Versicherung: Digitalisierung ist keine Konkurrenz, sondern ein Katalysator
Die Versicherungsbranche stolpert ins Netz. Ein "Bisschen Digitalisierung" ist zu wenig: Führungskräfte aus der deutschen Versicherungswirtschaft dachten beim ersten „Versicherungs.Dialog“ der Unternehmensberatung BearingPoint über die Does and Donts bei Digitalisierungsvorhaben in der Branche nach. An neuen Einsichten fehlte es allerdings.
Seit den Neunzigern nimmt der Prozess der Digitalisierung stetig zu. Seit einigen Jahren ist auch die Versicherungsbranche darauf gekommen, dass man sich da eventuell mal fit machen könnte. Bei dem Anfang Februar (5.2.2015) in Köln stattfindenden Dialog mündete insbesondere die Frage, welche Aspekte der Digitalisierung in den Unternehmen künftig wichtig sein könnten, in Orientierungslosigkeit.
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RoPo kommt - aber Offline wird nicht sterben
Alle Teilnehmer gaben an, dass in ihren Häusern eine Digitalisierung angestoßen wurde, doch gestaltet sich die Schwerpunktsetzung in den einzelnen Unternehmen bisher uneinheitlich. Während die eine Hälfte der Teilnehmer sich auf die "digitalen Prozesse" und ihre Automatisierung fokussiert, richtet etwa ein Drittel sein Augenmerk auf den „digitalen Vertrieb“ und der verbleibende Rest gab an, auch „Big-Data-Projekte“ aufgesetzt zu haben, um Kundenbindung und Kundengewinnung zu intensivieren.
Den Hybrid-Kunden erklärte unlängst auch Markus Rieß, der Vorstandsvorsitzender der Allianz, zur wichtigen neuen Zielgruppe: die umfasst all jene, die nach einer Internetrecherche (RoPo: research online -purchase offline) einen Vertrag lieber beim Vermittler vor Ort abschließen. Marc Lüke, Leiter des Direktvertriebs bei der AXA, mutmaßte auf der Konferenz darüber, wie sich dieser "digitale Kunde" im Versicherungsmarkt künftig möglicherweise verhalten könnte.
Marc Lüke, Leiter des Direktvertriebs bei der AXA, ist überzeugt, dass auch in Zukunft weiterhin Kunden "offline" ihre Versicherungspolicen abschließen werden. In dieser Frage war Lüke sich mit dem Großteil der Konferenzteilnehmer einig. Der positive Nebeneffekt der top informierten RoPo-Kunden ist, dass sich die Einsicht in sein Rechercheverhalten positiv auf den Kenntnisstand des Beraters auswirken kann: Er muss sich ebenso rege über den Produktmarkt informieren, um die Gefahr zu umgehen, im Gespräch vom Kunden bloßgestellt zu werden. Mit noch besserer Vorbereitung, zusätzlichen Informationen und der Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erklären, können Vermittler den gut informierten Kunden also weiterhin für sich gewinnen.
Kontakt führt zum Geschäft
"Deshalb ist die Digitalisierung keine Konkurrenz, sondern ein 'Katalysator' und Garant für das Überleben des Offline-Vertriebs bei komplexen Produkten", so Marc Lüke. Professor Christian Schulze von der Frankfurt School of Finance and Management präsentierte aktuelle Forschungsarbeiten zum Thema Digitalisierung und zeigte bestehende Parallelen zu anderen Branchen auf, in denen die Digitalisierung bereits sichtbarere Spuren hinterlassen hat, als in der Versicherungsbranche. Eine der Kernaussagen Schulzes war, dass in zehn Jahren nur jene Versicherer noch kostengünstig neue Kunden für sich gewinnen würden, die bereits heute begännen, sich tiefgreifend auf die Digitalisierung sowie den digitalen Vertrieb einzustellen, um ihn für sich gewinnbringend zu nutzen.
Wichtig wird zunehmend die Präsenz der Vermittler bei Facebook, um digitale Kundennähe herzustellen. Dazu Rieß: „Kontakt bedeutet Geschäft.“ Zwischen den in den sozialen Netzwerken aktiven Versicherungs-Vertretern und den dort ebenfalls aktiven Kunden werden bereits zahlreiche Dialoge geführt und ihre Zahl steigt immer weiter. Im Vergleich zu den offline-Beratern werden die Web-Aktiven in nicht all zu langer Zeit die Nase sehr weit vorn haben.
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Anhand mehrerer Beispiele konnte auch Professor Schulze zeigen, dass "ein bisschen Digitalisierung" nicht ausreichen kann, um sich im Wettbewerb mit neuen - beziehungsweise mit alten, aber zukunftsgewandteren Marktteilnehmern - zu überleben. Eine Prognose von höchster Expertise die zunächst für viel Diskussionsstoff sorgte, letztlich aber zum Konsens zwischen allen Teilnehmern führte.