Versicherungsbote: Versicherer und Maklerpools haben auf das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) mit Absenken der Provisionen reagiert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

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Oliver Pradetto: Das LVRG hat dramatische Auswirkungen für Makler. Aber Fakt ist auch, wären die Regulierungsmaßnahmen nicht durch dieses Gesetz gekommen, wären sie durch andere Entwicklungen offenbar geworden. Ich prophezeie auch, dass dies noch nicht das Ende gewesen ist.

Zum ersten sehen wir die Auswirkungen in der Lebensversicherung noch nicht. Wir konnten zwar die Abschlussprovisionen stabil halten und die Bestandsprovision sogar noch erhöhen. Wir haben auf eigene Einnahmen verzichtet und sie an unsere Maklerpartner weitergegeben, das sind in etwa 38 Prozent Bestandscourtage mehr als bisher. Doch das darf nicht den Eindruck erzeugen, dass nun alles unproblematisch ist. Die meisten Gesellschaften haben noch gar nicht reagiert, es sind noch zum 1. April und auch zum 1. Juli angekündigt. Sie sind alle noch dabei, sich langsam heranzutasten, denn sie wissen: Ziehen sie das durch, was sie tun müssten, um langfristig als Lebensversicherung zu funktionieren, dann zerstören sie den halben Maklermarkt. Statt 10.000 könnte es künftig nur noch 2.000 Versicherungsmakler geben.

Zum zweiten wissen die Gesellschaften, dass nicht alle bei den Provisionsregelungen gleichzeitig mitziehen werden. Entsprechend werden einige versuchen, daraus vertriebliche Vorteile für sich zu ziehen. Auch deshalb will kaum jemand zuviel von seinem Vorgehen preisgeben. In den nächsten drei bis vier Jahren werden wir sehen, dass die Versicherer nach und nach mit den Provisionen nach unten gehen werden, etwa durch Neukalkulation, Nachträge oder neue Tarife. Am Ende läuft es auf 30-35‰ Provionsanteil hinaus. Und das ist lediglich die Folge des aktuellen Gesetzes. Das wird jede Gesellschaft öffentlich dementieren und die gute Laune beim Vertrieb belassen wollen, doch aus meiner Sicht ist das unehrlich. Jeder Aktuar wird einem diese Entwicklung bestätigen.

Beobachten Sie diesen Trend generell?

Ja, auch in anderen Sparten, z. B. in der Sachversicherung, werden die Provisionszahlungen zurückgehen. Dafür muss gar kein Gesetz den Ausschlag geben, es genügen der derzeitige Transparenzdruck und digitale Möglichkeiten, mit deren Hilfe Kunden an Informationen gelangen. Noch haben wir passive Systeme, man muss Informationen im Internet abrufen, aber hat sie dann innerhalb von Sekunden. Diesen Druck spüren alle schon jetzt. Und in Zukunft wird es so sein, dass das eigene Smartphone, Tablet etc. diese Informationen automatisch erhält oder einem plötzlich die Uhr sagt „Diese Berufsunfähigkeitsversicherung gibt‘s jetzt günstiger.“ Genau daran arbeiten große amerikanische Softwarefirmen derzeit, sie stellen eigene Handys her, interessieren sich für Robotertechnologien oder bauen selbstfahrende Autos. Denn mit solchen Entwicklungen ist man rund um die Uhr ganz nah am Menschen. Die Auswirkungen dieses Trends werden sich vermutlich nicht morgen oder in zwei Monaten sondern in etwa 10 Jahren bemerkbar machen. Dann werden wir maximal die Hälfte des heutigen Courtageniveaus erleben. Statt laufend 25 Prozent rechnen wir sogar mit laufend 5 Prozent.

Die Bindung des Versicherungsmaklers zum Kunden wird über die Wahl eines Versicherungsproduktes entscheiden

Wie reagieren Sie darauf?

Wenn man einem Makler diese Entwicklung beschreibt, wird er bleich. Ich sage dann, es ist doch kein Problem, wenn es nur noch 2.000 statt 10.000 Makler gibt, sind auch fünfmal soviel Kunden da. Genau darauf muss man sich konzentrieren: Wie kann ich fünfmal so viele Kunden gewinnen und akquirieren? Wie kann ich sie vernünftig bearbeiten, ohne dass ich mir die halbe Nacht um die Ohren schlage? Dabei kann man unterstützen. Und die aus meiner Sicht eigentlich entscheidende Frage: Wie schaffe ich die Kundenbindung?

Die Kundenbindung ist schon heute nicht ideal. Wenn man direkt zum Kunden fährt, sagt er, dass sein Makler der Beste ist – doch dann sieht er ihn fünf Jahre nicht mehr. Wenn er gut ist, schickt er Weihnachtspost, wenn er richtig gut ist, vielleicht sogar einen Newsletter. Aber wer hat tatsächlich eine Kundenbindung, bei der er alle drei Monate beim Kunden vorbeikommt? Das geht finanziell nicht, daher muss man andere Methoden finden, um den selben emotionalen Effekt zu erreichen. Wir zeigen Wege auf, wie das funktionieren kann und nehmen die Makler dabei an die Hand. Es ist aufwendig, da ein Umdenken stattfinden und zum Teil auch viel in technische und organisatorische Ressourcen investiert werden muss. Doch es hat Erfolg. Eben diese Kunden werden dann sehr wahrscheinlich nicht darauf hören, wenn amazon auf ihrer Uhr für ein günstigeres BU-Angebot wirbt.

