Woran erkennt man ein gutes Pflegeheim?
Pflegeeinrichtungen und Altenheime haben mit einem schlechten Image zu kämpfen. Nicht zuletzt dank Team Wallraff erhält man den Eindruck, im Altenheim zähle vor allem die Devise „satt, sauber, mit Medikamenten ruhig gestellt“. Bewohner von Pflegeheimen werden abgefertigt oder gar vernachlässigt, weil dem überforderten Pflegepersonal Zeit oder Kompetenz fehlen. Doch gibt es funktionierende Pflegeeinrichtungen, in denen die Bedürfnisse der Bewohner den höchsten Stellenwert einnehmen. Eine davon ist das „Haus Luise“ in Halle.
„Im Vordergrund stehen unsere Bewohner, die in heimischer Atmosphäre betreut und beschäftigt werden. Die professionelle und individuelle Pflege erfolgt diskret im Hintergrund.“ Diese Sätze liest man in der Philosophie, die im „Haus Luise“ in Halle/Saale aushängt. Das Pflegeheim gibt es seit 2011, getragen wird es von der Volkssolidarität der Stadt.
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Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) gab der Einrichtung 2013 und 2014 ein sehr gutes Urteil (1,1). Wie zuletzt von dem Journalisten-Team um Günter Wallraff auf dem Fernsehender RTL publiziert, ist eine solche Bewertung nicht immer ausschlaggebend für die Lebensqualität, die Bewohner der Alten- und Pflegeheime in Deutschland tatsächlich erfahren. Die Reportage zeigt unhygenische Räumlichkeiten, Schimmel, Krankenhausatmophäre, überlastetes Personal, das sich selbst über Untersützung von ungelernten Helfern freut. Diese Enthüllungen zeigen reale Missstände - und erzeugen Angst:
Wer sie sieht, hofft, niemals in ein Pflegeheim zu müssen. Die Konsequenz ist eine generelle Verdrängung des Themas - und vermutlich der völlig falsche Weg, um der Pflege von alten Menschen die gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu geben, die sie braucht.
Philosophie und Praxis im „Haus Luise“
Umso heilsamer für das negative Image der Pflege ist ein Besuch im „Haus Luise“. Das Haus wird als vollstationäre Pflegeeinrichtung betrieben. Es bietet 60 Pflegeplätze auf vier Ebenen mit je 20 Doppel- und Einzelzimmern. Eine professionelle und individuelle Pflege bedeutet für die Mitarbeiter nicht nur, neueste pflegewissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen, sondern ebenso eine genaue Krankenbeobachtung, lückenlose Dokumentation, das Eingehen auf persönliche Befindlichkeiten. Wünsche der Bewohner werden respektiert und nach Möglichkeit erfüllt.
Die hauseigene Philosophie existiert nicht nur auf dem Papier. Heimleiterin Martina Gaertner kennt alle ihre Bewohner mit Namen und duzt sie freundschaftlich. Hin und wieder schnappt sie sich den Kleinanzeigenteil der Zeitung und tratscht mit den Bewohnern über die „Mann sucht Frau“-Inserate. „Vielleicht ist ja mal jemand für einen dabei“, scherzt sie.
Solch zeitintensive und persönliche Interaktion mit den Betreuten scheint für die Einrichtung bezeichnend. Einmal im Monat trifft sich Frau Gaertner mit dem Bewohnerbeirat und bespricht Verbesserungsvorschläge mit den Pflegebedürftigen. So ermöglichte sie auf deren Wunsch zum Beispiel gemütliche Sitzecken in den Fluren. Zur Zeit hofft der Beirat, dass beim Umbau des gegenüberliegenden Universitätsgeländes auch ein paar kostenlose Parkplätze für die Pfleger und Pflegerinnen abfallen, die derzeit täglich einen Parkschein lösen müssen.
Die Betreuer bringen viel Abwechslung in den Alltag und sorgen für ein aktives Miteinander. Kreative Veranstaltungen, kosmetische Beratungen, gemeinsame Unternehmungen mit den Kindern aus dem benachbarten Kindergarten gehören zum Programm. Die Bewohner nehmen zudem regelmäßig an Gedächtnistrainings teil. Auch ein Aromabad wird manchmal arrangiert. Einige der Pflegebedürftigen unterstützen sogar das Personal und freuen sich, wenn sie sich beim Falten der Wäsche - auch der anderen Bewohner - nützlich machen dürfen.
