Berufsunfähigkeitsversicherung: Warum es sich lohnt, auf die Leistungsquote zu achten
Berufsunfähigkeitsversicherung: Hendrik Tenhaven, 42 erhält die Diagnose: Morbus Bechterew. Das ist eine rheumaähnliche Erkrankung des Rückens, bei der die Wirbelsäule versteift. Mehrere Jahre quälte sich Tenhaven, arbeitete weiter, konsumierte Schmerztabletten, bis es nicht mehr ging. Würde er weitermachen wie bisher, wären "bleibende Gesundheitsschädigungen" das Resultat, so attestierte ihm sein Arzt.
Anfang 2013 hatte Hendrik Tenhaven dann eine Berufsunfähigkeitsrente abgeschlossen bei der LVM in Münster, die er nun verklagt, weil sie sich sträubt, ihm seine Rente in Höhe von 1585 Euro pro Monat auszuzahlen. Nicht etwa, weil sie seine Krankheit für unglaubhaft hält, doch aber weil sie optimistisch ist, dass er seinen Betrieb "so umzustrukturieren (könne), dass die Berufsunfähigkeit vermieden wird". Also leichte Sachen solle er selber machen, alles andere müsse er eben delegieren und abgeben. Tenhaven fand diesen Gedankengang der Versicherung unlogisch, gerade weil er eben nicht mehr wie einst auf der Baustelle anpacken könne, als mitarbeitender Chef - wollte er sich ja absichern. Von dem Fall berichtet aktuell Spiegel Online.
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Versicherungen erwarten bis zu zehn Jahre Geduld
Tenhaven hat sich einen Anwalt genommen. Und dieser erkennt in dem fragwürdigen Vorschlag der Versicherung eine einfache Strategie: "Lange prüfen, lange prozessieren scheint das Kalkül vieler Versicherungen zu sein". Der auf Versicherungsrecht spezialisierte Anwalt hat in seiner Berufspraxis mit vielen Fällen solcher Art zu tun und weiß, dass sich Klagen wie die seines Mandanten Tenhaven bisweilen über mehrere Jahre hinziehen. Das heißt im Klartext, drei bis fünf Jahre seien in einer solchen Angelegenheit keine Seltenheit. Da braucht es Durchhaltevermögen. Ein anderer Mandat des Anwalts beispielsweise bekam erst nach acht Jahren Geld von seiner Versicherung.
Versicherer verzögern, oder nicht?
Nachdem die Zeitung DER SPIEGEL vor einigen Wochen in ihrer Titelgeschichte mit dem tendenziösen Titel "Versichert und verraten" einige Fälle dargestellt hatte, in denen Versicherungen genau diese Strategie anwandten, um nichts oder wenigstens nur so wenig wie möglich zahlen zu müssen, hatte sich die Branche empört gezeigt. Die Allianz schrieb einen offenen Brief (Versicherungsbote berichtete). Dazu betonte auch der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands GDV, Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth, dass es "keine Indizien für einen systematischen Missstand" gebe. Sowie ferner: "Versicherer verzögern nicht und finden auch in strittigen Fällen fast immer Wege, die den Belangen aller Beteiligten gerecht werden."
Vorsätzliches Zermürben als Geschäftspraxis?
Dass die Spiegel Geschichte einen Nerv getroffen hatte, belegte die extrem hohe Zahl von Leser-Zuschriften, die ganz ähnliche Erfahrungen des "Verschleppens" mit den Versicherungen schilderten, insgesamt waren es 110. Zwar war unter den Zuschriften der ein oder andere Absender selbst aus der Versicherungsbranche und wollte es nicht versäumen zu betonen, bei ihm handle es sich um einen "anständige(n) Menschen". Aber das Groß der Zuschriften berichtete doch von schlechten Erfahrungen mit den Versicherungen. Einige der Leserbriefautoren schlugen sich bereits seit unglaublichen Zeiträumen, ja teilweise schon seit Jahrzehnten mit den Konzernen herum. Eine Betroffene sprach in diesem Zusammenhang vom "vorsätzlichen Zermürben".
