ITA-Chef Mark Ortmann - Die Behauptung des Handelsblattes zu unserer Riester-Studie ist falsch
Riester: Hat das Berliner Institut für Transparenz (ITA) für eine Studie im Auftrag der Bundesregierung die Riester-Renditen schön gerechnet? Diesen Vorwurf hat Handelsblatt Online in Richtung des Institutes erhoben, nachdem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Zahlen bereits offiziell präsentiert hatte. Im Gespräch mit Versicherungsbote weist ITA-Chef Dr. Mark Ortmann die Vorwürfe zurück. Zwar habe man Fehler gemacht - aber durch die Darstellung des Handelsblattes seien die Leser "massiv in die Irre geführt und verunsichert" worden.
Versicherungsbote: Laut einem Artikel des Handelsblattes hat das Berliner Institut für Transparenz (ITA) in einer Studie die Riester-Rente schön gerechnet. Demnach haben Sie die Ausgangsrenditen zu positiv dargestellt, wie auch Studienleiterin Tutone eingeräumt habe. Nun argumentieren Sie in einer Pressemitteilung (Zitat): „Die Behauptung, dass in unserem Forschungsguthaben für das Bundesfinanzministerium eine fehlerhafte Berechnung zu Renditen erfolgt ist, ist falsch.“ Hier stehen sich zwei Aussagen gegenüber. Bitte klären Sie uns auf: gab es Fehler bei dieser Studie und wenn ja, welche?
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Mark Ortmann: Ich möchte den Sachverhalt noch mal ausführlich erläutern. Der genannte Artikel des Handelsblatts vom 8. August 2014 bezieht sich auf eine Tabelle in der Studie, in der wir bei der klassischen Rentenversicherung die Effektivkosten in verschiedenen Musterfällen berechnet haben. Für diese Berechnungen haben wir zuvor ausführlich die unterstellten Annahmen, wie Wertentwicklung und Kosten, dargestellt. In der genannten Tabelle stellen wir dann die Rendite vor Kosten, die Rendite nach Kosten und die Effektivkosten dar.
Bei Riester-Verträgen gibt es nun zwei Wege, wie man die Rendite berechnen kann. Die Rendite aus Sicht des Sparers ist dabei der Zinssatz, der benötigt wird, um mit dem monatlichen Eigenbeitrag das entsprechende Endguthaben zu erreichen. Die Rendite aus Sicht des Staates ist dabei der Zinssatz, der benötigt wird, um mit dem monatlichen Eigenbeitrag und den Zulagen dasselbe Endguthaben zu erreichen. Damit ist diese Rendite niedriger als die Rendite, die nur auf Eigenbeiträge bezogen ist bei identischem Endguthaben. In der ersten Version der Studie hatten wir in der genannten Tabelle versehentlich die Rendite nach Kosten aus Sparersicht angegeben, bei anderen Produkten aber die Rendite aus Staatssicht, also bezogen auf Eigenbeiträge und Zulagen. Mit dem späteren Austausch wollten wir lediglich die Darstellungsweise vereinheitlichen. Auswirkungen auf die weiteren Ergebnisse der Studie hatte dies nicht.
Wichtig ist Folgendes: Der Sparer erhält in beiden Fällen das exakt selbe Guthaben ausgezahlt. Das Handelsblatt hat aber die unterschiedlichen Renditen genommen und damit auf Grundlage nur der Eigenbeiträge zwei unterschiedliche Endguthaben ausgerechnet. Das ist falsch. Wenn das Handelsblatt das Endguthaben mit der Rendite aus Staatssicht bezogen auf Eigenbeiträge und Zulagen berechnet hätte, wäre dasselbe Endguthaben herausgekommen. Die Behauptungen des Handelsblatts, die Rendite bei Riester-Verträgen sei schön gerechnet worden und der Sparer würde im Musterfall 7.240 Euro weniger erhalten als in der ersten Version der Studie, ist falsch. In dem Originalartikel hatte das Handelsblatt sogar von ziemlich genau 10.000 Euro gesprochen. Richtig ist, dass in beiden Fällen dasselbe Endguthaben herauskommt und die Anpassung der Tabelle an die Darstellungsform der anderen Tabellen keinerlei Auswirkungen auf die Ergebnisse der Studie hat. Durch die Darstellung in dem Artikel wurden die Leser des Handelsblatts völlig zu Unrecht massiv in die Irre geführt und verunsichert.