Pflege muss bezahlbar sein
Die vollstationäre Betreuung kostet im Pflegeheim in Pflegestufe I aktuell 1.988,60 Euro. Die Pflegekasse übernimmt davon 1.023,00 Euro, die Bewohner müssen die 965,60 Euro an Differenz zahlen. In Pflegestufe III liegt der Satz bei 2.727,52 Euro. Martina Gaertner findet die Sätze gut verhandelt, sie seien großzügig. Mit den Hilfs- und Heilmitteln der Kassen kommen sie gut zurecht. Ein Bewohner ist privat versichert und erhält dabei keine zusätzlichen Versorgungen. Probleme bei der Kostenübernahme durch Kassen oder Versicherung kennt sie bisher keine. Die Finanzierung wird im Vorfeld geklärt.
Zusätzlich wurde auch mit der Sozialagentur verhandelt. Kann jemand nicht zahlen, hat er die Möglichkeit einen Sozialhilfeantrag zu stellen, dann bezuschusst die Stadt den Pflegeplatz. Die Heimleiterin kennt kaum Fälle, in denen Angehörige zahlen müssen, wenn doch, zahlen sie anteilig. Innerhalb von 2 Jahren ändert sich die Belegung der Heime zumeist. Die Verweildauer im Heim - unabhängig von der Pflegestufe - kann durchaus individuell unterschiedlich sein, berichtet Martina Gaertner.
Um eine gute Pflege zu gewährleisten, ist auch geschultes Personal notwendig. „Wir erhoffen uns von der Politik mehr Anerkennung für unsere Arbeit - nicht nur mental, sondern dass man auch sagt ,Ja, Pflege muss auch bezahlt werden!‘ Pflege ist ein harter Job - und das muss die Politik in den Vordergrund rücken. Es ist jetzt schon sehr, sehr schwer, mit dem Personal nachzukommen und alle Auflagen zu erfüllen. Wenn sich da nichts ändert, wird es richtig kritisch“, meint Gaertner. Sollte etwa ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde eingeführt werden, könnten sich noch weniger junge Menschen für eine Ausbildung im Pflegeberuf entscheiden. Diese lohnt sich dann finanziell kaum. „Einige angehende Altenpfleger könnten dann ihre schulische Ausbildung abbrechen, da examinierte Altenpfleger kaum mehr verdienen als ungelernte Kräfte“, warnt sie. Bisher müssen Auszubildende außerdem die Kosten für die Ausbildung selbst tragen.
Pflegebedürftigkeitsbegriff überdenken
Im Pflegeheim „Haus Luise“ leben auch Bewohner mit Demenzerkrankung. „Sie sind körperlich noch völlig mobil und könnten sich zum Beispiel selbst waschen - sie wissen es aber nicht“, erklärt Gaertner. Aus diesem Grund wünscht sie sich, dass die Gesetzgeber bei der Definition eines neuen Pflegedürftigkeitsbegriffes Demenzkranke differenzierter berücksichtigt. Es sollten weiterhin neue Wohnformen für Demente geschaffen werden, die bezahlbar sind. „Im Moment kenne ich nichts, von dem ich denke ,das is‘ es!‘, sagt Gaertner. Im Haus Luise gibt es liebevolle Details, die es dementen Bewohnern erleichtern, sich zurecht zu finden. Die Flure der Etagen sind zum Beispiel nach berühmten Hallenser Orten benannt und bebildert wie dem Markt, dem Eselsbrunnen oder Burg Giebigstein.
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Aktuell trägt sich die Einrichtung gut. Eine Pflegereform könnte gerade solche Modelle wie im Haus Luise stärker fördern. Dadurch könnte man künftig dem negativen Image von Pflegeheimen und damit der Angst der Bevölkerung entgegenwirken. Vor allem aber hilft es den alten Menschen selbst, nicht einsam oder verarmt, sondern in Würde und Gemeinschaft zu altern und jenen, die sich täglich dafür einsetzen.