Nach dem Ende der Financial Times Deutschland ist das Handelsblatt die einzig verbliebene Tageszeitung, die sich schwerpunktmäßig Wirtschaftsthemen widmet. Das Magazin genießt einen guten Ruf bei Lesern und in der Medienbranche, da es mit aufwendig recherchierten Artikeln und Wirtschaftskompetenz aufwarten kann. Aufgedeckt hat das Handelsblatt zuletzt unter anderem den Adresshandel bei der Debeka und die Untätigkeit der BaFin bei den jüngsten Anlegerskandalen.

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Doch aktuell bringt sich die Zeitung mit fragwürdigen Geschäftspraktiken selbst ins Zwielicht. Wie das Onlineportal Werben und Verkaufen (W&V) berichtet hat ein Anzeigenvertreter versucht, im Auftrag des Handelsblattes ein Leserporträt für 5.000 Euro zu verkaufen. Auf Seite 3 der Wirtschaftszeitung erhalten zumeist Selbstständige die Möglichkeit, sich und ihre Firma vorzustellen. Wenn dafür Geld verlangt wird, muss der Beitrag aber gemäß Presserecht als „Anzeige“ gekennzeichnet sein.

“Sie können gar nicht anders!“

Stein des Anstoßes ist ein Angebot der Verlagsgruppe Handelsblatt an den LEAD-digital-Blogger Christian Faltin. Dieser erhielt eine Mail, ob er sich im Format „Handelsblatt-Leser stellen sich vor“ porträtieren lassen wolle. Dass damit eine nicht unbeträchtliche Werbewirkung für den Käufer verbunden ist, daraus macht der Absender keinen Hehl. „Preis: 5.000 Euro“ heißt es in dem Schreiben, und: „Zum Vergleich: Eine Anzeigenseite im Handelsblatt kostet derzeit über 50.000 Euro.“

Was nun folgt ist eine Anpreisung der Platzierung in höchsten Tönen. „Sie schlagen die Zeitung auf und können gar nicht anders als direkt rechts oben das Foto anzuschauen“, heißt es in der Mail, aus der W&V ausführlich zitiert. Das Format funktioniere „hervorragend, da es sich redaktionell absolut harmonisch in das Handelsblatt integriert und somit als Beitrag der Redaktion wahrgenommen wird“. Zudem bestehe die Möglichkeit, für den Preis von 10.900 Euro zusätzlich nach sechs Monaten ein Unternehmerporträt in der „Wirtschaftswoche“ zu platzieren.

Dumm nur, dass Christian Faltin das unmoralische Angebot nicht angenommen hat, sondern öffentlich machte. Und so gerät das Handelsblatt unter Rechtfertigungszwang. Die euphorischen Formulierungen in der Mail verstärken den Verdacht, dass die Rubrik „Handelsblatt-Leser stellen sich vor“ offensiv als Schleichwerbung beworben wird. Warum sollte der Verfasser sonst extra betonen müssen, dass der Artikel „als Beitrag der Redaktion wahrgenommen wird“?

“Fehler eines Außendienstmitarbeiters“

Das Handelsblatt freilich will die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen und dementierte umgehend. Gegenüber W&V sprach die Verlagsgruppe vom „Fehler eines Außendienstmitarbeiters“, der erst seit Anfang des Jahres im Verlag sei und etwas durcheinandergebracht habe.

Auch für die geforderten 5.000 Euro hatte das Handelsblatt eine Erklärung. Das Geld nehme die VHB nur, wenn ein porträtierter Leser die Nutzungsrechte am Artikel für drei Jahre erwerbe: ein solcher Rechteverkauf sei in Verlagen etabliert. Damit schütze man „das geistige Eigentum der Journalisten“. Wer im Leserporträt erscheine, sei hingegen eine "rein redaktionelle Entscheidung".

Angebotspraxis seit März unterbunden

Trotz dieser Stellungnahme bleibt ein fader Beigeschmack. Zum einen, weil der geforderte Preis recht hoch erscheint, um tatsächlich "nur" Nutzungsgebühr zu sein. Wie Blogger Christian Faltin auf der Unternehmensseite recherchiert hat, verlangt die Verlagsgruppe für eine dreijährige Gebühr maximal 3.995 Euro. Zum anderen hat die Verlagsgruppe wohl selbst erkannt, dass sie sich auf gefährlichem Terrain bewegt, und die Angebotspraxis seit Anfang März verboten. Die Einräumung der Nutzungsrechte erlaubt es unter anderem den Unternehmern, auf der eigenen Firmenseite mit dem Handelsblatt-Artikel zu werben.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Handelsblatt in jüngster Zeit mit allzu großer Nähe zu seinen Anzeigekunden auffiel. Laut einem Bericht des Branchenmagazins „Wirtschaftsjournalist“ konnten die Medienmacher vor wenigen Monaten einen exklusiven „Ehrengast“ bei ihrem Galadinner begrüßen: Jeffrey Immelt, Chef des amerikanischen Weltkonzerns General Electric (GE).

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Ungewöhnlich war allerdings, dass Ehrengast Immelt einen saftigen Geldbetrag für seine Einladung zum Dinner zahlen musste und der Konzern zeitgleich ein fettes Werbepaket bei der Verlagsgruppe einkaufte. Wenig später hatte Immelt Gelegenheit, seine Sicht der Dinge umfangreich im Handelsblatt darzulegen: just in dem Moment, als sich General Electric stärker auf dem deutschen Markt etablieren wollte. Mit solchen Kungeleien verspielt Deutschlands einzig verbliebene Wirtschaftszeitung sein Renommee.

W&V