Versicherungsbote: Die Studie soll nach Informationen des Handelsblattes ausloten, ob und wie stark der Gesetzgeber die Kosten für Riester-Produkte begrenzen muss, damit sich Riester für den Sparer lohnt. Die hohen Kosten sind ein wichtiger Ansatzpunkt für Kritiker der privaten Altersvorsorge. So behauptet der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU): „Von einem Euro, das du der Privatversicherung gibst, sind 25 Cent schon mal weg. Bei der Rentenversicherung nur 1,5 Cent.“ Wie bewerten Sie diese Aussage? Sind die Kosten einzelner Verträge tatsächlich zu hoch und muss der Gesetzgeber hier tätig werden?
Mark Ortmann: Der von Herrn Blüm gezogene Vergleich hinkt. Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine Pflichtversicherung. Beratung und Vermittlung sind daher unnötig. Würde die gesetzliche Rentenversicherung freiwillig sein und müsste sie vertrieben werden, müsste sie auch Vertriebsmitarbeiter beschäftigen. Damit würden die Kosten steigen. Die gesetzliche Rentenversicherung hat auch das Inkasso ausgelagert an die Unternehmen selbst und die Krankenversicherungen, spart also auch an dieser Stelle kräftig ein. Wegen dieser erheblichen Unterschiede ist ein Vergleich der Kosten in der gesetzlichen Rentenversicherung und in privaten Rentenversicherungen nicht zielführend. Dennoch gibt es sowohl im Vertrieb als auch in der Verwaltung privater Rentenversicherungen Einsparpotenziale. Diese sollten unbedingt gehoben werden, um die zum Teil tatsächlich zu hohen Kosten zu senken.
Der Markt wird sich bewegen und kundenfreundlicher werden
Versicherungsbote: Aus unserer täglichen Redaktionsarbeit wissen wir, dass sogar Versicherungsmakler und -vermittler Probleme haben, die tatsächlichen Kosten eines Riester-Vertrages zu benennen. Einige schrecken deshalb davor zurück, Riester-Produkte zu vermitteln, weil sie unzufriedene Kunden fürchten. Beurteilen Sie die Ausweisung der Kosten als transparent? Wenn nicht – Was kann bzw. muss sich ändern?
Mark Ortmann: Leider weisen die Anbieter ihre Kosten nicht durch die Bank transparent aus. Es gibt immer noch Anbieter, die ihre Kreativität dazu nutzen, Kosten zu verstecken anstatt sie einfach und verständlich darzustellen. Unter diesen schwarzen Schafen leidet die gesamte Branche. Denn solange Kosten nicht übergreifend transparent dargestellt werden, wird der Gesetzgeber zu Recht weiter regulieren.
Das Problem ist aber erkannt und erste Maßnahmen wurden seitens des Gesetzgebers ergriffen. Ab 2015 müssen bei Rentenversicherungen die Effektivkosten ausgewiesen werden. Damit können Kunden erstmals Kosten anhand einer einzigen Gesamtkostenkennzahl vergleichen. Das ist der richtige Weg. Wichtig ist nun aber, dass alle Anbieter die Effektivkosten auf demselben Weg berechnen. Nur dann können Kunden die Effektivkosten richtig vergleichen. Ein weiterer Schritt ist geplant. Bei zertifizierten Riester- und Basisrenten soll es bald ein einheitliches, standardisiertes und sehr übersichtliches Produktinformationsblatt geben. Auch darin sollen die Effektivkosten auf den ersten Blick erkennbar gezeigt werden. Auch die anderen Informationen sollen gut erkenn- und vergleichbar gezeigt werden. Mit diesen Maßnahmen wird sich der Markt bewegen und kundenfreundlicher werden.
Versicherungsbote: Die Notwendigkeit eines privaten Kapitalstocks wird u.a. mit der Alterung der Gesellschaft begründet: Weil immer mehr Ruheständler immer weniger Erwerbstätigen gegenüber stehen, sollte im Idealfall jeder privat vorsorgen. Nun sind auch die Privatversicherer auf ein funktionierendes Riester-Neugeschäft angewiesen: wenn keine neuen Verträge gezeichnet werden, geraten die Anbieter unter Druck, z.B. durch die Aktionäre. Stellt die Alterung der Gesellschaft nicht gleichermaßen für das gesetzliche Umlageverfahren als auch für die Privatvorsorge eine Herausforderung dar?
