DIN-Norm für die Finanzberatung: Vertrauen durch Standardisierung?
Finanzberatung: Die DEFINO GmbH will gemeinsam mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbraucherschutz eine DIN-Norm für die Finanzberatung schaffen. Ziel ist eine Standardisierung der privaten Finanzanalyse: Bevor der Vermittler dem Kunden ein Produkt empfiehlt, soll er zunächst den Grundbedarf und die finanziellen Möglichkeiten des Haushaltes ermitteln. Mit der Spezifikation DIN SPEC 77222, einer Art Vorstufe zu einer DIN-Norm, ist das Vorhaben weit fortgeschritten. Versicherungsbote hat sich mit Dr. Klaus Möller unterhalten, Geschäftsführer und Gesellschafter bei DEFINO: Warum wird eine DIN-Norm angestrebt und wo sind die Grenzen der Standardisierung?
Versicherungsbote: Sehr geehrter Herr Möller, die Gesellschaft für Finanznorm DEFINO hat sich zum Ziel gesetzt, allgemeingültige Standards für die Finanzberatung zu begründen. Ziel ist ein Leitfaden, der jedem privaten Beratungsgespräch zugrunde liegen soll. Warum ist dieser Schritt notwendig? Und welche Standards sollte eine Finanzberatung enthalten?
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Klaus Möller: Wir wissen alle, dass die Finanzbranche bei den Verbrauchern ein großes Vertrauensdefizit hat. Das ist nur durch Verlässlichkeit zu beheben. Es ist unseres Erachtens für die ganze Branche ein sinnvolles Ziel darauf hin zu arbeiten, dass eines Tages ein Verbraucher, der zehn verschiedene Berater um ihre Bedarfsanalyse in Sachen Absicherung, Vorsorge und Vermögensplanung fragt, nur ein – eben sein persönliches - Ergebnis erhält und nicht zehn unterschiedliche. Diese Analyse wäre dann eine verlässliche und Vertrauen stiftende Grundlage für die Beratung.
Versicherungsbote: Ziel ist es, eine DIN-Norm für die Finanzberatung von Privathaushalten zu schaffen. Warum haben Sie sich entschieden, speziell auf eine offizielle DIN-Norm hinzuarbeiten?
Klaus Möller: Wir sind mit dem Deutschen Institut für Normung DIN auf dem Weg, die von DEFINO initiierte DIN SPEC 77222 „Standardisierte Finanzanalyse für den Privathaushalt“ in eine DIN-Norm weiterzuentwickeln. Es ist mittlerweile der Alltag im Wirtschaftsleben, dass Unternehmen wie wir ihre Vorgehensweisen zum „Standard“ erklären. Die Wettbewerber tun dann dasselbe und nach kurzer Zeit gibt es lauter Standards, die konkurrierend nebeneinander stehen. Und der Verbraucher ist so schlau wie vorher. Beim DIN gibt es zu jedem Thema nur eine einzige Norm. Und das DIN hat in Deutschland und darüber hinaus einen tadellosen Ruf.
Versicherungsbote: Apropos DIN: Kann man einen komplexen Vorgang wie das Beratungsgespräch ähnlich normieren wie die Größe eines Blatt Papiers oder der Stützräder an einem Kinderfahrrad? Schließlich sind doch die Kundenwünsche sehr unterschiedlich.
Klaus Möller: Blutbilder, also die Ergebnisse von Blutanalysen verschiedener Menschen, sind auch sehr unterschiedlich und individuell. Und trotzdem gibt es normierte Verfahren, nach denen sie erstellt werden. Diese Prozesse sorgen dafür, dass es für jeden Menschen in einem bestimmten Moment nur ein einziges Blutbild gibt, gleichgültig welches Labor es erstellt. Das lässt sich mit einer Finanzberatung vergleichen.
Versicherungsbote: Von welchen Interessengruppen wird die DIN-Initiative bisher getragen? Sind z.B. auch Finanzvertriebe, Wissenschaft und Verbraucherschutz an der Ausarbeitung beteiligt?
Klaus Möller: In dem 20-köpfigen Arbeitskreis, der von Februar bis September 2013 das DEFINO-Regelwerk auf seine DIN SPEC-Tauglichkeit überprüft und teilweise auch verändert hat, haben Wissenschaftler, Verbraucherschützer und eine ganze Reihe Praktiker mitgearbeitet. Der Normausschuss, der sich gerade in diesen Tagen konstituiert, wird allerdings noch deutlich breiter aufgestellt sein. In ihm werden neben Wissenschaftlern und Verbraucherschützern die Größten aus den Bereichen Bank, Versicherung und Vertrieb vertreten sein.
