Bei einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag übten Pflegeexperten scharfe Kritik an der geplanten Pflegereform der Bundesregierung. Zwar sei diese im Grundsatz richtig und unverzichtbar, so der Tenor der Fachleute bei der Anhörung am 24. September. Zugleich seien aber viele Fragen ungeklärt. So werde die vorgesehene Anhebung des Pflegeversicherungs-Beitrages um 0,5 Prozentpunkte wohl nicht ausreichen, um die Finanzierung aller Maßnahmen abzusichern.

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Scharfe Kritik am Pflege-Vorsorgefonds

Das Pflegereformgesetz sieht ab 2015 Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegekräfte vor. Mit zwei „Pflegestärkungsgesetzen“ sollen in dieser Wahlperiode die Beiträge in zwei Schritten um insgesamt 0,5 Prozentpunkte angehoben werden. Dadurch stehen rund 6 Milliarden Euro mehr pro Jahr für die Pflege zur Verfügung. Die Bundesregierung plant in einem zweiten Schritt, statt drei nun fünf Pflegestufen einzuführen, damit nicht mehr zwischen körperlichen, geistigen und psychischen Gebrechen unterschieden wird und Demenzkranke bessergestellt werden.

Um zukünftige Beitragsanhebungen aufzufangen, will die Bundesregierung 20 Jahre lang einen Vorsorgefonds ansparen, der pro Jahr mit 1,2 Milliarden Euro gefüttert wird. Doch die Kritik an diesem Fonds fiel streng aus. Der Wirtschaftsforscher Eckart Bomsdorf von der Universität Köln rechnete vor, dass die Beitragsentlastung mit kaum mehr als 0,1 Prozentpunkten auf dem Höhepunkt der Versorgungskurve marginal ausfalle. Die Fonds komme schlichtweg 20 Jahre zu spät.

Bomsdorf schlägt deshalb vor, im Sinne zukünftiger Generationen die Rücklage mit 0,25 Beitragspunkten anzusparen statt wie geplant mit 0,1 Beitragspunkten. Denkbar wäre auch, den Solidaritätszuschlag in einen „Demografie-Soli“ umzuwidmen und für die Pflege zu verwenden. Dass der Pflege-Fonds zweckentfremdet werde, wenn wieder einmal leere Kassen gefüllt werden müssen, fürchtet hingegen der Arbeitgeberverband (BDA).

Sozialverband schlägt Pflege-Bürgerversicherung vor

Kritik wurde auch daran laut, dass die gesetzliche Pflegeversicherung nur eine Teilabsicherung bietet – und entsprechend ein hohes Armutsrisiko für Betroffene bedeutet. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) präferiert alternativ eine „solidarische Pflege-Bürgerversicherung“, die letztendlich darauf hinauslaufen würde, das gesetzliche und private Pflegevorsorge nicht mehr nebeneinander bestehen. Stattdessen sollen alle in einen Topf einzahlen, um eine Pflegevollversicherung zu gewähren.

Eine Vollversicherung wäre allerdings mit einer erheblichen Beitragsanhebung verbunden, warnte Gesundheitsökonom Heinz Rothgang von der Universität Bremen. Stationär wäre dies vorstellbar, ambulant allerdings schwer zu steuern. Er erinnerte wie auch die Sozialverbände daran, dass derzeit die Versicherten einen erheblichen Teil der stationären Pflegekosten selbst tragen müssen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) monierte, mit dem Gesetzentwurf werde die Chance auf eine echte Strukturreform vertan. Auch fehle ein verbindlicher Zeitplan zur Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeits-Begriffs, um demenzkranke Patienten besser zu erfassen: ein aufgeweichter "Pflegebegriff light" sei hingegen nicht sinnvoll.

Staatlich geförderte Pflege-Bahr ein "Nischenprodukt"?

Kritisch äußerten sich einige Experten auch zu der staatlich geförderten privaten Pflegeversicherung, auch als „Pflege-Bahr“ bekannt. Die Zusatzversicherung war zu Beginn des Jahres 2013 vom früheren Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) eingeführt worden, der nun in den Vorstand der Allianz wechselt.

Rothgang erklärte, die Zusatzversicherung könne die Versorgungslücke in der Pflege nicht schließen. Sie sei eher ein „Nischenprodukt“ und komme den einkommensstarken Haushalten zugute, die sich eine solche Police leisten könnten. Nach Angaben des PKV-Verbandes haben bisher rund eine halbe Million Kunden eine solche Pflegetagegeldversicherung gezeichnet, darunter viele jüngere Leute. Die Einführung des Pflege-Bahr habe allerdings den Vertrieb von nicht geförderten Policen gefördert – hier seien die Abschlüsse auf 2,3 Millionen gestiegen.

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MW/ mit Material von hib - Heute im Bundestag