Mark Ortmann: Die Folgen der Alterung der Gesellschaft sind mit Sicherheit eines der großen zu lösenden Probleme in Deutschland. Das Umlageverfahren in der gesetzlichen Rentenversicherung ist unmittelbar auf Beitragszahler angewiesen. Je mehr Rentner und weniger Beitragszahler es gibt, desto größer wird die Finanzierungslücke. Sie kann geschlossen werden durch geringere Rentensteigerungen, höhere Beiträge und höhere Staatszuschüsse. Im Jahr 2013 betrugen die Bundeszuschüsse schon 27,3 Prozent der Rentenausgaben. Diese Möglichkeiten gibt es in der privaten Altersvorsorge nicht. Da jeder Sparer sein eigenes Guthaben aufbaut, sind Versicherer auch nicht unmittelbar auf neue Beitragszahler angewiesen. Sollte es künftig weniger Beitragszahler geben, müssten Versicherer aber auch reagieren. Sie würden Personal im Vertrieb und in der Verwaltung abbauen. Da sich das verwaltete Vermögen über die Jahre verringern würde, könnten sich Versicherer verstärkt zusammenschließen, um auch weiterhin Größeneffekte bei der Verwaltung der Kapitalanlagen zu erzielen. Die Auswirkungen bei privaten Rentenversicherungen halte ich für wesentlich geringer als in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Kunden werden zum Teil nicht über Risiken und Kosten aufgeklärt
Versicherungsbote: Die Debatte über die staatlich geförderte Altersvorsorge scheint auch von weltanschaulichen Gesichtspunkten geprägt. Gegner und Befürworter stehen sich recht unversöhnlich gegenüber. Warum ist eine nüchterne und sachliche Debatte über das Thema „staatlich geförderte Altersvorsorge“ so schwierig?
Mark Ortmann: Gegner der staatlich geförderten Altersvorsorge und überhaupt speziell von Rentenversicherungen bauen ihre Positionen auf Basis zahlreicher Erfahrungsberichte von Geschädigten auf. Und es gibt tatsächlich zahlreiche Geschädigte. Kunden werden zum Teil nicht über Risiken und schon gar nicht über die Kosten aufgeklärt. Wenn der Kunde dann die erste Jahresmitteilung erhält und sieht, dass das Guthaben niedriger ist als die eingezahlten Beiträge, ärgert er sich zu Recht. Hätte der Vermittler ihm alles erklärt, würde sich der Kunde nicht wundern. Und dann gibt es immer noch Fälle von Umdeckungen: Ist die Provision verdient, bekommt der Kunde ein neues Produkt mit neuer Provision. Solche Kunden werden nie Altersvorsorgeguthaben aufbauen können. Das ist unerträglich. Und dann natürlich die intransparenten und teuren Versicherer, die lieber tricksen als fair zu sein. Mit diesen Eindrücken im Gepäck ziehen einige den Schluss, dass die ganze private Altersvorsorge Mist ist. Dabei werden dann natürlich diejenigen Produkte und Anbieter übersehen, die ordentlich und fair arbeiten. Aber zu denen gibt es ja keine Beschwerden und keine negativen Erfahrungsberichte, die zum Beispiel in den Verbraucherzentralen auftreten. So kommt es, dass Gegner und Befürworter der privaten Altersvorsorge jeweils die andere Seite ein und derselben Medaille betrachten.
Versicherungsbote: Daran anknüpfend: Wie kann die Debatte um Riester versachlicht werden? Ist es möglich, Gegner und Befürworter an einen Tisch zu bekommen?
Mark Ortmann: Es gibt immer wieder Diskussionsrunden und Gespräche zwischen Gegnern und Befürwortern. Die verlaufen meistens sachorientiert und durchaus vernünftig, wenn die Türen geschlossen sind. Sobald Scheinwerfer der Öffentlichkeit angehen, macht jeder seinen eigenen Job: seine Positionen bis auf das Messer verteidigen. Da spielen dann Sachargumente oft keine Rolle mehr. Ein gutes Beispiel dafür ist die Empfehlung, dass Sparer ihr Geld doch lieber in einen Sparstrumpf stecken sollen als einen Riester-Vertrag abzuschließen. Das ist natürlich kompletter Unfug, weil sich der Wert des Geldes im Spartrumpf nach 25 Jahren halbiert hat. Bei einem Riester-Vertrag bekommt man auch sein Geld zurück und erhält zusätzlich Zulagen, die es im Sparstrumpf nicht gibt. Außerdem bieten Riester-Verträge zusätzlich eine Chance auf Verzinsung, die sich in der Vergangenheit auch deutlich realisiert hat. Aber solche übertriebenen Aussagen bringen natürlich Presse und erlauben so, die eigenen Thesen zu verbreiten. Ein wichtiger Schritt in Richtung eines sachorientierten Dialogs wäre, wenn alle Beteiligten sich bei den Überspitzungen etwas zurücknähmen und auch das eine oder andere richtige Argument der Gegenseite anerkennen würden.
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Versicherungsbote: Vielen Dank für das Interview! (Die Fragen stellte Mirko Wenig)
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