Versicherung - Digitalisierung ist kein Selbstzweck
Versicherung im Wandel: Was bedeutet die zunehmende Digitalisierung in der Versicherungsbranche für Vertrieb und ungebundene Vermittler? Welche Chancen und Risiken hält sie bereit? Über dieses Thema hat sich Versicherungsbote mit Michael Mayr unterhalten, Geschäftsführer des Beratungsinstituts iic solutions. Gemeinsam mit der V.E.R.S. Leipzig GmbH veranstaltet iic solutions die Konferenz "Digitalisierung: Potenziale und Handlungsfelder für die Assekuranz", welche am 04. November in Köln stattfinden wird.
Versicherungsbote: Sehr geehrter Herr Mayr, die V.E.R.S. Leipzig GmbH und die iic solutions GmbH veranstalten am 04. November in Köln eine Konferenz mit dem Titel "Digitalisierung: Potenziale und Handlungsfelder für die Assekuranz". Auf dem ersten Blick klingt das nach einem sehr technischen Thema für IT-Experten. Warum haben Sie sich für die „Digitalisierung“ als Schwerpunktthema entschieden?
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Michael Mayr: Die Digitalisierung ist zunächst natürlich ein technisches Thema – es handelt sich dabei um den größten Technologiewandel der letzten 100 Jahre. Dieser Wandel bringt zum Teil weitreichende Veränderungen in allen Lebensbereichen mit sich, wir stehen bei dieser Entwicklung aber noch ganz am Anfang. Wir als Versicherer, Technikdienstleister und Berater haben dabei die Aufgabe, diesen Wandel mit zu gestalten und die neue Technik nutzbringend für alle Beteiligte einzubringen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Potenziale und Handlungsfelder für die Assekuranz durch die Digitalisierung heißt für uns nicht einfach nur Geschäftsprozessoptimierung, sondern neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle zum Nutzen der Kunden – und es dabei den Versicherern ermöglichen, neue Geschäftsfelder zu entdecken.
Die Allianz hat es übrigens die Tage mit der Einführung von „Allianz Now“ vorgemacht: Die neuen digitalen Möglichkeiten werden – mit der klaren Vorgabe, vom Kunden her zu denken und handeln – unterstützt. Durch eine aktive Mitgestaltung bei den neu entstehenden Angeboten des „Connected Lifes“ wie z.B. Smart Home, Connected Car und e-Health ergibt sich mittelfristig die Möglichkeit für Versicherer, sich neu zu positionieren: Vom reinen Risikoabsicherer hin zum aktiven Lebensbegleiter oder „Ermöglicher“, wie es die Allianz nennt. Eine aus meiner Sicht sehr erstrebenswerte Vision, von der Kunden, Versicherer und natürlich auch die Vertriebe profitieren werden.
Versicherungsbote: Viele Leser unseres Magazins sind Versicherungsmakler. Zwar nutzen auch sie digitale Medien, etwa Beratungssoftware. Zugleich empfinden viele die Konkurrenz aus dem Internet als Bedrohung: etwa, weil Kunden zunehmend bei Online-Vergleichsportalen abschließen. Wie sehen Sie die Zukunft des ungebundenen Vermittlers in der digitalisierten Versicherungswelt? Bedeutet die Digitalisierung eine Bedrohung für den Berufsstand?
Michael Mayr: Große Veränderungen bringen immer Chancen und Risiken mit sich. Es ist unstrittig, dass immer mehr Kunden auch die neuen digitalen Kommunikationskanäle nutzen. Die sogenannten hybriden Kunden, welche alle Zugangsmöglichkeiten je nach Situation und Bedürfnis nutzen wollen – Schlagwort „Research Online, Purchase Offline“ - sind das am stärksten wachsende Segment und machen mittlerweile schon 40-50% der Kunden aus. Das heißt, der Vermittler wird es zwar zunehmend mit sehr gut informierten Kunden zu tun haben, aber auf seine Dienstleistung wird die Versicherungskundschaft auch in Zukunft nicht verzichten können. Was wir auch sehen: der Markt wird sich weiter konsolidieren. Zum einen, weil der durchschnittliche Vermittler heute über 50 Jahre alt ist und sich die demografische Entwicklung hier wie überall äußert, andererseits sich aber die Anforderungen an den Beruf immer weiter verschärfen. Dem sind nicht alle heutigen Vermittler gewachsen. Und genügend Nachwuchs ist – auch aufgrund des schlechten Images – nicht zu erwarten. Demnach wird sich die Zahl der Vermittler aus verschiedenen Gründen stark reduzieren. Diejenigen, die übrig bleiben und es verstehen, die Digitalisierung für sich zu nutzen, werden profitieren.
Versicherungsbote: Den Nutzen der fortschreitenden Digitalisierung bei der täglichen Arbeit bewerten Makler laut einer Umfrage von AssCompact (Trends II/2014) skeptisch. Nur 36,9 Prozent der Makler bejahen die Aussage, dass Digitalisierung Freiräume bei der eigenen Arbeit schafft. Andere erleben Risiken wie die Abhängigkeit von IT, Datenschutz-Verletzung, Informationsüberflutung und die Vermischung von Arbeits- und Freizeit als einengend. Besteht die Gefahr, dass Beratung und Kontakt zum Kunden leiden, weil der Vermittler quasi zu seinem eigenen IT-Experten werden muss?
