Für die „Rente mit 63“ sind nach SPD-Auskunft all diejenigen antragsberechtigt „..., die jahrzehntelang malocht haben, als der Arbeitsschutz noch in den Kinderschuhen steckte… Wir reden von einem Anteil, der überdurchschnittliche Beitragsjahre gezahlt hat.“ (SPD-Generalsekretärin Fahimi). Das sind also entsprechend wenige, die letzten Endes zu den paar berechtigten Jahrgängen dazuzuzählen sind, und noch weniger sind es, die es auch noch auf die erforderlichen 45 rentenpflichtigen Arbeitsjahre gebracht haben, so der Gegenstandpunkt. Gerhard Schröder fiel in diesem Zusammenhang, ohne jedoch daraus einen Handlungsimparativ abzuleiten, auf: „Der männliche Facharbeiter, relativ gut verdienend, wird das nutzen können, Frauen eher weniger, weil die gar nicht auf die 45 Beitragsjahre kommen.“ Schon jetzt liegen 255.000 Anträge auf eine Rente mit 63 vor, sie "reißen ein Loch in die Rentenkasse", so die Bild Zeitung am Donnerstag letzter Woche aufgeregt. Dabei geht es doch nur um etwas mehr Geld für ganz wenige Ausnahmefälle.

Anzeige

Weiterhin zitiert die Bild namenlose "Experten", die erwarten, dass sich dieser Trend fortsetze. Wer nichts wird, wird Wirt. Oder Experte. Laut der "Experten" also ist die Nachhaltigkeitsrücklage der Rentenversicherung seit November 2014 um 1,7 Milliarden Euro gesunken. Die Nachhaltigkeitsrücklage Ende Februar 2015 betrug nur mehr 33,4 Milliarden Euro. Im November 2014 noch lag der Wert bei 35,13 Milliarden Euro.

Rente mit 63: Massenhafte Flucht in die Rente: "politisch nicht gewollt"

Die neue abschlagsfreie Rente ab 63 untergräbt das Ziel der Bundesregierung, ältere Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt möglichst lange zur Verfügung zu halten, so Bild, "um den Bedarf an Fachkräften zu sichern". Denn von Juni bis September 2014 sank die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter von 63 bis 65 Jahren erstmals seit langer Zeit um 23.600 auf etwa 447.000, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) vom Donnerstag. Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2013 nahm der Wert in diesem Zeitraum noch um jeweils 13.400 zu. „Eine solche Frühverrentung ist politisch nicht gewollt", so Nahles. Sie denke deshalb "intensiv darüber nach, wie man das noch unattraktiver machen kann.‘“ (Die Welt, 29.1.)

Diese Zahlen sind einer neuen Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu entnehmen, die Grundlage des Artikels der SZ bildete. Die "Experten", auch die Süddeutsche kennt welche, werden in dem Artikel zitiert und sie sind sich sicher, dass sich der beschriebene Trend fortsetzt. Noch aber liegt keine endgültige Statistik bis Ende 2014 vor. Die BA sieht jedoch voraus, dass die Zahl der Beschäftigten in dieser Altersgruppe von Juni bis zum letzten Monat des Jahres 2014 „untypischerweise“ sogar um 55.000 zurückgegangen ist. Kritiker der neuen Frührente sehen sich damit bestätigt. „Die abschlagsfreie Rente ab 63 untergräbt die erfolgreichen Anstrengungen, die Beschäftigung Älterer zu erhöhen und entzieht dem Arbeitsmarkt dringend benötigte qualifizierte Arbeitskräfte“, polemisierte gar ein Sprecher der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gegenüber der SZ.

Kurth: „Nahles fegt Fachkräfte dauerhaft vom Markt.“

Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher der Grünen, rechnete vor: „Fast ein Drittel der Begünstigten würde ohne die neue Rente heute noch arbeiten. Ministerin Nahles fegt diese Fachkräfte dauerhaft vom Markt.“ Der Grünen-Politiker bezieht sich dabei auf frühere Angaben des Arbeitsministeriums. Dort kalkulierten die Beamten ursprünglich mit 200.000 Arbeitnehmern (ohne freiwillige Versicherte), die sich im zweiten Halbjahr 2014 mit 63 vorzeitig aus dem Arbeitsleben zurückziehen würden. Die Zahl derjenigen, die ihre Arbeitskraft ab dem Alter von 63 Jahren dem Markt nicht länger zur Verfügung stellten, weil sie dies nun ohne finanzielle Nachteile können, schätzte das Ministerium auf 50.000 ein, später korrigierte man die Zahl auf 60.000.

Das Bundesarbeitsministerium hofft allerdings, dass trotz der Rente ab 63 künftig wieder mehr ältere Menschen länger auf dem Arbeitsmarkt aushalten würden. Es sei nichts als zu erwarten gewesen, dass die 2014 eingeführte Rente ab 63 zunächst eine „gewisse Delle“ herbei führen würde, beruhigte sich ein Ministeriumssprecher am Mittwoch in Berlin. Die aktuelle Entwicklung sei vorübergehender Natur und stelle den Grundtrend keineswegs in Frage. „Wir sind weiter auf dem Weg in eine Gesellschaft des längeren Arbeitens.“ Auch wenn das die Arbeitnehmer offenbar partout nicht wollen. Warum wollen die denn nicht? Arbeit kann unabhängig von akuten Beschwerden als gesundheitlich belastend empfunden werden, schreibt der Focus. So gab jeder achte Erwerbstätige (12,3 Prozent) an, bei der Arbeit psychischen Belastungen ausgesetzt zu sein, die sich negativ auf das Wohlbefinden und damit auf die Arbeitsfähigkeit auswirken. Die dominierenden Faktoren seien hierbei der Zeitdruck und die Arbeitsüberlastung. Und warum sollte man sich dem Zeitdruck und der Überlastung weiterhin aussetzen, wenn man alternativ seinen Lebensabend angenehm und erfreulich gestalten kann? Auf die Antwort kommt womöglich jeder, ganz ohne das Zutun von Experten.

Anzeige


focus.de, gegenstandpunkt