Mehmet Göker "entschärft Landminen"
Mehmet Göker und sein umstrittener Finanzvertrieb MEG wurden zum Sinnbild für vieles, was falsch läuft im Versicherungsvertrieb. Dies ist auch das Verdienst von Filmemacher Klaus Stern, der Göker mit einem erfolgreichen Dokumentarfilm porträtiert hat. Nun kommt der zweite Teil von „Versicherungsvertreter“ in die Kinos – und Stern gibt in einem Interview mit der „Hessischen Niedersächsischen Allgemeine“ Auskunft darüber, wie sich seine Sicht auf Göker und den Versicherungsvertrieb verändert hat.
Der Aufstieg und Fall des Mehmet Göker ist eine filmreife Geschichte, in der sich Glanz und Elend der deutschen Versicherungswirtschaft widerspiegeln. Das hat auch der Kasseler Filmregisseur Klaus Stern erkannt, der Göker 2011 mit seinem Dokumentarfilm „Der Versicherungsvertreter“ porträtierte. Jetzt hat Stern den schillernden Unternehmer in der Türkei erneut besucht und einen zweiten Film gemacht. Über 18 Monate hinweg war der Regisseur mit seinem Filmteam an vier Drehperioden vor Ort, um zu schauen, wie das Leben von Göker nach der Insolvenz von MEG weitergeht.
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Ein Blick zurück: 2006 gründet Mehmet Göker den Versicherungsvertrieb MEG, spezialisiert auf private Krankenversicherungen. Mit 25 Jahren macht der junge Deutsch-Türke seine erste Million, beschäftigt innerhalb weniger Jahre tausend Mitarbeiter, verkauft Krankenversicherungen im Akkord per Telefonberatung. Doch ab 2008/2009 geht es bergab, die Stornoraten häufen sich, denn die Beratung der Kunden lässt zu wünschen übrig. Nach der Insolvenz setzt sich Göker 2010 in die Türkei ab, mit Millionenschulden, weil sein Vertrieb von den Versicherungskonzernen Vorschüsse kassierte und das versprochene Neugeschäft nicht einlöste. Der Versicherungsvermittler wird mit einem internationalen Haftbefehl gesucht.
Klaus Stern vergleicht PKV-Tarifoptimierung mit Entschärfen von Landminen
In der Türkei macht Mehmet Göker weiter - wenn auch mit finanziellen Problemen und "nur noch" 23 Mitarbeitern. Er betreibt heute zu 90 Prozent Tarifoptimierung für Kunden privater Krankenversicherungen. Das heißt, er hilft Versicherten, aus überteuerten Verträgen auszusteigen und in günstigere Tarife zu kommen. Für Filmemacher Klaus Stern ist dieses Geschäftsmodell Indiz für die Intransparenz des PKV-Vertriebs: Schließlich haben viele Vermittler ihre Kunden in ebenjene teuren Verträge gedrängt.
“Das kann man vergleichen mit Firmen, die Landminen verkaufen und später Systeme verticken, um Landminen aufzuspüren“, kritisiert Stern. „Viele von denen, die private Krankenversicherungen vermittelt haben, haben heute Agenturen dafür, den Kunden neue Tarife anzudrehen. Die rufen an und sagen: „Sie zahlen 512 Euro Krankenversicherungsbeitrag, das ist viel zu teuer“ - hatten denselben Kunden das aber früher so verkauft“.
Zudem bemerkt Stern, dass die privaten Krankenversicherungen sich nach wie vor weigern, zu Mehmet Göker Stellung zu beziehen. Dabei seien die Versicherungsvorstände stolz gewesen, zu den Veranstaltungen der MEG eingeladen zu werden und die „Gunst der ersten Nacht“ genossen zu haben. “Ich frage mich: Warum haben fast alle Versicherungen mit Herrn Göker Geschäfte gemacht? Die Frage wird, wohl aus Scham, auch fast sechs Jahre nach der Insolvenz von Krankenversicherungen nicht beantwortet.“
Mehmet Göker als ambivalente Person charakterisiert
Auch im zweiten Teil der Dokumentation wird Göker nicht schwarz-weiß gezeichnet, sondern mit Schattierungen. Auf die Frage, wie Stern den Unternehmer in der Türkei erlebt habe, antwortet der Dokumentarfilmer: „Intelligent, redegewandt, gewinnend. Einerseits spürt man seine kulturelle Sozialisation, wo es darum geht, die Familie zu beschützen. Dazu kommt eine Seite, die sagt: Das Gesetz bin ich – er kann sich schlecht an Regeln halten.“
Seine charismatische Ausstrahlung hat Göker nicht verloren. Und sie hilft ihm, Jünger um sich zu scharen. Potentielle Mitarbeiter bewerben sich über Facebook und ziehen in die Türkei, weil sie dort das große Geld erhoffen. Kurios: Ein Mitarbeiter habe sogar für Göker arbeiten wollen, nachdem er den ersten Teil von „Versicherungsvertreter“ in der ARD gesehen habe. Dafür müssen sie mit Gökers Wutanfällen klarkommen, denn er neige durchaus dazu, Mitarbeiter zu beschimpfen, wenn es weniger gut laufe. Die Fluktuation ist groß. „Immer, wenn ich wiederkam, waren andere Leute im Team. Kontinuität fehlt“, berichtet Filmemacher Stern.
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Die Ziele von Göker sind nun ein wenig bescheidener geworden. Die neue Firma nennt er liebevoll seine „23-Mann-Klitsche“ und sein Ziel: „Ein effizienter Vertrieb mit 100 Mitarbeitern". Er fühle sich komplett unschuldig, bestätigt Filmemacher Stern. Wer keine Gelegenheit hat, den zweiten Teil der Dokumentation im Kino zu sehen, kann getröstet werden. Am Donnerstag, dem 25.Juni 2015, wird "Versicherungsvertreter 2" um 22:30 Uhr auch vom WDR gezeigt.