition auch hier gegensteuern: an irgendeiner Stelle wird aber gespart werden müssen.
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Welche Auswirkungen die Reformen der großen Koalition auf lange Sicht haben, ist also aktuell nicht abzusehen: abhängig von der Arbeitsmarkt-Entwicklung können sie Ersparnisse oder Mehrkosten für die Versicherten bringen. Sollten die Kassenpatienten schon in wenigen Jahren höhere Kassenbeiträge zahlen müssen, werden sich manche an die euphorischen Schlagzeilen erinnern: "Große Koalition entlastet Kassenpatienten". Und sich fragen, was genau da eigentlich schief gelaufen ist.