In ernster Gefahr sieht Werner Görg, Chef des Versicherungskonzern Gothaer, die umlagefinanzierte Sozialversicherung. Um die Sozialkassen zahlungsfähig zu halten, seien auch ungewöhnliche Denkanstöße sinnvoll.

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Erben nachträglich für die Krankheitskosten von Verstorbenen heranzuziehen, sei seiner Meinung nach „eine Überlegung wert“. Kranken- und Pflegekosten des letzten Lebensjahres könnten vom Erbe abgezogen und in die Sozialversicherung einbezahlt werden. Doch bei diesen Leistungen handelt es sich um bereits zugesagte Leistungen der Sozialversicherung, die sie aber aus eigener Kraft nicht mehr wird finanzieren können. Den Erben gegenüber könnte man in diesem Fall von einer Teilenteignung sprechen.

Gothaer-Chef: „Der Generationenvertrag funktioniert nicht mehr.“

Der Sozialversicherung entstehen immer höhere Kosten. Dies ist eine Folge der steigenden Lebenserwartung und des medizinischen Fortschritts. Gerade im letzten Lebensjahr eines Menschen sind die Kosten für Krankheiten und Pflege sehr hoch.

Als wesentliche Voraussetzung für den sogenannten „Generationenvertrag“ und damit die Finanzierung der Sozialversicherung ist eine ausreichende Zahl an Kindern. Da es diese nicht gibt, müssten die Beiträge zur Sozialversicherung laut Görg bis zum Jahr 2050 doppelt so hoch sein als heute, sofern die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen unverändert bleiben.

Demografische Entwicklung für die Sozialversicherung schwierig

Der Anteil der über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird Prognosen zufolge bis 2050 von 5 auf 14 Prozent steigen. Die höhere Lebenserwartung sorgt bei der Rentenversicherung für einen linearen Anstieg der Kosten, bei den Kosten für Krankheiten und Pflege allerdings seien diese exponentiell steigend, so Görg.

Lasse man die Kosten des letzten Lebensjahres unberücksichtigt, so könnten rein rechnerisch die Krankenversicherungsbeiträge möglicherweise um mehr als ein Drittel sinken. Görg bringt daher im Interesse der aktiven Beitragszahler die Übertragung der Kosten für das letzte Lebensjahr auf die Erben ins Gespräch.

Einwanderung für Deutschland wichtig

Bereits seit 1880 sei laut Görg in Deutschland keine zur Bevölkerungsreproduktion ausreichende Geburtenrate mehr erreicht worden. Die demografische Entwicklung geht also schon sehr lange in diese Richtung. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Bevölkerung im Alter zwischen 20 und 64 Jahren von 61 auf 53 Prozent zurückgehen. Diese Altersschicht kommt vorwiegend für die Beiträge auf.

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Für die Stabilisierung der Bevölkerungszahl bedarf es im Schnitt 2,1 Kinder je Paar. Erreicht werden aber im Schnitt nur 1,25 Kinder. In Deutschland spielt nicht zuletzt aus diesem Grund die Zuwanderung schon lange eine wichtige Rolle. Doch die Länder, aus denen die Menschen zuwandern, werden sich ändern, da viele andere europäische und asiatische Staaten eine ähnlich ungünstige Demografie-Entwicklung aufweisen. Wollen wir langfristig auf die Zuwanderung setzen, so müsse diese laut Görg künftig aus Afrika kommen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung