BGH - Radfahrer ohne Fahrradhelm tragen keine Teilschuld
BGH-Urteil - Radfahrer tragen keine Teilschuld bei unverschuldeten Unfällen und haben dementsprechend auch dann vollen Anspruch auf Schadensersatz, wenn sie zum Unfallzeitpunkt keinen Fahrradhelm getragen haben. Das hat der Bundesgerichtshof Karlsruhe am Dienstag entschieden. Die Richter hoben damit ein früheres Urteil des Oberlandesgerichtes Schleswig (OLG) auf, das noch auf eine zwanzigprozentige Teilschuld der geschädigten Radlerin bestanden hatte (Az. VI ZR 281/13).
Im konkreten Rechtsstreit war eine Radfahrerin auf dem Arbeitsweg an einem parkenden Auto vorbei gefahren, als die Pkw-Führerin unerwartet die Autotür öffnete, ohne in den Rückspiegel zu schauen. Da die Radfahrerin nicht mehr ausweichen konnte, kam es zum Sturz. Dabei zog sich die Physiotherapeutin schwere Kopfverletzungen zu und lag anschließend zwei Monate im Krankenhaus. Die Frau klagte daraufhin auf Schmerzensgeld und auf Zahlung aller aus dem Unfall entstandenen Schäden. Einen Helm trug die Frau zum Unfallzeitpunkt nicht.
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Keine Teilschuld – Urteil der Vorinstanz aufgehoben
In der Vorinstanz hatte der 7. Zivilsenat des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) zunächst auf eine zwanzigprozentige Teilschuld der Geschädigten bestanden und dieses Urteil mit dem hohen Verletzungsrisiko für Radler im Straßenverkehr begründet. Zwar gebe es keine Helmpflicht, jedoch könne davon ausgegangen werden, „dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird.“
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil nun in höchster Instanz zugunsten der Radfahrerin auf. Das Gericht betonte ebenfalls die fehlende Helmpflicht für Radfahrer in Deutschland. Im Gegensatz zur Vorinstanz argumentierten die Karlsruher Richter hingegen, im Unfalljahr 2011 habe "kein allgemeines Verkehrsbewusstsein" geherrscht, dass beim Radfahren das Tragen von Schutzhelmen zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar sei.
Dieses fehlende Bewusstsein unterfütterten die Richter mit statistischen Zahlen. "So trugen nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm", erläuterte der 6. Zivilsenat des BGH.
Hundertprozentiger Anspruch auf Schadensersatz
Die Autofahrerin und ihre Kfz-Haftpflicht (Bayrische Beamtenversicherung) müssen der verunglückten Radfahrerin nun alle aus dem Unfall entstandenen und künftig entstehenden Kosten ersetzen sowie ein Schmerzensgeld zahlen. Die klagende Physiotherapeutin ist unter anderem körperlich beeinträchtigt und kann ihre Arbeit nur noch eingeschränkt ausführen. Das Urteil ist rechtskräftig (Az. VI ZR 281/13).
Der Richterspruch dürfte den Streit über eine allgemeine Helmpflicht für Radfahrer in Deutschland neu entfachen. Versicherungen werben schon lange für den Zwang zum Kopfschutz – ursprünglich wollte die Bayrische Beamtenversicherung der Verunglückten sogar eine fünfzigprozentige Mitschuld anrechnen, weil sie keinen Helm trug.
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Argument der Versicherer ist, dass ein Fahrradhelm zumindest bei leichten Stürzen Gesundheitsschäden mildern kann. Der Radfahrerverein ADFC argumentiert hingegen, ein Zwang zum Helm würde die Sicherheit der Radfahrer kaum erhöhen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatten sich bereits 2013 gegen die Helmpflicht ausgesprochen.