Deutschlands Sparer steuern auf die Katastrophe zu
Wolfgang Schäuble freut sich: Deutschland macht Schulden und bekommt dafür mittlerweile Geld! Für Sparer wird das Nullzinsumfeld dagegen immer gefährlicher. Bei gleichem Kurs krachen die Deutschen bald in den Eisberg. Ein Gastkommentar von Dr. Christoph Bruns, Inhaber der Fondsgesellschaft Loys AG.
Jetzt ist es amtlich: Die Bundesrepublik Deutschland muss keine Zinsen auf neu aufzulegende Staatsanleihen zahlen, sondern wird von den Anlegern in den meisten Laufzeitbereichen der Zinsstrukturkurve dafür vergütet, solche Anleihen anzubieten. Selbst für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit müssen seitens des Staates kaum noch zehn Basispunkte berappt werden.
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Für die deutsche Staatskasse und ihren Kassenwart Wolfgang Schäuble ist dies eine fantastische Nachricht. Deutschland macht Schulden und wird dafür noch von den Anlegern bezahlt. Jedermann kann sich vorstellen, welche angenehme Wirkung diese noch vor Jahren völlig unabsehbare Entwicklung auf den Staatshaushalt haben wird.
Wenn man es positiv sehen will, dann könnte man sagen, dass der Euro an dieser Stelle eine mehr als segensreiche Wirkung für seine Mitgliedsstaaten im Allgemeinen und für Deutschland im Besonderen entfaltet. Auch Gegner des Kapitalismus sollten aufjauchzen vor Freude, dass wir in Deutschland nun einen Status ohne Zinsen erreicht haben.
Wer hätte das gedacht: Deutschland ist angesichts der Energiewende bald ein atomfreies und durch die Politik der Europäischen Zentralbank jetzt ein zinsloses Land. Kein Wunder, dass die Bundesrepublik in internationalen Beliebtheitsumfragen so grandios dasteht.
Freilich gibt es keine Rose ohne Dornen und ob der Euro einer Rose vergleichbar ausgefallen ist, dass mögen die Leser jeder für sich beurteilen. Unübersehbar ist aber das Dornengeflecht, welches mit dem Euro eingekehrt ist. So ist etwa das enorm wichtige Thema Altersvorsorge, das ganz überwiegend am Zins hängt, in seiner bisherigen Struktur existenziell gefährdet. Unschwer lässt sich erahnen, wie es um ein System bestellt ist, das ganz überwiegend von Zinseinkünften genährt wird.
Erkennen die Deutschen die Gefahr nicht?
Mehr als beachtlich ist daher die Trägheit, mit der sich die Beteiligten auf die neue Situation einstellen. Man kann geradezu den Eindruck gewinnen, ein Großteil der Bevölkerung und die gesamte politische Elite haben von der neuen Situation, die ihren Ursprung in der großen Finanzkrise Amerikas hat, noch gar keine Kenntnis genommen. Das Sparverhalten der Deutschen hat sich nämlich trotz Dauerniedrigzinsphase noch kaum wesentlich gewandelt.
Ebenso wenig ist es der Bundesregierung gelungen, Anreize zu setzen, um die ungeeignete Geldvermögensallokation der Bevölkerung in eine klügere Richtung zu lotsen. Es dürfte in diesem Zusammenhang klug sein, sich an den bekannten Satz von Michail Gorbatschow zu erinnern, den dieser seinerseits dem amerikanischen Philosophen George Santayana entlehnt hatte, als er sagte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Damals hatte Gorbatschow den unvermeidlichen Untergang der Sowjetunion vor Augen, die nicht fähig war, sich auf die neuen Gegebenheiten von Glasnost und Perestroika einzustellen, sondern im Poststalinismus verharrte.
Eine solch fundamentale Strukturverschiebung hat auch am Finanzmarkt stattgefunden. Traditionelle Einschätzungen zu Sparbüchern, Bausparverträgen und Kapitallebensversicherungen sind durch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank obsolet geworden. Aber anstatt das Anlageverhalten angesichts der neuen Erkenntnisse zu verändern, verbleiben die meisten Bürger und die selbstgefällige Politik bei ihrem gewohnten Habitus.
Bildlich gesprochen könnte man sagen, dass die Dauerniedrigzinsen einem Eisberg gleichen, der geradewegs auf dem bisherigen Kurs der deutschen Altersvorsorgepolitik liegt. Diese Politik gleicht ihrerseits einer Titanic, die ungeachtet besseren Wissens stur ihren alten Kurs beibehält und geradewegs auf den Eisberg zusteuert. Die Kollision, die sich heute klar vorausberechnen lässt, wird für einen großen Aufschrei sorgen. Dann aber ist es zu spät, um das Thema Altersarmut abzuwenden.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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Christoph Bruns ist Fondsmanager und Mitinhaber der Fondsgesellschaft LOYS AG. Dieser Artikel erschien zuerst als Kolumne auf Handelsblatt Online. Christoph Bruns und die LOYS AG haben Versicherungsbote die Nutzungsrechte an dem Text eingeräumt.