Das zweite Pflegestärkungsgesetz - neue Pflegestufen, neues Begutachtungsverfahren
Pflegestärkungsgesetz: Welche Veränderungen bringt die schwarz-rote Pflegereform für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen mit sich? Dieser Frage widmet sich Gastautorin Leonie Pfennig in einer dreiteiligen Serie. Die geplanten Reformen des zweiten Pflegestärkungsgesetzes sind Gegenstand dieses Beitrages.
Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz soll noch in dieser Wahlperiode der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren eingeführt werden. Die bisherige Unterscheidung zwischen Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen und Demenzkranken soll dadurch wegfallen, wie es auf der Webseite des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) heißt. Im Zentrum stehe der individuelle Unterstützungsbedarf jedes Einzelnen. Dadurch werde die Pflegeversicherung auf eine neue Grundlage gestellt.
Anzeige
Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz werden die Beiträge zur Pflegeversicherung nochmals um 0,2 Prozentpunkte angehoben. Durch diese beiden Beitragssatzerhöhungen aus dem 1. und dem 2. Pflegestärkungsgesetz stehen insgesamt fast fünf Milliarden Euro mehr für Verbesserungen der Pflegeleistungen zur Verfügung. Die Leistungen der Pflegeversicherung können dadurch um etwa 20 Prozent ausgeweitet werden.
Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff & neues Begutachtungsverfahren
Das 1. Pflegestärkungsgesetz war schon der Vorbote, damit jetzt im 2. Schritt der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden kann. Die individuelle Situation des Pflegebedürftigen und deren Angehörigen soll mehr berücksichtigt werden und die Unterschiede zwischen körperlichen, geistigen und psychischen Einschränkungen im täglichen Leben sollen schwinden. Es wird also ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff installiert und damit wird auch ein neues Begutachtungsverfahren erforderlich.
Fünf Pflegegrade, die der individuellen Pflegebedürftigkeit besser gerecht werden
Statt 3 Pflegestufen soll es künftig 5 Pflegegrade geben. Eine geringe Beeinträchtigung wäre dann Pflegegrad 1 bis hin zur schwersten Beeinträchtigung = Pflegegrad 5. Hierbei spielt eine Rolle, was jemand noch alleine kann bzw. wo derjenige Unterstützung benötigt.
Gänzlich neu ist diese Idee nicht. Es wurde bisher auch kein Unterschied gemacht, ob jemand körperliche oder geistige Einschränkungen hatte. Auch ein Demenzkranker konnte bzw. kann in Pflegestufen eingestuft werden, weil er Hilfe bei den täglichen Verrichtungen bedarf. In diesen Fällen geht es dann mehr um die Anleitung zur Pflege als um die umfassende Hilfe.
Eine genauere und fairere Erfassung der Hilfsbedürftigkeit ist voraussichtlich durch die Erhöhung von 3 auf 5 Stufen/Graden möglich. Wie oft befinden sich die Pflegebedürftigen „zwischen“ den Stufen, wo alle gern schon z.B. die Pflegestufe 1,5 gehabt hätten. Die Hürde zwischen den einzelnen Pflegestufen war bisher einfach zu groß. Ob sich hier tatsächlich Verbesserungen für die Betroffenen einstellen, muss die Praxis zeigen.
Die Einstufung wird jetzt auch nicht mehr nach der zeitlichen Komponente untersucht, sondern nach Punkten. Diese sollen abbilden, in wie weit die Selbständigkeit der Person eingeschränkt ist. Es werden Aktivitäten in sechs pflegerelevanten Bereichen untersucht.
Einstufung ähnlich der privaten Pflegetarife?
Jeder, der sich in den letzten Jahren mit den Tarifen der Pflegerentenanbieter beschäftigt hat, könnte sich bei den Plänen der Bundesregierung an die ADLs (Activities of Daily Living / Aktivitäten des täglichen Lebens) erinnert fühlen, die jetzt schon bei privaten Pflegetarifen üblich sind. Hoffentlich wird sich nicht zu sehr daran orientiert.
