Rente mit 63 vs. mehr Rentner in Grundsicherung
Rente mit 63 - Die Rentenpolitik der Großen Koalition öffnet eine rentenpolitische Schere. Mehr und körperlich in Anspruch genommene Handerker gehen mit 63, und nach 45 Pflichtbeitrags-Jahren, früher in Rente. Dies ist ein Wahlgeschenk der SPD. Zugleich steigt die Zahl der Rentner, die Grundsicherung beanspruchen müssen; früher bekannt als Sozialhilfe. Der Sozialwissenschaftler Prof. Stefan Sell bemüht sich für den Versicherungsboten um eine Einordnung dieser Entwicklungen.
Inzwischen ehemalige Handwerker wie Maurer oder Fliesenleger nutzen die nach der Bundestagswahl beschlossene abschlagsfreie Rente ab 63 am intensivsten. Bei den Beschäftigten in den laut Bundesagentur für Arbeit „Innenausbau-Berufen“ sank die Anzahl der aktiven Arbeiter im Alter über 63 Jahren zum Ablauf des Jahres 2014 um gut ein Viertel. Dies sagen vorläufige Zahlen der Bundesagentur, die in einer Erhebung unter anderem die Entwicklung der Zahl sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse für Arbeitnehmer über 63 prüfte.
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Maurer oder Fliesenleger nutzen die abschlagsfreie Rente ab 63 am intensivsten
Zählmaßstab waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) die Arbeitsverhältnisse der älter als 63-jährigen Beschäftigten im Ganzen in der Zeit von Juni bis Dezember 2014. Dieser Zeitraum repräsentiert den letzten Monat vor dem Wirksamwerden der abschlagsfreien Rente mit 63, die nach 45 Pflichtbeitrags-Jahren an die begünstigten Rentner ohne Abzug gezahlt wird. Ferner um fasst die Zählung der Bundesagentur für Arbeit für die Zählung einschließlich des Monats Dezember. Auf diesem Zeitraum beruhen die berichteten Zahlen.
Den empirischen (Zählungen) Ergebnissen der BA zufolge ging die Zahl der Beschäftigten der älter als 63-jährigen Arbeiter im Hoch-und Tiefbau um fast 20 Prozent und damit deutlich zurück. In der Branche Rohstoffgewinnung, Glas- und Keramik sank die Zahl der dort Werktätigen um knapp 16 Prozent. Bei Heizungsbauern sowie Lkw- und Gabelstapler-Fahrern sank die Quote der älter als 63-jährigen Arbeiter um fast 14 Prozent und im Metallbau um fast 13 Prozent. Insgesamt sank die Zahl der Beschäftigten über 63 seit Juni 2014 zum Vergleichsmonat dieses Jahres um 31.000 Menschen oder etwa sieben Prozent. Im Vorjahreszeitraum hatte die Zahl der Beschäftigten noch um 53.600 (plus 13 Prozent) zugenommen.
Prof. Stefan Sell, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Koblenz (Rhein-Ahr-Campus Remagen) sagt dazu gegenüber Versicherungsbote im sachlichen Zusammenhang ausführlich: "Bei der Bewertung dieser Zahlen sollte man zum einen berücksichtigen, dass die genannten Berufe vor allem bei langer Erwerbstätigkeit körperlich sehr belastende Tätigkeiten darstellen und es vor diesem Hintergrund durchaus verständlich ist, wenn Betroffene eine vom Staat zur Verfügung gestellte Option auf einen abschlagsfreien Renteneintritt auch nutzen. Zum anderen muss man daran erinnern, dass 45 Beitragsjahre Voraussetzung sind für die Inanspruchnahme der Rente ab 63, es handelt sich also um Menschen, die sehr früh begonnen haben mit Ausbildung und Arbeit und diese sehr lange ausgeübt haben. Außerdem steigt das abschlagsfreie Renteneintrittsalter ab dem Jahrgang 1953 wieder an. Es wird punktgenau für den geburtenstärksten Jahrgang 1964 wieder bei 65 Jahren liegen“, so Professor Stefan Sell von der Hochschule Koblenz.
Außerdem berichtet Professor Sell, dass immer mehr Menschen auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind. Die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger dieser Leistung bei Bedürftigkeit ist seinen Quellen zufolge auf mehr als eine halbe Million Betroffene am Jahresende 2014 angestiegen. 61 Prozent der Bezieher sind Frauen, berichtet Sell. Am stärksten betroffen vom Grundsicherungs-Bezug seien Frauen im Rentenalter in Westdeutschland. Stefan Sell sieht darin “eine Folge der Konstruktionsprinzipien der klassischen gesetzlichen Rentenversicherung mit ihrer Orientierung am Modell einer möglichst lange und ohne Unterbrechungen absolvierten Erwerbsarbeit mit Beitragszahlungen und die in Vollzeit“.
Grundsicherung bei westdeutschen Frauen ein Problem
Bei vielen westdeutschen Frauen räche sich aus dieser Systemlogik heraus der in früheren Jahren übliche sehr lange Ausstieg aus der Erwerbsarbeit (so zum Beispiel die inzwischen allerdings teilweise angerechneten Kindererziehungszeiten). „Und wenn dann wieder eine aufgenommen wurde, dann zumeist in Teilzeit oder gar geringfügiger Beschäftigung, oft gekoppelt mit einer sehr niedrigen Vergütung mit entsprechend niedrigen bis gar keinen (bei der geringfügigen Beschäftigung) Rentenansprüchen“, bilanziert Sozialwissenschaftler Stefan Sell, der seine eigener Berufslaufbahn zunächst als Krankenpfleger begann und die „Niederungen“ sozialer Berufe aus eigener Erfahrung gut kennt.
Sollte an den grundlegenden Konstruktionsprinzipien des Rentensystems nichts verändert werden, dann müssen wir uns für die vor uns liegenden Jahre auf stetig steigende Zahlen an Grundsicherungs-Empfängern im Alter einstellen, rechnet Sell die mittelfristige der wachsenden Rentnerkohorten hoch.
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Hier berichtet Professor Sell ausführlicher über seine Einschätzungen zur Rente 63 und Folgen.
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