Versicherungsbote: 51 Prozent der Makler gehen laut Ihrer Studie „Provisionen und Courtagen – Was die Versicherer ihren Vermittlern zahlen“ (hier bestellbar) mit weniger als 50.000 Euro Jahresgewinn nach Hause. Warum hat die Hälfte der Makler ein vergleichsweise niedriges Einkommen?

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Prof. Dr. Matthias Beenken Beenken: Das kann ich mit der Studie allein nicht beantworten. Mein Eindruck aus dem Markt ist, dass der Maklerstand so heterogen ist wie sonst kaum ein anderer. Vom Nebenberufler , der gar nicht weiß, was er sich mit dem Etikett „Makler“ für Pflichten ins Haus geholt hat, bis hin zum hochprofessionellen Industriemakler findet sich eine enorme Spannbreite. Ich glaube, dass darunter nicht wenige ehemalige Ausschließlichkeits- oder Strukturvertriebsvermittler sind, die mit Illusionen und geringen Kenntnissen des Maklermarktes in diese Tätigkeit gewechselt sind und schlechter verdienen, als sie es in einem strukturierten System könnten. Diese Makler zahlen einen entsprechenden Preis für die vermeintlich vollständige Unabhängigkeit.

Versicherungsbote: Halten Sie es für realistisch, dass sich die schlechter verdienende Hälfte der Makler weiterhin am Markt halten kann? Das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) könnte mittelfristig zu weiteren Einbußen speziell bei der Abschlussvergütung führen.

Beenken: Entscheidend sind in jedem Einzelfall die Umstände, unter denen Makler tätig sind, und deren Erwartungen. Ich habe Vermittler kennengelernt, die beispielsweise über einen voll verdienenden Partner/-in abgesichert oder einfach sehr bescheiden und deshalb gar nicht so unzufrieden sind mit ihrem Einkommen. Ich habe Vermittler kennengelernt, die viel zu stolz wären, zum Sozialamt zu gehen, selbst wenn das wirtschaftlich vernünftig wäre. Aber empirisch betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass schlecht verdienende Makler durch die von Ihnen angesprochenen Verschlechterungen der Marktlage schneller betroffen sind und aus dem Markt ausscheiden als gut verdienende Makler.

Versicherungsbote: Es gibt auch Topverdiener. 12,3 Prozent der Makler erlösen mindestens 150.000 Euro im Jahr, während wiederum 12 Prozent mit weniger als 25.000 Euro vorlieb nehmen müssen. Wie erklärt sich diese extreme Gewinnstreuung bei den Ungebundenen?

Beenken: Das möchte ich umgekehrt an der Ausschließlichkeit deutlich machen. Bei hauptberuflichen Ausschließlichkeitsvertretern sind die Versicherer nach dem HGB verpflichtet, Mindestarbeitsbedingungen sicherzustellen, mit anderen Worten für ein Mindesteinkommen zu sorgen. Außerdem organisieren sich Ausschließlichkeitsvertreter meist sehr effektiv in Hausvereinen und üben Druck auf die Versicherer aus, für ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Sicherheit zu sorgen. Deshalb findet man in Studien signifikant seltener gering verdienende Agenten als Makler. Umgekehrt achten Versicherer darauf, dass Vertreter nicht zu groß und einflussreich werden und nutzen dafür die rechtliche Möglichkeit, bei Agenturvertragsende frei über die Bestände zu verfügen. Sind diese groß genug, werden sie auf mehrere neue Vertreter aufgeteilt. Das begrenzt die Einkommen der Agenten nach oben, ganz anders als bei Maklern.

Nicht unterschätzen darf man, dass Makler viel mehr unternehmerische Freiheiten genießen. Zu den wachstumsstärksten Maklerunternehmen gehören beispielsweise Pools, Direktvertreiber und Vergleichsportalbetreiber, also Unternehmen mit Geschäftsmodellen, für die sich ein Ausschließlichkeitsvertreter gar nicht mit dem Segen seiner Gesellschaft entscheiden dürfte. Die unternehmerischen Chancen bergen jedoch auch Risiken des Scheiterns, auch das erklärt vielleicht die große Heterogenität bei Maklern.

Altersvorsorge - Kunden fühlen sich durch Hiobsbotschaften verunsichert

Versicherungsbote: Haben sich in den letzten Jahren die Einkünfte von Versicherungsmaklern geändert? Haben ggf. auch politische Maßnahmen den Vermittlerverdienst beeinflusst – schon vor Inkrafttreten des LVRG?

Beenken: Wenn ich meine Studien betrachte, dann steigen die Umsätze und die Gewinne über die Jahre in einem durchaus angemessenen Rahmen. Ich bin allerdings etwas vorsichtig mit der Interpretation, weil es sich immer um Zufallsstichproben handelt, also nicht jedes Mal dieselben Betriebe befragt worden sind. Das kann Ergebnisse in einem gewissen Rahmen verzerren.

Meine Vermutung ist, dass die bisherige Regulierung wirtschaftlich keinen größeren Schaden angerichtet hat, jedenfalls nicht bei den Vermittlern, die sich konstruktiv auf die neuen Rahmenbedingungen des Arbeitens eingelassen und sie genutzt haben.