Zwar können diese Leserbriefe keine saubere Statistik ersetzen. Doch berücksichtigt man eine Forsa-Umfrage, die vor einigen Monaten 1250 Rechtsanwälte aus den Reihen des Deutschen Anwaltverein zum Thema befragte, muss man doch sagen, dass sich auch hier eine bedenkliche Schräglage offenbart. Siebzig Prozent der Anwälte gaben an, dass sich die Schadensregulierung der Versicherung verschlechtert habe. Und das Spektrum, aus dem das größte Ungemach entsprang, war das der Berufsunfähigkeitsversicherung. Überraschend ist das nicht, haben es doch gerade diese Assekuranzen mit ganz besonders hohen Summen zu tun. Nach Angaben der Branche weigern sich Versicherungen tatsächlich auf circa 30 Prozent der Anträge zu reagieren, da sie entweder nicht die Bedingungen für eine Regulierung erfüllen oder aber, weil sie ihren Kunden vorwerfen, Vorerkrankungen bei Vertragsabschluss nicht ehrlich aufgezeigt und bekundet zu haben.
Nicht alle Versicherungen sind gleich
Doch auch wenn das bis hierhin alles kein gutes Licht auf die Versicherungsbranche geworfen hat, sollte man dennoch einmal darauf hinweisen, dass nicht alle Versicherungen gleich sind. Das es hier große Unterschiede gäbe, betonte der Spiegel in einem weiteren Artikel zum Thema Mitte August. Basierend auf den Auskünften der Marktanalysten von Morgen & Morgen zahlen manche der Versicherer in neun von zehn Fällen, während sich andere noch nicht einmal in vier von zehn Fällen veranlasst sehen, dem Versicherten eine Unterstützung zu überweisen. Auskunft darüber, wie oft eine Versicherung anstandslos zahlt, gibt die sogenannte Leistungsquote der BU-Versicherer. Dies sind laut Morgen & Morgen die 10 Anbieter mit den höchsten Leistungsquoten (Angabe in Prozent aller gestellten BU-Anträge):
- Condor 92,3%
- RheinLand 90,3%
- HDI 84,6%
- Allianz 84,2%
- VGH Versicherungen 83,5%
- VPV Lebensvers. AG 82,3%
- Debeka 81,8%
- SV Leben 80,8%
- AXA 80,7%
- Württembergische 80,1%
Der Versicherte Tenhaven ging davon aus, dass man einem Kompromiss nahe sei, als ihn die LVM nach Münster einlud, in die Zentrale des Unternehmens. Dort also trug er noch einmal seinen Fall vor und ein Mitarbeiter unterbreitete ihm ein bescheidenes Angebot: 600 Euro pro Monat sowie die Erlassung der künftigen Prämien. Die 600 Euro entsprachen gerade Mal einem Drittel dessen, was eigentlich als BU vereinbart gewesen war. Darüber hinaus solle er sich noch etwas gedulden, im Jahr 2018 werde man seinen Fall erneut prüfen.
Keine BU im Sinne der Versicherungsbedingungen
Tenhaven lehnte ab. Enttäuscht fasste er zusammen: "Ich habe meine Beiträge immer brav bezahlt und jetzt, wo ich darauf angewiesen bin, lässt mich die Versicherung hängen." Die LVM hingegen findet, dass von "hängen lassen" gar keine Rede sein könne. Vielmehr habe sie "die besonderen Umstände berücksichtigt und dem Versicherten einen Vergleich angeboten - obwohl im Sinne der Versicherungsbedingungen keine Berufsunfähigkeit vorlag".
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Denn Tenhavens "Unfähigkeit, im eigenen Landschaftsbaubetrieb körperlich mitzuarbeiten" führe "nicht unweigerlich" zum Versicherungsfall. Der würde vorliegen, wenn Tenhaven "nicht mehr fähig wäre, seinen Betrieb zu führen" - so sieht die Versicherung den Fall, denn bisher sei es ja offensichtlich möglich gewesen, das kleine Gewerbe trotz Krankheit "ohne eine spürbare Gewinneinbuße" weiterzuführen. Das mag stimmen, doch hatte der Arzt ja gesagt, "wenn Sie so weiter machen, dann zum Schaden ihrer Gesundheit".
Wie der Fall nun ausgeht, obliegt der Entscheidung des Gerichts. Die LVM ist übrigens ein Versicherer, der mit einer Leistungsquote von 71,3 Prozent im Morgen & Morgen-Ranking noch vergleichsweise gut abschneidet.