Die folgenden 2 Beispiele aus den Versicherungsbedingungen der Pflegerenten sollen die Befürchtung etwas verdeutlichen:
- Der Pflegepunkt „Fortbewegen im Zimmer“ beinhaltet folgendes: „Hilfebedarf liegt vor, wenn die versicherte Person, auch bei Inanspruchnahme einer Gehhilfe oder eines Rollstuhls, die Unterstützung einer anderen Person benötigt, um sich an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort auf ebener Oberfläche von Zimmer zu Zimmer fortzubewegen.“
Was bedeutet eigentlich „auch bei Inanspruchnahme einer Gehhilfe oder eines Rollstuhls“? Solange man die Gehhilfen, wie z.B. einen Rollator etc. oder den Rollstuhl noch selbst benutzen kann und keine Hilfe dabei benötigt, erhält man diesen Punkt nicht. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass man in der ersten Phase der Pflegebedürftigkeit noch relativ lange ohne Hilfe klar kommt. Bei der gesetzlichen Pflegeeinstufung spielt das bisher keine Rolle. Hier wird der Pflegebedarf festgestellt und hinterher eine Empfehlung für Hilfsmittel ausgesprochen, um sich den Alltag erleichtern zu können.
- Beim Punkt „Waschen“ sieht es auch nicht anders aus: „Hilfebedarf liegt vor, wenn die versicherte Person, auch bei Benutzung von Hilfsmitteln wie Wannengriff oder Wannenlift, sich nicht ohne Hilfe einer anderen Person so waschen kann, dass ein akzeptables Maß an Körperhygiene gewahrt bleibt.“
Hier ist auf die Formulierung zu achten: „auch bei Benutzung von Hilfsmitteln wie Wannengriff oder Wannenlift“, das ist so ähnlich formuliert wie bei „Fortbewegen im Zimmer“. Und „ein akzeptables Maß“ ist wohl immer eine Auslegungssache des Versicherungsunternehmens.
Zweites Pflegestärkungsgesetz mit Modellprojekten erprobt
Damit mit der Einführung des 2. Pflegestärkungsgesetzes alles reibungslos klappt, wird das neue Begutachtungssystem vorher erprobt. Es wird 2 Modellprojekte geben, die durch den GKV-Spitzenverband koordiniert werden.
Auf der Webseite des Bundesministeriums für Gesundheit heißt es hierzu: „Mit der Umsetzung der Modellprojekte wurde bereits begonnen: zunächst werden die Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung auf die neuen Regeln geschult. Anschließend werden insgesamt 4.000 Pflegebedürftige in ganz Deutschland, Erwachsene und Kinder, zu Hause und in Pflegeheimen begutachtet – und zwar nach den geltenden und den künftigen Regeln. Parallel wird durch Pflegekräfte begleitet und erfasst, welche konkreten Leistungen in Pflegeheimen mit welchem Zeitaufwand erbracht werden. Die Ergebnisse der beiden Studien werden Anfang 2015 vorliegen und können dann im Gesetzgebungsprozess zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs berücksichtigt werden.“
Es sollte sichergestellt werden, dass die bereits eingestuften Pflegebedürftigen demnächst die richtige Einstufung in die neuen Pflegegrade erhalten, was hoffentlich kein allzu großes Chaos verursacht.
FAZIT
Die Änderungen in 2015 werden für den einzelnen Pflegebedürftigen und die Angehörigen weit weniger große Auswirkungen haben als das zweite Pflegestärkungsgesetz. Dieses aber wird alle betreffen: Ab 2016 werden die neuen Pflegegrade eingeführt, die Einstufungen vorgenommen, die Umstufungen von bereits bestehenden Stufen auf die neuen Grade müssen erfolgen.
UND: Wie werden die privaten Versicherungsunternehmen reagieren, die jetzt schon Pflegezusatztarife anbieten bzw. werden sich neue VUs mit neuen Tarifen auf den Markt wagen? Wie werden diese Tarife aussehen? Und vor allem, wie werden sie kalkuliert sein? Muss man sich auf höhere Beiträge einstellen?
Auf jeden Fall sollte heute schon bei der Kundenberatung und der Bedarfsermittlung darauf geachtet werden, Tarife zu vermitteln, die eine Anpassung der Tarife bei Änderung des SGB XI vorsehen, z.B. HALLESCHE, Württembergische, Allianz, Münchener Verein, Mannheimer (hier beim Pflegekostentarif) etc.
Anzeige
zum Weiterlesen: Hier finden Sie den ersten und zweiten Teil der Pflegeserie