Dagegen hat die Lage der Lebensversicherung – übrigens unabhängig vom LVRG – eine große Sprengkraft für Teile der Maklerschaft, die im Vorsorgegeschäft stark unterwegs sind. Denn es war bisher schon nicht leicht, Kunden von einem freiwilligen Einkommensverzicht zugunsten einer Vorsorge zu überzeugen, und das bei durchaus attraktiven Zinsen. Der Zinseszinseffekt hatte dafür gesorgt, dass der Konsumverzicht zur Schließung typischer Versorgungslücken gar nicht so hoch ausfiel. Jetzt aber haben wir fast keinen Zinseszinseffekt mehr, und gleichzeitig sinken die Ansprüche auf gesetzliche Renten und Pensionen massiv. Der Makler muss jetzt demselben Kunden erklären, dass er nach heutiger Lage der Dinge ein Drittel und mehr seines verfügbaren Einkommens weglegen müsste, um die Versorgungslücke komplett zu schließen. Dazu kommt ein unsägliches Schlechtreden jeglicher Vorsorgeprodukte durch Medien und durch vorgebliche Verbraucherschützer, die jedoch ganz kleinlaut werden, wenn man sie fragt, was denn ihrer Meinung nach die beste Vorsorge sein soll.

Was machen aber Kunden – wie andere Menschen auch –, wenn sie sich durch solche Hiobsbotschaften verunsichert fühlen? Kurzerhand gar nichts. Das heißt, je schlimmer die Lage an der Vorsorgefront wird, desto schwerer wird es Überzeugungsarbeit zu leisten und überhaupt noch Verträge zu verkaufen. Das ist die eigentliche Gefahr für die Makler, nicht so sehr die Frage, ob infolge des LVRG vielleicht das eine oder andere Promille an Abschlusscourtage heruntergehandelt wird.

Eine weitere Gefahr für viele Vermittler ist, dass die Private Krankenversicherung ab dem nächsten Jahr sicher wieder erneut in die Diskussion gerät, sobald die Parteien den Bundestagswahlkampf einläuten. Auch das gefährdet Einkommensmöglichkeiten nachhaltig.

Haben Makler eine Zukunft als "eigenständiges Geschäftsmodell"?

Versicherungsbote: Was können Makler mit niedrigem Einkommen Ihrer Meinung nach tun, um angesichts der neuen Herausforderungen ihren Gewinn aufzubessern? Wo muss gegebenenfalls ein Umdenken in der Branche erfolgen?

Beenken: So hart das klingt, aber viele Makler sollten überlegen, ob sie als eigenständiges Geschäftsmodell noch Zukunft haben, oder sich nicht besser überlegenen anderen Geschäftsmodellen anschließen oder mit Partnern zusammen selbst ein neues Geschäftsmodell ausprobieren. Beispielsweise fand ich es erschreckend, als ich mit Studierenden zusammen Stichproben aus dem Vermittlerregister untersucht habe, wie viele unabhängige Vermittler nicht einmal eine Homepage besitzen, obwohl das schon wieder Internet-Steinzeit ist. Progressive Makler bewegen sich längst völlig selbstverständlich in den Sozialen Medien, testen neue Wege zum Kunden, neue Service- und auch neue Vergütungsmodelle.

Versicherungsbote: Was verraten Ihre Studienergebnisse über die Attraktivität des Maklerberufes? Immerhin hat die Branche ein Nachwuchsproblem, doch die Streuung der Gewinne könnte Indiz für ein hohes finanzielles Risiko des Maklerberufes sein.

Beenken: Es ist den Versicherungsmaklern bisher leider nicht gelungen, sich aus der allgemein negativen Bewertung von Vertrieb und insbesondere Versicherungsvertrieb abzusetzen und als attraktive Alternative wahrgenommen zu werden. Die Bereitschaft zu einer Selbstregulierung und berufsständischen Hygiene fehlt auch weitgehend. Ich erlebe immer wieder in Veranstaltungen Makler, die sich wortreich über die fehlende Lobby und das geringe Ansehen ihres Berufsstands beschweren, dann aber auf Rückfrage einräumen müssen, sich keinem namhaften Maklerverband und keiner Selbstregulierungsinitiative wie zum Beispiel dem Verband Ehrbarer Versicherungskaufleute oder vergleichbaren Initiativen wie auch von Ihnen angeschlossen zu haben.

Andererseits erlebe ich auch immer wieder Jungmakler, die manchmal sehr naiv, manchmal aber auch mit bestechend frischen Ideen in den Markt gehen. Eins wollen die allerdings nicht: als „der Vertreter um die Ecke“ wahrgenommen zu werden. Stattdessen wird beispielsweise ein modernes Beratungsimage, Finanzplanungsansätze oder auch ein urbanes und junges Lebensgefühl in den Vordergrund gestellt, um jüngere und beratungsaffine, aber auch anspruchsvolle und deshalb wenig loyale Kunden anzusprechen.

