Italien und Frankreich drängen auf Lockerung des Stabilitätspaktes
EU-Politik: Italien und Frankreich stellen den europäischen Stabilitätspakt in Frage. Beide Länder wollen erreichen, dass kreditfinanzierte staatliche Investitionen in Wachstum und Beschäftigung nicht mehr auf das Budgetdefizit angerechnet werden. Das würde die Abkehr von einer Haushaltspolitik bedeuten, die derzeit vor allem auf Sparen und Schuldenreduzierung ausgerichtet ist.
Sollte der Staat in Krisenzeiten sein Geld zusammenhalten – oder mit Investitionen die Wirtschaft ankurbeln, zur Not auch auf Pump? Diese Frage, auf die es wohl keine eindeutige Antwort gibt, dürfte in Brüssel demnächst für Kontroversen sorgen. Wie die Süddeutsche Zeitung (Dienstag) berichtet, will eine Staatengruppe unter der Führung von Italien und Frankreich eine Abkehr von der derzeitigen Konsolidierungspolitik in Europa erreichen – auch der europäische Stabilitätspakt steht zur Debatte.
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Ziel der Staatengruppe sei es, dass kreditfinanzierte staatliche Investitionen in Wachstum und Beschäftigung nicht mehr auf das Budgetdefizit angerechnet werden. Krisenländer hätten so mehr Zeit, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen, und müssten sich im Gegenzug zu Strukturreformen verpflichten. Angeregt wurde die Initiative von den sozialdemokratischen Parteien in Europa, die sowohl in Frankreich wie Italien derzeit in Regierungsverantwortung sind.
Alle Staaten müssten Änderung der Stabilitätskriterien zustimmen
Eine Änderung der Stabilitätskriterien dürfte jedoch auf Widerstand stoßen, da alle Staaten der EU einstimmig zustimmen müssten. Und so versuchen die Sozialdemokraten, die Unterstützung von EU-Ratspräsident Hermann van Rumpuy zu gewinnen. Dieser ist sowieso gerade damit beschäftigt, zwischen den Parteien des Europaparlaments und den europäischen Regierungen zu vermitteln – ein Personalpaket soll helfen, trotz unklarer Mehrheitsverhältnisse im Parlament die EU-Politik bis 2019 abzuklären.
Van Rompuy sei in Kontakt mit Italiens Premierminister Matteo Renzi, „um einen Vorschlag vorzubereiten, wie der Pakt flexibler ausgestaltet werden kann“, sagte Hannes Swoboda, der bisherige Fraktionschef der Sozialisten, der Süddeutschen Zeitung. Aktuell sieht der Stabilitätspakt vor, dass die jährliche Neuverschuldung eines Staates nicht mehr als drei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung betragen darf. Auch die Gesamtverschuldung soll 60 Prozent der Wirtschaftskraft nicht übersteigen. Kriterien freilich, die von der Mehrheit der EU-Staaten verletzt werden.
Schadet strenger Austeritätskurs den Volkswirtschaften?
Mit ihrem Vorstoß zeigen die Regierungen Frankreichs und Italiens ihren Unmut über die bisherige EU-Sparpolitik, die angeblich den Volkswirtschaften schade und Wachstum hemme. Es war nicht zuletzt die Bundesregierung, die EU-weit auf einen strengen Konsolidierungskurs drängte. Ob der Sparkurs zum Erfolg führt, ist jedoch umstritten.
Griechenland etwa verlor seit Ausbruch der Schuldenkrise 2010 ein Fünftel seiner Wirtschaftskraft, nachdem staatliche Investitionen gekürzt, öffentliche Angestellte entlassen und Ausgaben für Infrastrukturprojekte zusammengestrichen wurden. Alternativ hierzu hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) vor zwei Jahren einen Marshallplan für die griechische Wirtschaft gefordert – also mehr Investitionen. Nötig sei eine nationale Wachstumsstrategie, statt einseitig den Blick auf den Abbau von Staatsschulden zu richten (Versicherungsbote berichtete). Kritiker hingegen wenden ein, dass kurzfristige Investitionen kaum nachhaltige Effekte auf die Wirtschaft haben.
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Und so kündigt sich auch in der Bundesregierung Streit an. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel unterstützt nach Informationen der Süddeutschen den Vorstoß seiner europäischen Schwesternparteien, bestimmte Ausgaben aus dem Defizitkriterien herauszurechnen. Das Bundesfinanzministerium jedoch fürchtet den Missbrauch solcher Sonderregelungen und lehnt eine Lockerung des Stabilitätspaktes ab.