Versicherungsbote: Sie haben Ihrer Dokumentation über Mehmet Göker und der MEG in einen zweiten Teil folgen lassen. Warum gibt es nun eine Fortsetzung von „Versicherungsvertreter“?

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Klaus Stern: Wenn jemand - obwohl es einen internationalen Haftbefehl gegen ihn gibt – weiter in Deutschland Private Krankenversicherungen verkauft, muss man sich das einfach anschauen. Ich wollte das erst nicht glauben.

Versicherungsbote:…und wie geht es Göker und seiner MEG heute?

Klaus Stern: Ich würde sagen: Nicht so gut. Wenn jede zwei Monate fast die ganze Belegschaft wechselt, kann was nicht stimmen. Die Geschäfte sind inzwischen noch schwieriger geworden. Er muss sich ja ständig neue Strohfirmen suchen, über die er sein Geschäft in Deutschland platzieren kann. Er betreibt nun fast ausschließlich Tarifoptimierung. Das ist jedenfalls meine Einschätzung.

Versicherungsbote:…Sie zeichnen Mehmet Göker als ambivalenten Charakter. Es gibt abstoßende Szenen, in denen er Mitarbeiter als „Behinderte“ beschimpft. Es gibt auch Szenen, in denen sein Kampf um Anerkennung Respekt abnötigt. Was ist Göker für ein Mensch?

Klaus Stern: Man braucht Emphatie für seinen Protagonisten, sondern drehst du keinen guten Film. Und die hab ich auch bei Mehmet Göker. Sehr erstaunlich finde ich, wie er den ganzen Druck aushält. Staatsanwalt, Gläubiger, Insolvenzverwalter und Versicherungen verfolgen ihn. Er macht dennoch weiter seine Geschäfte. Wie immer. Verblüffend. Ich könnte so was nicht. Das ist wirklich außergewöhnlich.

Versicherungsbote: Interessieren Sie diese „negativen“ Helden eher als Karrieren, in denen alles glatt läuft? Sie haben zuvor u.a. bereits Tan Siekmann porträtiert, der mit einem großen Projekt scheiterte.

Klaus Stern: Brüche und Fallhöhe sind beim Scheitern natürlich interessanter. Aber meine Protagonisten gehen ja nicht gänzlich unter. Tan Siekmann lebt weiter auf der Burg und hat Start Up-Ideen und Göker arbeitet weiter in der deutschen Versicherungsbranche. Da gibt es doch eine große Kontinuität, würde ich sagen. Und sie wollen unbedingt dorthin, wo sie schon mal waren. Nach ganz oben.

Versicherungsbote: Göker gilt als schwarzes Schaf der Branche, übt aber gerade auf Jüngere auch eine große Anziehungskraft aus. Auf seinem Facebook-Profil präsentiert sich Göker als Mischung aus Geschäftsmann und Gangster-Rapper, kokettiert geradezu mit seinem Image als „Bad Guy“. Es gibt Macho-Posen, markige Sprüche und Angebereien. Trägt dieses Image dazu bei, dass Göker als negativer „Held“ auch verehrt wird?

Klaus Stern: Tatsächlich scheint es für viele junge Menschen ein Abenteuer zu sein, mal bei Göker in der Türkei zu arbeiten. Selbst wenn sie angeschrien und erniedrigt werden und die versprochenen Honorare nicht kommen, bleiben sie. Von Woche zu Woche hoffen sie auf ihren Durchbruch. Für mich rätselhaft. Aber ein wirklich interessantes Phänomen. Bis heute habe ich es aber nicht verstanden.

Versicherungsbote: Welches Bild haben Sie persönlich von der Versicherungsbranche gewinnen können? Und hat sich dieses Bild während der Arbeit an Ihren Dokumentarfilmen gewandelt?

Klaus Stern: Es gibt sicher viele anständig und ordentlich arbeitende Versicherungsmakler. Ich habe selbst im Bekanntenkreis welche. Aber: Ich habe die Branche aber oft als sehr provisions- und umsatzgetrieben kennen lernen dürfen. Und ich meine: Ihr geht jegliche, wirkliche Selbstreflexion ab.

Versicherungsbote: ...die Versicherungen behaupten, aus den Skandalen der jüngsten Zeit gelernt zu haben. Es gibt einen verschärften Ehrenkodex, die Provisionsexzesse sollen der Vergangenheit angehören. Trotzdem kann Mehmet Göker von der Türkei aus weitermachen wie zuvor, teils unter falschem Namen. Ein Widerspruch?

Klaus Stern: Einige Versicherer unterbinden bei Verdachtsfällen die Einreichungen. Ich habe aber von mehr Fällen gehört, die wissen, das Geschäft kam von Göker. Und sie nahmen das Geschäft trotzdem an. Ich glaube: Das System lebt.

Versicherungsbote: Versicherungsvermittler haben ein negatives Image, wie Umfragen belegen. Wir haben bei unserer Arbeit auch viele seriöse Vermittler kennengelernt, die klagen, einseitig werden nur die Skandale der Branche in den Medien thematisiert, während Positives keine Schlagzeile wert ist. Was können Vermittler aus Ihrer Sicht tun, um Vertrauen zurückzugewinnen?

Klaus Stern: Zuerst: Schön wäre es, wenn die Versicherungen sich der Vergangenheit mal stellen würden. Und ich glaube, eine wirkliche strukturelle Neuerung wäre, wenn auf Honorar beraten würde - und nicht der Umsatz zu Grunde gelegt wird. Das würde Branche sauberer machen. Obwohl es für Vermittler auf den ersten Blick nicht so sexy aussieht.

Versicherungsbote:…vielen Dank für das Interview! (Die Fragen stellten Mirko Wenig und Andreas Lohrenz von der aruna GmbH.)

Veranstaltungshinweis: Die aruna GmbH zeigt die 70minütige Langfassung von "Versicherungsvertreter 2" am Mittwoch, dem 08.07.2015, in Hannover. Auch Regisseur Klaus Stern wird anwesend sein. Interessierte Vermittler/innen sind hierzu herzlich eingeladen. Wann: 08.07.2015, 19:45 Uhr Wo: Kino am Raschplatz (unmittelbar am Hauptbahnhof Hannover). Um auf die Gästeliste zu gelangen, senden Sie bitte eine Email mit Ihren Kontaktdaten an: andreas.lohrenz@aruna-partner.de

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Porträt Klaus Stern: Klaus Stern wurde 1968 in Ziegenhain in Nordhessen geboren. Er studierte Wirtschaft und Politik an der Universität Kassel. Von 1994 bis 1997 arbeitete er beim Hessischen Rundfunk, 2000 gründete er seine eigene Produktionsfirma Sternfilm. Seine erste Dokumentation war der 1999 viel beachtete Film über den 1975 entführten Landesvorsitzenden der CDU von Westberlin, den Politiker Peter Lorenz mit dem Titel "Der Austausch – Die vergessene Entführung des Peter Lorenz". 2005 wurde sein Dokumentarfilm "Weltmarktführer – Die Geschichte des Tan Siekmann", eine Auftragsarbeit für das ZDF, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis der Johanna Quandt-Stiftung ausgezeichnet, sowie 2006 mit dem Adolf-Grimme-Preis. Dieser Film erzählt vom Aufstieg und Fall des New Economy Unternehmens Biodata AG, das Sicherheitstechnik entwickelte, als Star der Internetunternehmen hochgejubelt wurde und letztlich von den Anlegern mit großem finanziellem Schaden fallen gelassen wurde. Seine Dokumentation Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker erhält den 1. Preis des Helmut-Schmidt-Journalistenpreis 2012.