Im besten Interesse des Kunden handeln

Versicherungsbote: Wir wurden mehrfach mit der Aussage konfrontiert, dass bei der Umsetzung des LVRG die Interessen der Maklerschaft nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Die Senkung der Abschlusscourtagen wird zwar begrüßt – aber speziell junge Makler haben oft keinen ausreichend hohen Bestand, um Einbußen bei der Abschlussvergütung auszugleichen. Auch hätten Makler nicht wie Vertreter die Möglichkeit, etwa in Angestellten-Modelle auszuweichen. Wie schätzen Sie diese Behauptung ein?

Beenken: Meine Studie zeigt, dass die große Mehrheit der Makler noch gar keine Änderungen an den Vergütungen hinnehmen musste. Das heißt, es scheint sich eher um Einzelfälle zu handeln, in denen Versicherer den Maklern neue Modelle angeboten haben. Ich sage bewusst angeboten haben, denn selbstverständlich ist ein echter Makler nicht verpflichtet, zu neuen, schlechteren Konditionen zu vermitteln, sondern kann auf andere Versicherer ausweichen. Als produktionsstarker Makler wird er zudem mit den Versicherern, die ihm wichtig sind, individuelle Verhandlungen über die Vergütungsbedingungen führen.

Allerdings rate ich Maklern dringend, sich an ihren Sachwalterstatus und die daraus resultierenden Pflichten zu erinnern, im besten Interesse des Kunden zu handeln. Und das beste Interesse des Kunden wird kaum immer gerade dann gegeben sein, wenn die höchstmögliche Courtage mit geringster Stornohaftung und attraktiven Sonderlocken obendrauf gezahlt werden. Denn das muss selbstverständlich am Ende von den Kunden bezahlt werden. Deshalb sollten Makler sich sehr wohl auch mit schlechteren Courtagebedingungen konstruktiv auseinandersetzen, wenn der Versicherer insgesamt glaubwürdig so mit seinen Abschlusskosten umgeht, dass die Einsparung beim Makler auch dauerhaft beim Kunden ankommt. Dann hat es ein Makler sogar wieder etwas leichter, Lebensversicherungen anzubieten und kompensiert die etwas geringere Vergütung mit einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit.

Dass Vertreter in Angestelltenmodelle ausweichen können, wäre mir neu. Gerade ist der vorletzte Versicherer in Deutschland, der seine Verkäufer in der Vergangenheit überwiegend mit Angestelltenverträgen beschäftigt hatte, vom Markt verschwunden, die Volksfürsorge. Mit der Debeka ist nur noch ein größerer Versicherer übrig, der dieses Modell konsequent lebt. Noch habe ich auch von keinem größeren Versicherer gehört, er wolle diesbezüglich grundlegend umdenken.

Versicherungsbote: ...daran anknüpfend: Was muss getan werden, um Nachwuchskräfte für den anspruchsvollen Maklerberuf zu gewinnen?

Beenken: Erstens: Die Makler sollten aufhören, sich in kleinen und kleinsten Verbänden zu vereinzeln oder sich erst gar nicht zu organisieren, sondern sich zu einem schlagkräftigen Maklerverband nach dem Vorbild des Gemeinsamen Hauses von BVK und AVV (Vertretervereinigungen der Ausschließlichkeitsvertreter) zusammenschließen, damit eine klare und hörbare Stimme des Berufsstands entsteht. Zweitens: Die Makler sollten sich in aller selbstkritischen Ernsthaftigkeit mit ihrem Selbstverständnis auseinandersetzen, eine überzeugende Business Mission entwerfen und diese auch für den Kunden und die Öffentlichkeit sichtbar vorleben. Drittens: Makler sollten sich den Herausforderungen der neuen Medien stellen und junge Menschen einstellen, für die der Umgang damit selbstverständlicher ist als für die meist über 50-jährigen Inhaber. Viertens: Makler sollten sich nicht beirren lassen, dass ihr Beruf ein absolut wichtiger, für die Kunden unverzichtbarer Dienst am Menschen ist, um existenzielle Nöte – jedenfalls wirtschaftlich – zu lindern!

Versicherungsbote: Vielen Dank für das Interview! (Die Fragen stellten Mirko Wenig und Hanna Behn)

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Steckbrief Matthias Beenken: Prof. Dr. Beenken wurde 1968 in Köln geboren. Er ist Versicherungskaufmann, Diplom-Betriebswirt (FH), Diplom-Kaufmann und Dr. rer. pol. Von 2005 bis 2011 war er Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Versicherungsjournals. Seit 2010 Professor für "Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Versicherungswirtschaft" an der Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Wirtschaft. Darüber hinaus Lehraufträge am Institut für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln sowie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er ist Verfasser und (Mit-)Herausgeber mehrerer Fachbücher, u.a. "Der Versicherungsvermittler als Unternehmer" (Verlag Versicherungswirtschaft, 4. Auflage 2012) und "Handbuch Maklermanagement" (Haufe-Lexware, 2. Auflage 2011). Unter dem Motto "Kompliziertes verständlich machen" betreibt Beenken ein Redaktionsbüro für Versicherungsthemen.