Versicherungsbote: Bei Welt Online werden Sie mit dem Satz zitiert, „Individuelle Beratung kann in der heutigen Zeit nicht mehr die Lösung sein“. Viele Finanzberater könnten dies derart missverstehen, dass ihre individuelle Persönlichkeit im Kundenkontakt zukünftig nicht mehr gefragt ist. Wie viel Individualität wird noch „erlaubt“ sein?
Klaus Möller: Beratung muss individuell sein! Was wir als Fundament für die individuelle Beratung standardisieren wollen, ist die Analyse – vergleichbar, wie oben gesagt, mit dem Blutbild. In der Medizin funktioniert es doch auch, dass der Prozess der Blutanalyse Normen folgt und die auf der Analyse aufgesetzte Therapie – von z.B. Antibiotika über Homöopathie bis Akupunktur – ganz individuell im Einvernehmen zwischen Arzt und Patient festgelegt wird.
Versicherungsbote: Ist nicht gar zu befürchten, dass eine zu starke Normierung der Beratung schadet – etwa, wenn der Berater eine Frageliste abarbeitet und auf Kundenäußerungen nicht individuell eingeht?
Klaus Möller: Es ist der Zweck eines guten und umfassenden Schemas, eben gerade die ganz individuellen Äußerungen der Kunden aufzubereiten und daraus ihre ganz individuelle Bedarfssituation offenzulegen. Gute Berater arbeiten sich schon immer an Fragelisten entlang, einfach um nichts zu vergessen und keine Fehler zu machen. Sie haben diese Listen entweder im Kopf oder auf dem Papier oder inzwischen meistens als Eingabemasken auf ihrem Notebook. Das ist einfach professionell. Jeder Pilot der Welt arbeitet vor jedem einzelnen Flug, auch vor seinem 10.000sten, Punkt für Punkt seine Checkliste ab – aus Verantwortung für seine Fluggäste.
Versicherungsbote: In die DIN-Liste sollen zwar keine Produkte Eingang finden, aber Produktklassen. Dies könnte für Kontroversen sorgen, z.B., ob sich für das Alter besser mit einem Riester-Vertrag vorsorgen lässt, mit einem Fonds oder einer Immobilie. Wäre es da nicht besser, auf Produktklassen zu verzichten?
Klaus Möller: Zu den genannten Produktklassen macht das Regelwerk keine Vorgaben. Die Auswahl müssen Berater und Kunde selbst treffen. Durch ein paar Fragen rund um die Themen Flexibilität und Langlebigkeit wird lediglich eine erste Orientierung erarbeitet, ob alle denkbaren Produktklassen passen können.
Versicherungsbote: Die Idee einer DIN-Norm zielt auf einen ganzheitlichen Beratungsansatz. Finanzberater haben uns gegenüber artikuliert, dass sie gerne ganzheitlich beraten würden, aber Kunden den hohen Zeitaufwand und die damit verbundenen Kosten scheuen. Wie kann garantiert werden, dass die DIN-Norm für Berater wie Kunden praktikabel bleibt, sich also Zeit und Kosten im Rahmen halten?
Klaus Möller: Praktikabilität ist ja genau unser Anliegen. Es gibt ein sehr smartes Tool auf DEFINO- DIN SPEC-Basis, mit dem Berater in 10 Minuten für wahrscheinlich mehr als 80% der Menschen in unserem Land eine erste ganzheitliche Bedarfsanalyse erstellen können. Ganzheitlichkeit darf nicht mehr länger ein Privileg von Besserverdienern sein. Normalverdiener wie Köche, Busfahrer oder Krankenschwestern, die jeden EURO umdrehen müssen, brauchen Ganzheitlichkeit dringender als Vermögende. Das ist für Berater aber nur dann profitabel darstellbar, wenn – genau wie Sie anmahnen – der Zeitaufwand im Rahmen bleibt. Das funktioniert nur durch eine gewisse Prozessoptimierung – eben durch Standards.
Versicherungsbote: Vielen Dank für das Interview! (Die Fragen stellte Mirko Wenig)
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Steckbrief Dr. Klaus Möller: Studium der Klassischen Philologie, Geschichte und Politischen Wissenschaften. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl und Persönlicher Referent des Rektors der Universität Mannheim sowie wiss. Referent und Regierungsrat im Kultusministerium Baden-Württemberg. Ab 1990 bis 2004 bei MLP: u.a. als Leiter Aus- und Weiterbildung, Leiter Kommunikation, Geschäftsführer verschiedener Tochtergesellschaften und schließlich Personalchef. Seit 2005 Gesellschafter-Geschäftsführer value consult. value events gmbh. 2005 bis Februar 2009 Berater der ERGO-Töchter in Polen und der Türkei, in Polen auch Vorstand. Seit Juli 2011 Geschäftsführer und Gesellschafter der DEFINO – Gesellschaft für Finanznorm mbH.