EU-Parlament beschließt eCall-Pflicht ab 2015
Durchbruch für eCall: Ab Oktober 2015 sollen alle neuen Automodelle mit dem automatischen Notrufsystem eCall ausgestattet werden, tausende Menschenleben lassen sich dadurch pro Jahr angeblich retten. Doch Datenschützer und Versicherungswirtschaft melden Bedenken an: Nicht nur droht ein Ausspionieren des Fahrverhaltens, sondern auch eine Monopolbildung in der Unfallbranche.
Eigentlich ist es eine gute Sache: Verunglückt ein Autofahrer, soll zukünftig über das sogenannte eCall-System automatisch ein Notruf abgesondert werden, der Rettungskräfte an den Ort des Unglücks leitet. Damit wird auch Hilfe herbeigerufen, wenn das Unfallopfer in dem verunglückten Wagen eingeklemmt ist oder bereits das Bewusstsein verloren hat. Am Mittwoch vergangener Woche hat das EU-Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf angenommen, wonach derartige Notrufgeräte ab 2015 in allen Neuwagen verbindlich sind. Ziel ist es, die Zahl der Todesopfer zu verringern und Rettungsmaßnahmen zeitiger als bisher einzuleiten.
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Bis der Gesetzentwurf tatsächlich zu einer europaweiten eCall-Pflicht führt, muss noch mit den Regierungen der EU-Länder darüber verhandelt werden. "Wir hoffen, dass der Rat sich noch kurzfristig zu Verhandlungen mit dem Parlament bewegen lässt", sagten die CDU-Europaabgeordneten Andreas Schwab und Dieter-Lebrecht Koch der Nachrichtenagentur dpa. Dann könne die neue EU-Verordnung noch vor der Europawahl im kommenden Mai in Kraft treten.
Datenschutzrechtliche Bedenken gegen Überwachungssoftware
Bei all den Hoffnungen, die mit eCall verbunden sind, gibt es auch mahnende Stimmen. Vor allem der mangelnde Datenschutz entpuppt sich als kritisch. Die eCall-Technik kann den Standpunkt des verunglückten Autos genau an die Notrufzentralen übermitteln. Heißt das im Umkehrschluss, dass das Fahrverhalten des Autofahrers rund um die Uhr überwacht und aufgezeichnet wird? Handelt es sich eher um einen „Spion“ im Auto statt um einen Lebensretter, wie der Tagesspiegel fragt?
Technisch wäre eine Aufzeichnung des Fahrverhaltens zumindest möglich, in einem durchaus bedenklichen Ausmaß. Ob Bewegungsprofile, wann sich der Autofahrer wo aufhielt, ob Informationen zu Tages- und Nachtfahrten, ob Fahrstil oder Wartungshäufigkeit des Gefährts – derartige Informationen ließen sich mit Telematik sammeln. Und es gibt viele Unternehmen, die ein Interesse an den Daten haben: seien es Versicherungen, Vertragswerkstätten, Autohersteller oder Hersteller von Ersatzteilen.
"Man sollte sich nichts vormachen: Bei solchen Systemen geht es nicht nur um Sicherheit", sagt Thilo Weichert, der Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, im Gespräch mit Spiegel Online. "Es geht auch darum, Informationstechnik ins Auto zu packen, die für andere Dienste genutzt werden kann." Kritiker fürchten unter anderem, dass Autofahrer zukünftig deutliche Prämienaufschläge zahlen müssen, wenn sie einer dauerhaften Überwachung des Fahrverhaltens durch den Kfz-Versicherer nicht zustimmen.
Aber selbst Thilo Weichert warnt vor einer Panikmache. Er fordert, dass Autofahrer die Überwachungssoftware auf Wunsch ausschalten können - „im Sinne der Transparenz und der Selbstbestimmung". Diese Forderung entpuppt sich ein Stück weit als naiv. Wird nicht zukünftig bereits das Ausschalten der Technik von Versicherungen als Obliegenheitsverletzung gewertet werden können, wenn die Verträge entsprechend angepasst werden? Etwa, wenn nach einem Unfall der Krankenwagen später eintrifft und deshalb schwerere Folgeschäden auftreten?
Die EU-Abgeordneten haben auf die Bedenken mit einer verschärften Datenschutzklausel reagiert. Laut dem aktuellen Gesetzentwurf soll gewährleistet sein, dass die Fahrzeuge nicht ständig aufgrund der eCall-Technologie verfolgbar sind. Auch sollen die abgesonderten Notrufe nur bestimmte Informationen wie etwa Fahrzeugtyp, Fahrzeugposition und Fahrtrichtung beinhalten.
Wettbewerbsverzerrung befürchtet
Für Konfliktstoff sorgt auch der Umstand, dass die Fahrzeughersteller die Überwachungssoftware nutzen könnten, um ihre eigenen Vertragswerkstätten gegenüber anderen Anbietern zu bevorteilen. Das zeigt sich bereits bei dem rund einen Prozent an Fahrzeugen, die schon jetzt die Technik installiert haben. Wird bei einem Telematik-Modell des Stuttgarter Autoherstellers Mercedes ein Notruf abgesetzt, wird nicht nur der Rettungsdienst herbeigerufen, sondern auch der hauseigene Mercedes-Servicedienst. Der schleppt dann das beschädigte Fahrzeug in eine Mercedes-Vertragswerkstatt.
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HUK Coburg-Vorstand Klaus-Jürgen Heitmann fordert deshalb laut Huffington Post, einen solchen Informationsvorsprung der Autohersteller unbedingt zu verhindern. Er befürchtet, dass durch die Datenhoheit ein Monopol bei der Pannenhilfe und bei Werkstattdienstleistungen entstehen könnte. Im Zweifel werden die Dienstleistungen dann für alle teurer, wenn kein wirklicher Wettbewerb mehr zwischen gebundenen und unabhängigen Werkstätten stattfindet. Auch der Dachverband der Versicherungen GDV rechnet mit Prämienanstiegen in der Kfz-Sparte, sollte sich ein Monopol durchsetzen: Um bis zu 3 % könnten die Kosten für Fahrzeugreparaturen ansteigen.