Michael Mayr: Die Entwickler von Technologien müssen dies so tun, dass IT nicht belastet, sondern die Arbeit erleichtert und neue Möglichkeiten schafft. Moderne Anwendungen nähern sich diesem Ideal zusehends. Die technologische Entwicklung ist nicht zu verhindern, nur zu gestalten. Die angesprochenen Themen wie Datenschutz, Vermischung von Arbeits- und Freizeit etc. sind sehr wichtige Fragen, die aber nicht einzelne Berufszweige, sondern die Gesellschaft an sich betreffen. Dafür gilt es übergreifend sinnvolle Antworten zu finden und Rahmenbedingungen zu definieren. Und am Ende trägt auch jeder ein großes Stück Verantwortung für sich selber. IT hat einen Ausschalter.
Versicherungsbote: Welche aktuellen Trends der Digitalisierung beobachten Sie, von denen speziell ungebundene Vermittler in Zukunft profitieren könnten? Welche Entwicklungen sollten Makler im Auge behalten?
Michael Mayr: Die Zahl der Vermittler geht vermutlich stärker zurück, als die Zahl der Kunden. Trotzdem müssen Kunden auf verschiedenen Kanälen erreicht werden, auch in der Fläche. Besonders spezialisierte Vermittler, die Produkte über große Distanzen hinweg beraten und vermitteln, sind auf digitale Verkaufsinstrumente angewiesen. Videoberatung wäre daher so ein Trend, der Beachtung finden sollte.
Versicherungsbote: Wo können sich Vermittler Unterstützung holen, damit Digitalisierungsprozesse die Arbeit sinnvoll ergänzen und ihr nicht im Weg stehen? Schließlich locken auch die Versicherungsanbieter mit einem kaum überschaubaren Angebot an Software, Marketingtools und Unterstützungsprogrammen.
Michael Mayr: Das ist zugegebenermaßen ein schwieriges Umfeld. Vermittler, zumindest die kleinen und mittleren Betriebe, greifen so gut wie gar nicht auf Beratung zurück und wollen dafür kein Geld ausgeben. Sie müssen daher auf die Arbeit von Verbänden, Verbünden und Pools hoffen. Sie müssen darauf bauen, dass zum Beispiel die Arbeit der BiPRO oder des GDV Früchte tragen. BiPRO-Normen werden immer öfter eingesetzt, ein wichtiger Fortschritt. Auch die TGIC hat aus unserer Sicht ein sehr großes Nutzenpotenzial.
Versicherungsbote: Die Gothaer will ihre verlustreiche Direktversicherungs-Tochter Asstel in den Konzern integrieren und beklagt den Preisdruck. „Auch Kunden, die online eine Versicherung abschließen, wollen einen Vertrauensanker haben – den Berater vor Ort“, erklärt Gothaer-Chef Eichmann den Schritt. Wie schätzen Sie die Zukunft der Direktversicherung ein? Wird es bei diesen Anbietern einen Trend weg vom reinen Telefon- und Onlinegeschäft geben?
Michael Mayr: Die Branche muss verstehen lernen, dass der Kunde nicht in Schubladen gehört, sondern sich zunehmend verschiedene Wege zum Produkt sucht. Es gibt nicht den Direktkunden, den Vermittlerkunden, oder was auch immer. Es gibt Kunden mit Bedürfnissen und Wünschen, mit vielfältiger Kommunikation, persönlich oder digital. Das vermischt sich.
Versicherungsbote: Hat das Internet den Versicherungskunden anspruchsvoller werden lassen? Diese Behauptung findet sich im Ankündigungstest zum Kongress. Aber verleitet die Möglichkeit, Versicherungen per Mausklick abzuschließen, nicht auch dazu, dass Kunden vorschnell einen „schlechten“ Vertrag abzuschließen, ohne sich mit den Bedingungen vertraut zu machen?
Michael Mayr: Wenn das so wäre, wäre der Marktanteil dieser Vertriebsform deutlich höher. Davon abgesehen: wer sagt denn, dass Kunden nach einer Beratung durch einen Vermittler die Bedingungen verstehen? Die würden die Kunden besser verstehen, wenn sie verständlicher geschrieben wären. Dafür gibt es zu wenige gute Beispiele.
Versicherungsbote: Uns ist aufgefallen, dass auf Versicherungs-Webseiten und bei Vergleichsportalen die Vorteile eines Versicherungsproduktes gepriesen werden, aber Nachteile und Risiken häufig fehlen – z.B. der Umstand, dass Riester nur unter bestimmten Voraussetzungen vererbbar ist. Wie lässt sich dieser Tatbestand mit den Ansprüchen an eine umfassende und faire Beratung vereinbaren?
Michael Mayr: Das ist ja gerade eine der wesentlichsten Aufgaben des Beraters. Auch das muss er erklären. Ob das auf einer Internetseite bei der Produktbeschreibung gehört? Die ist nun mal werblichen Charakters und das weiß man. Ein Autohersteller erklärt auch nicht, dass es gefährlich ist, mit 250 km/h bei dichtem Verkehr auf der Autobahn zu fahren. An der Beschreibung, wie Beratungsprozesse auszusehen haben, arbeiten im Übrigen Marktinitiativen wie das EI-QFM. Volker P. Andelfinger, einer unserer Leading Consultants, leitet dort eine Arbeitsgruppe, die genau diese Notwendigkeiten in der Beratung beschreibt.
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Versicherungsbote: Vielen Dank für das Gespräch! (Die Fragen stellten Mirko Wenig und Björn Bergfeld)