Allianz-Tochter entschädigt Frauen im Silikon-Skandal
Frankreich war 2010 Ausgangspunkt eines medizinischen Skandals: Hunderttausenden Frauen wurden minderwertige Brustimplantate der Firma PIP mit nicht zugelassenem Silikon eingepflanzt. Die Allianz Versicherung hat nun die deutschen Opfer entschädigt. Allerdings dürfte die ausgezahlte Summe nicht mehr als ein Trostpflaster sein.
Es war ein Skandal, der eklatante Missstände in der europäischen Medizin offenbarte. Seit spätestens 2006 wurden hunderttausenden Frauen minderwertige Implantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) eingesetzt.
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Die Silikonkissen wurden mit billigem Industrie-Gel befüllt, das für die medizinische Verwendung nicht zugelassen war: Durch die Panscherei sparte das Unternehmen Millionen Euro ein. Schon bald klagten Frauen über geplatzte Implantate, Schmerzen, Entzündungen. Doch weggeschaut hatten alle: Aufsichtsbehörden, Ärzte und nicht zuletzt der TÜV Rheinland, der für die europaweite Zertifizierung des Medizinproduktes zuständig gewesen ist.
Allianz France entschädigt Silikon-Opfer
Nun hat die französische Allianz-Tochter Allianz France rund 4.500 deutsche Opfer entschädigt, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Die ausgezahlte Summe dürfte für die erlittenen Qualen kaum mehr als ein Trostpflaster sein. Insgesamt zahlte der Versicherer drei Millionen Euro aus – aber weniger als 650 Euro pro Patientin.
Das Problem: Wohl alle Frauen mussten sich erneut unter das Messer legen und die Pfusch-Implantate entfernen lassen. Zwar haben viele Krankenkassen bereits erklärt, dass sie die Kosten für den notwendigen Eingriff übernehmen wollen – auch, wenn die Brustvergrößerung aus ästhetischen Gründen erfolgte. Aber bei rund 80 Prozent der Patientinnen ist die Kostenübernahme fraglich.
Prüfpflicht verletzt? TÜV Rheinland erstritt Siege vor Gericht
Abgeschlossen ist der Skandal noch nicht. Der TÜV Rheinland war 2013 als PIP-Kontrolleur im französischen Toulon verurteilt wurden, rund 1.700 Frauen je 3.400 Euro Schadensersatz zu zahlen. Der Prüfdienstleister hatte die europaweite Zertifizierung der Silikonkissen als implantierbare Medizinprodukte übernommen. Doch der TÜV sieht sich selbst als Opfer krimineller Machenschaften und hat Berufung gegen das Urteil eingelegt.
Die Chancen für den TÜV stehen gut, denn mehrere Gerichte in Frankreich und Deutschland gaben den Prüfern bisher Recht. Unter anderem hatte die AOK Bayern 2013 eine Niederlage vor dem Oberlandesgericht Zweibrücken erlitten, als sie Operationskosten für die Entfernung von Silikonkissen zurückforderte (Az. 4 U 66/13).
Die Begründung der Richter: der TÜV Rheinland habe lediglich die Aufgabe gehabt, das Qualitätssicherungssystem von PIP zu prüfen, nicht jedoch die Produkte selbst. Der Verbraucherschutz reagierte damals entsetzt auf das Urteil. Was taugt eine Qualitätskontrolle, die nicht einmal ausschließen kann, dass medizinische Produkte gesundheitsgefährdend sind? Aktuell wird auch vor dem Bundesgerichtshof verhandelt, ob der TÜV seine Kontrollpflicht verletzt hat. Eine 64 Jahre alte Klägerin hat in oberster Instanz Revision eingelegt, nachdem sie zweimal gegen den Prüfkonzern unterlegen war (Aktenzeichen 7 ZR 36/14).
Keine unabhängige Zulassung
Immerhin: Schaden anrichten kann der PIP-Konzern keinen mehr. 2011 wurde das Unternehmen liquidiert, der frühere Geschäftsleiter Jean-Claude Mas zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Betrugs verurteilt. Auch der TÜV Rheinland hat auf Kritik reagiert und unter anderem ein 4-Punkte-Programm eingeführt, dass eine bessere Prüfung von Medizinprodukten vorsieht.
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Die Politik sieht ebenfalls Handlungsbedarf. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen schlug im Juni 2014 vor, für alle Medizinprodukte eine europaweite, unabhängige Zulassung vorzuschreiben. Bisher gibt es diese nicht: Der TÜV wird von ebenjenen Auftraggebern bezahlt, deren Produkte er testet.