Gegner dieser Auffassung sagen, der Mensch wird immer gebraucht. Doch man stelle sich vor, man sitzt heute im Auto, das Navigationsgerät zeigt Abbiegen „links“ und die eigene Frau sagt „rechts“. Die meisten hören auf‘s Navi. Und diesen Effekt, sich Entscheidungen von Maschinen abnehmen zu lassen, wird es auch in anderen Bereichen geben. Der Mensch wird nicht überflüssig, aber er wird für andere Dinge gebraucht. Der Makler muss also andere Wahrnehmungen beim Kunden stärken. Wenn er in fünf Jahren noch da sein will, muss er etwas verändern und wir werden diesen Weg mit ihm gehen. Wir sind ein beitragsfinanzierter Pool, der davon lebt, dass unsere Partner Umsatz machen. Entsprechend müssen wir dafür arbeiten und kämpfen, dass sie auch in den kommenden Jahren noch da sind.

Wenn man das alles so hört, fragt man sich: Wurden die Interessen von Vermittlern und Pools im LVRG überhaupt berücksichtigt?

Ausdrücklich ja. Es ist nicht so, dass man allen Interessen gefolgt ist. Dennoch ist und bleibt die Lebensversicherung ein Hauptprodukt unserer Branche und man muss dafür sorgen, dass es für Kunden attraktiv bleibt. Dafür hat man einen guten Weg gefunden.

Welche Prognose geben sie demnach für die Entwicklung des Lebensversicherungsmarktes, zur Kranken- und zur Pflegeversicherung ab? Erholt sich der Absatz, stagniert oder fällt er?

Im KV-Markt sind wir sehr zuversichtlich, dass wir dort wieder eine stärkere Konzentration haben. Ich wäre nicht erstaunt über ein durchschnittlich zweistelliges Prozentwachstum. Der LV-Markt wird insgesamt einbrechen – allerdings differenziert. Vorsorgeprodukte aufgrund des Zinses werden sehr viel schwieriger, aber die Biometrie bleibt unverzichtbar. An dieser Stelle werden Vermittler also abschmelzende Provisionen ausgleichen müssen. Insofern wird zumindest im Bereich der BU der Absatz stabil bleiben bzw. sich bis hin zu einem leichten Plus entwickeln. Der Absatz im Rentenbereich geht stark zurück.

Im Pflegebereich werden die KV-Produkte ein deutliches Plus erwirtschaften, die LV-Pflegeprodukte verzeichnen womöglich ein leichtes Wachstum, weil es derzeit einen Langzeittrend nach oben gibt. Pflegeversicherungen sind ein besonders wichtiges Produkt, weil sie ein sehr hohes Umsatzpotential haben und der Bedarf in der Bevölkerung bei weitem noch nicht gedeckt ist. Doch es dauert lange, bis die Branche diese Angelegenheit vertrieblich stärkt. Im Moment ist das Thema zudem bei vielen Maklerkollegen selbst noch sehr problematisch.

Altersvorsorge ist theoretisch eine Absicherung von 100 Prozent Berufsunfähigkeit

Das LVRG bringt die Senkung des Garantiezinses mit sich. Lebensversicherungsgesellschaften reagierten darauf mit der Einführung von Produkten, die auf diesen Garantiezins verzichten. Was halten Sie von dieser Alternative?

Grundsätzlich findet jedes Produkt seine spezielle Zielgruppe. Ich halte jedoch nichts davon, stets auf den Zins zu schielen. Zwar kann ich realistisch betrachtet sagen, dass ein Zins von 1,25 Prozent aktuell richtig gut ist. Schließlich darf man dabei nicht die absolute Zinshöhe sehen, sondern muss sie in Relation zur Inflation betrachten. Doch das Problem mit der Altersvorsorge ist, dass man als Makler nicht die Aufgabe hat, für den Kunden möglichst viel Kapital oder Rendite zu erwirtschaften. Das ist gemeinhin die Domäne der Banken.

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Zum Makler geht man, weil man sich absichern möchte. In diesem Fall sichert man das Risiko des Alters ab, was zunächst nichts anderes ist als 100 Prozent Berufsunfähigkeit. Ich würde nie eine Berufsunfähigkeitsversicherung anbieten bei der es heißt, wenn die Aktien gut laufen, hast du einen Schutz und sonst nicht. Bei der Altersvorsorge passiert in der Branche aber genau das, man rennt einer Rendite hinterher. Dabei geht es darum, dass im Versicherungsfall eine grundsätzliche Versorgung mit Sicherheit zur Verfügung stehen muss, unabhängig vom Zins. Würden wir eben das nicht vergessen, wäre die Lebensversicherung nach wie vor eines der wichtigsten Produkte. Versicherungsbasierte Produkte sind damit die bessere Vorsorge. Als Makler hat man dafür Sorge zu tragen, dass sein Kunde sicher sein kann, Geld zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung zu haben.

Ein gutes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch!